Was bringt der EU Listing Act wirklich?

Eine behutsame Deregulierung soll helfen, die Handelsplattformen in Europa wettbewerbsfähiger zu machen – ein Blick auf die wesentlichen Aspekte

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Das Ziel, die EU-Kapitalmärkte attraktiver zu machen, verfolgt die EU-Kommission schon seit Langem, zuletzt im 2015 ­veröffentlichten Grünbuch zur Schaffung einer Kapitalmarktunion. Knapp zehn Jahre später bleiben Größe und Liquidität der EU-Kapitalmärkte unter anderem aufgrund der Fragmentierung und teils überbordenden Regulierung im internatio­nalen Vergleich, insbesondere gegenüber dem US-Kapitalmarkt, deutlich zurück. 

Das jüngst unter dem Begriff „Listing Act“ publizierte Maßnahmenpaket zur Änderung von EU-Prospekt- und -Marktmissbrauchsverordnung, MiFID II samt neuer Richtlinie über Mehrstimmrechtsaktien verfolgt einmal mehr das Ziel, Handelsplattformen in der EU durch behutsame Deregulierung attraktiver zu machen – waren doch Technologie- und Wachstumsunternehmen verstärkt in die USA oder Drittländer wie UK abgewandert.

Vor dem Hintergrund gestiegener Kreditvergabestandards sind immer mehr Unternehmen bereit, ihre Finanzierungsquellen (weiter) zu diversifizieren. Der mit Börsennotierungen verbundene Verwaltungs- und Kostenaufwand hat insbesondere Unternehmen im KMU- und Wachstumsbereich in der Vergangenheit allerdings abgeschreckt. Nun sollen Kapitalaufnahmen sowohl für Börsenneuzugänge als auch für bereits notierte Unternehmen erleichtert und kostengünstiger werden.

Kernelemente des EU Listing Act

Kernstücke sind hier daher vor allem die Änderungen im Prospekt- und Marktmissbrauchsrecht:

Sekundäremissionen:

Kapitalerhöhungen bereits notierter Unternehmen im Umfang von jährlich bis zu 40% (statt bisher 20%) des bereits zugelassenen Kapitals sollen künftig prospektfrei durchgeführt werden können. Sollte dies zu wenig sein, könnte auf Basis eines lediglich zehn­seitigen Dokuments bereits 18 Monate ab Notierungsaufnahme ein noch höheres Volumen aufgebracht werden. Angesichts der Investorenerwartung und unverändert hoher Prospekthaftungsstandards scheint dies ein lobenswerter, aber wohl eher theoretischer Zugang. Die Praxis wird erfahrungsgemäß gerade bei großvolumigen Transaktionen eher in Richtung freiwilliger Prospekterstellung tendieren. Insbesondere Emissionsbanken werden erfahrungsgemäß sowohl unter Vermarktungs- als auch unter Haftungsgesichtspunkten eine umfassendere Offenlegung relevanter Informationen zum Emittenten und zu den Wertpapieren fordern.

EU-Folgeprospekt und EU-Wachstumsemissionsdokument:

Diese sollen den sogenannten vereinfachten Prospekt für Sekundäremissionen und den EU-Wachstumsprospekt ersetzen. Der EU-Folgeprospekt kann für alle Sekundäremissionen genutzt werden, die keiner Pros­pektausnahme unterfallen. Das EU-Wachstumsemissionsdokument ist für Notierungen an einem KMU-Wachstumsmarkt gedacht. Beide Dokumente folgen einem standardisierten Format und Aufbau und sind vom Umfang auf höchstens 50 bzw. 75 DIN-A4-Seiten begrenzt.

Marktmissbrauchsrecht:

Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich bei der Offenlegung von Insiderinformationen im Kontext von zeitlich gestreckten Sachverhalten, z.B. M&A-Transaktionen, ab: Ad-hoc-meldepflichtig soll nur noch das End­ereignis, nicht aber ein Zwischenschritt sein. Dieser kann aber weiterhin eine ­gesonderte Insiderinformation darstellen, sodass das Insiderhandelsverbot greift und Ad-hoc-Publizität und Insiderrecht ­insoweit „auseinanderlaufen“.

Weiters ist eine Beispielliste an Insiderinformationen samt Hinweis auf den Zeitpunkt geplant, zu dem eine Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung erwartet wird. Auch wenn die Liste nicht abschließend sein wird, sollte sich die Rechtssicherheit für Emittenten dadurch zum Teil erhöhen. Daneben werden Kriterien für den freiwilligen Aufschub der Veröffentlichung von Ad-hoc-Meldungen durch Emittenten konkretisiert, insbesondere was das Verbot der Irreführung der Öffentlichkeit als zwingende Aufschubvoraussetzung anbelangt.

Die Meldegrenzen für Directors’ Dealings (Eigengeschäfte von Führungskräften) werden auf 20.000 EUR pro Jahr angehoben und Emittenten müssen künftig nur noch eine permanente anstelle einer anlassbezogenen Insiderliste führen.

Weitere Aspekte

Die Bestrebungen, eine finanzielle Trennung von Aktienanalyse und Investmentbankdienstleistungen zur Verminderung von Interessenkonflikten erst ab einer Marktkapitalisierung von 10 Mrd. EUR vorzusehen, ist jedenfalls zu begrüßen, um die Sichtbarkeit gerade von KMU für Investoren zu stärken. Seit MiFID II haben viele Häuser Finanzanalysen auf liquide Werte mit höherer Marktkapitalisierung beschränkt, weil sich die Coverage für KMU für Banken oft nicht gelohnt hat.

Interessant ist schließlich auch die gesellschaftsrechtlich vorgesehene Mindestharmonisierung, wonach KMU bei Notierungsaufnahme an einem KMU-Wachstumsmarkt Aktien mit Mehrfachstimmrechten ausgeben dürfen – eine Abkehr vom bisher in Deutschland und Österreich geltenden Grundsatz „One Share, one Vote“. Die gesellschaftsrechtliche Umsetzung im Detail wird jedoch noch zu beleuchten sein.

Fazit

Reduzierte Prospektvorgaben allein werden nicht reichen, um Kapitalmarktfinanzierungen zu incentivieren. Das hat zuletzt das Konzept des in der COVID-19-Pandemie initiierten, verkürzten EU Recovery Prospectus belegt, der selten genutzt wurde.

Die Lockerung des Zugangs zu Finanzanalysen (Research Coverage) ist hingegen interessant: Hier hatten einige Marktteilnehmer ihre Researchaktivitäten infolge von MiFID II stark zurückgefahren oder ganz aufgegeben. Ob KMU dadurch erhöhte Aufmerksamkeit bei Investoren erlangen können oder sich die Coverage weiterhin auf ­liquide Titel mit hoher Marktkapitalisierung beschränkt, wird sich erweisen.

Wünschenswert wäre auch, die Zulassungsfolgepflichten samt Sanktionen neu zu bewerten. Gerade die zum Teil drastisch hohen Strafen und die damit verbundenen Compliancekosten, die auch für Notierungen an MTFs und OTFs gelten, schrecken viele Unternehmen von einem Listing ab.

Ein Aspekt sticht jedenfalls positiv hervor: Nach Jahren des Anlegerschutzes lässt der Listing Act einen Anflug von Deregulierung und praktische Erleichterungen für Emittenten erkennen. Würden zusätzlich noch steuer- oder aufsichtsrechtliche Anreize (z.B. geringere Kapitalkosten) zur Stärkung der Investorennachfrage gesetzt und damit die Transaktionssicherheit ­gestärkt, hätte das Vorhaben tatsächlich Potenzial, ein „großer Wurf“ zu werden.

Dieser Beitrag erschien in unserem Special “Kapitalmarkt Österrreich 2023“.

Autorenprofil
Ursula Rath
Ursula Rath

Ursula Rath ist Partnerin im Wiener Büro der Schönherr Rechtsanwälte GmbH und Co-­Leiterin der Kapitalmarktrechtspraxis, wo sie auf Kapitalmarkttransaktionen (Eigen- und Fremdkapital) und Finanzmarktaufsichtsrecht spezialisiert ist.

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Christoph Moser
Christoph Moser

Christoph Moser ist ebenfalls Partner sowie Co-Leiter der Kapitalmarktrechtspraxis. Er verfügt über langjährige Erfahrung in komplexen Kapitalmarktrechts- und Finanzierungsange­legen­heiten sowie im Bereich Kapitalmarkt-Compliance.

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