„Viele Familienunternehmen arbeiten zu geheim“

Einmaliger Fall in der Private-Equity-Branche: Finanzinvestoren kaufen Anteile des Traditionskonzerns Messer Griesheim. Nach einigen Jahren kauft ihn die Familie wieder zurück. Im Interview erzählt der Eigentümer und Vorsitzende der Geschäftsführung Stefan Messer, wie dies gelang und wie er die Gesellschaft erfolgreich weiterführt.

Unternehmeredition: Herr Messer, als Messer Griesheim als Tochter der Hoechst AG hochverschuldet war, halfen die Finanzinvestoren Goldman Sachs und Allianz Capital Partners aus der Patsche. Eine Rettung in letzter Sekunde?

Dr. Stefan Messer: In der Tat: Im Jahr 2001 befanden wir uns in einer Notsituation, weil das Unternehmen einen Berg Schulden vor sich her schob. Zu dem Zeitpunkt hatten wir 1,7 Mrd. Euro Nettoschulden. Das entsprach damals einem Jahresumsatz. Deswegen war die letzte Lösung, einen Finanzinvestor ins Boot zu holen, weil strategische Investoren nicht dazu bereit waren, die hohe Schuldenlast und die vielen gemachten Fehlinvestitionen mit zu übernehmen.

Wie kam es dazu?
Im Vorfeld tätigte das Unternehmen Investitionen, die sehr riskant waren. Der Großaktionär Hoechst hatte vor dieser Zeit die Idee, bei Messer Griesheim massiv zu investieren und zu expandieren, und tätigte in fernen Ländern extrem riskante Investitionen. Zu viele Firmen und Projekte wurden zu teuer akquiriert. Der geplante Return dieser Investitionen war viel zu hoch angesetzt. Deswegen explodierte die Verschuldung und deswegen war auch die Not sehr groß, schnellst möglich einen Käufer für das Unternehmen zu finden.

Damals gehörten zwei Drittel des Unternehmens zu Hoechst, ein Drittel lag bei der Familie Messer. Waren sich zum damaligen Zeitpunkt alle Parteien einig, Finanzinvestoren ins Haus zu holen?
Es waren sich alle einig. Vor allem, weil Hoechst raus wollte und raus musste. Die Gesellschaft war damals in Aventis aufgegangen, und dieser Konzern hatte überhaupt kein Interesse daran, die Aktivitäten weiterzuführen. Er war zu jedem Deal bereit, der einigermaßen vernünftig war.

Wer hat denn die Auswahl des Finanzinvestors ins Rollen gebracht?
Da saßen wir am etwas längeren Hebel, denn ohne uns hätte das Unternehmen nicht verkauft werden können. Deshalb hatten wir großen Einfluss auf die Wahl des Investors. Wir hatten uns dann für Goldman Sachs entschieden. Im Schlepptau hatte Goldman Sachs noch Allianz Capital Partners.

Wie kamen Sie denn auf den US-amerikanischen Finanzriesen?
Wir haben eine Art Beauty Contest durchgeführt. Auch ich war an den Auswahlgesprächen beteiligt. Goldman Sachs machte von allen den besten Eindruck. Sie waren sehr professionell, mit der Allianz im Rücken fand ich die Konstellation ziemlich charmant, auch weil ich dachte, dass der Versicherer einen etwas längeren Zeithorizont hatte. Dem war dann letztlich nicht so. Das war damals aber nicht absehbar. Wir hatten genau die Probleme, mit denen sich Goldman Sachs gut auskennt.

Nämlich?
Wir mussten diesen riesigen Schuldenberg refinanzieren. In diesem Umfeld hat Goldman Sachs eine große Expertise, die andere Investoren in dieser Form nicht haben. Weil wir nicht genügend werthaltige Vermögengegenstände hatten, mussten wir einen High-Yield-Bond platzieren, und das ist das, was Goldman Sachs extrem gut konnte. Für die Anleihe bezahlten wir 10,75% Zinsen. Das war zwar teuer, aber anders hätten wir das nicht hinbekommen. Die Finanzierung davor lief unter dem Schirm von Hoechst, da schaute niemand so genau hin. Als wir dann aber unabhängig waren, standen nur noch die Vermögenswerte von Messer Griesheim als Sicherheiten zur Verfügung. Zu finanzieren ging das daher nur mit dieser ungesicherten Hochzinsanleihe.
In den drei Jahren der Restrukturierung bauten Sie rund 1.000 Stellen ab, 57 Tochtergesellschaften wurden verkauft. Ein harter Einschnitt.

In der Tat. Unser Ziel war, in den drei Jahren 600 Mio. EUR Schulden abzubauen. Dafür war das Programm ausgelegt, und dafür lagerten wir auch ziemlich viele Dienstleistungen aus. Bis dahin wurde etwa der gesamte Fuhrpark mit eigenen Mitarbeitern besetzt. Danach nicht mehr.

Wie lief dann der Rückkauf der Anteile?
Es gab eine Kooperationsvereinbarung. Darin definierten wir, was beim Exit passiert. Wir hatten eine Call-Option von April bis September 2004 auf die Anteile der Finanzinvestoren. Hätten wir die Call-Option nicht eingelöst, hätten sie das Unternehmen im Gesamten verkaufen können. Im Jahr davor hatten wir uns darüber verständigt, wie dieser Rückkauf aussehen kann. Wir kamen zu dem Entschluss, dass wir die drei größten Auslandsgesellschaften USA, Großbritannien und Deutschland verkaufen. Damit beauftragten wir Goldman Sachs, die mit unserem französischen Wettbewerber Air Liquide schließlich einen guten Käufer fanden. Mit dem erzielten Kaufpreis von 2,7 Mrd. EUR konnten wir die Liquidität generieren, um die Anteile zu übernehmen und die Schulden weitestgehend zu tilgen. 300 Mio. EUR mussten wir allerdings neu finanzieren, was aber kein großes Problem darstellte.

Was können denn Familienunternehmen von Finanzinvestoren lernen?
Was Finanzinvestoren beherrschen, ist z.B. das Managen von Working Capital, das Implementieren eines funktionierenden Forderungsmanagements und der Aufbau von detaillierten Reporting Systemen. Viele Familienunternehmen in Deutschland arbeiten immer noch zu geheim und zurückhaltend und wundern sich, dass sie in Krisenzeiten kein Geld von der Bank bekommen. Eine möglichst hohe Transparenz hilft weiter. Die Messer Group ist sehr transparent, obwohl wir es nicht sein müssten. Jedes Jahr publizieren wir einen detaillierten Geschäftsbericht. Wenn man das macht und vernünftige Zahlen hat, hat man auch mit der Finanzierung kein Problem. Eigentlich sollten Mittelständler stolz darauf sein, wenn sie ein erfolgreiches Unternehmen haben. Ich würde auch niemandem Geld leihen, wenn ich nicht wüsste, wie die Geschäfte laufen und die dazu gehörigen Finanzkennzahlen aussehen.

Warum wollten Sie das Unternehmen wieder in Familienhand zurückführen?
Mein Beweggrund war die Tradition fortzusetzen und das Erbe meiner Vorfahren zu sichern. Auf der anderen Seite sind wir in einem so interessanten Geschäftsfeld tätig, dass ich keine bessere Anlagealternative kannte, um das Vermögen der Familie zu sichern. Das Geschäft ist sehr stabil, mit einer sehr breiten Kundschaft. Zudem ist es wenig konjunkturanfällig. Von der Lebensmitteltechnik über die Medizintechnik und die Umwelttechnik decken wir alle Segmente ab. Zudem den kompletten Industriebereich.

Wo sind Sie besonders stark?
Im Stahlbereich sind wir etwa in China sehr stark. Wir wachsen eigentlich immer. Selbst im schlechten Jahr 2009 hatten wir ein minimales Wachstum. Pro Jahr kletterte der Umsatz in den vergangenen Jahren um durchschnittlich 10%.

Sie haben das Glück, sich in einer Branche zu bewegen, die enorm wächst. Auch ihren Konkurrenten Air Liquide und Linde geht es sehr gut. Würde neuen Gesellschaften ein Markteintritt schwer fallen?
Absolut. Das liegt vor allem daran, dass das Geschäft sehr kapitalintensiv ist und wir viele, auch kleinere Kunden haben. Dieses Netzwerk aufzubauen, dauert sehr lange. Nach dem Rückkauf hatten wir ein Wettbewerbsverbot in Deutschland. Mittlerweile dürfen wir auch hierzulande wieder tätig sein. Der Aufbau fiel uns relativ leicht, da unser Name in der Industrie noch bekannt war. Einige Firmen hatten gar nicht gemerkt, dass zwischenzeitlich ein Lieferantenaustausch stattgefunden hatte. So konnten wir relativ leicht wieder in den Markt eintreten – allerdings nicht in dem Maßstab, in dem wir früh
er vertreten waren.

Wo läuft es denn besonders gut?
Mit Abstand unser wichtigster Markt ist China. Mittlerweile erwirtschaften wir dort mehr als 30% des Umsatzes. Dort verdienen wir auch das meiste Geld und sehen großes Potenzial. Mittlerweile sind wir in über 30 Ländern tätig und stark diversifiziert.

Soll das Unternehmen künftig in Familienhand bleiben? Ihr Sohn Marcel ist ja ziemlich dicht dran.
Wie sich meine Nachfolge gestaltet, wissen wir noch nicht so genau.

Der Firmensitz der Messer Group in Bad Soden. Warum ist es von Vorteil, Familienunternehmen zu sein?
Zum einen bietet die Politik den Rahmen, dass Familienunternehmen erfolgreich sein können. In den USA gibt es etwa irrsinnig hohe Erbschaftsteuern. Dort ist es sehr schwierig, als Familie einen erfolgreichen Betrieb an die nächste Generation zu übergeben; es gilt die Theorie, dass möglichst nichts vererbt werden und jeder seinen eigenen Weg gestalten soll. Obwohl das Thema Erbschaftsteuer in Deutschland immer brennender wird, ist ein Übertrag der Unternehmensanteile auf die Folgegeneration bisher noch möglich. Ich hoffe, das bleibt auch nach der bevorstehenden Bundestagswahl so, denn mit der Einführung einer hohen Erbschaftsteuer würden wir den erfolgreichen deutschen Familienunternehmen zu viel Liquidität entziehen und sie damit in ihrer Weiterentwicklung gefährden. Ein Familienunternehmen hat den Vorteil, nicht vom Kapitalmarkt abhängig zu sein, strategischer arbeiten zu können und nicht kurzfristig auf Gewinnmaximierung aus sein zu müssen.

Worauf lasse ich mich als Mitarbeiter ein?
Häufig ist es angenehmer, in einem Familienunternehmen zu arbeiten. Man kennt den Chef und ist keinem wiederholten Managementwechsel ausgesetzt. Die Strategie, die an Personen gebunden ist, wechselt nicht ständig. Kontinuität und Verlässlichkeit stehen im Vordergrund. Auch die Unternehmenskultur ist eine andere, die Fluktuation geringer. Viele Mitarbeiter kenne ich persönlich über viele Jahre.


Könnten Sie sich vorstellen, sich noch einmal eine Private-Equity-Gesellschaft ins Haus zu holen?

Vorstellen kann ich mir das schon. Glücklicherweise brauchen wir sie nicht mehr. Um Wachstum zu finanzieren, würde ich keine Finanzinvestoren mit ins Boot nehmen. Dann bleibt das Unternehmen lieber ein bisschen kleiner.

Das Interview führte Tobias Schorr.
schorr@unternehmeredition.de


Zur Person:
Dr. Stefan Messer ist Eigentümer und Vorsitzender der Geschäftsführung der Messer Group GmbH. Er ist Vorsitzender des Aufsichtsrates der MEC Holding GmbH, Honorarkonsul der Republik Slowenien, Ehrensenator der Technischen Universität Darmstadt und hat zahlreiche andere Ämter inne. Messer ist der größte privat geführte Industriegasespezialist und in 30 Ländern mit mehr als 60 operativen Gesellschaften aktiv. www.messergroup.com

Autorenprofil

Tobias Schorr war von März 2013 bis Januar 2018 Chefredakteur der "Unternehmeredition". Davor war er für die Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien im Ressort Geld als Redakteur tätig. Von 2003 bis 2007 arbeitete er zunächst als Redakteur, dann als Ressortleiter beim Mittelstandsmagazin "Markt und Mittelstand". Sein Handwerk lernte er an der Axel Springer Journalistenschule.

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