Risikomanagement im Mittelstand

Wie Firmen sich jetzt schützen sollten

Die Risikolage für Unternehmen hat sich in den vergangenen Monaten weiter zugespitzt. Bedeutet: die Risikolage erkennen und Präventionsmaßnahmen ergreifen.
Foto: © WTW

Die Risikolage für deutsche Unternehmen hat sich in den vergangenen Monaten weiter zugespitzt. Während Klimawandel, Inflation und eine schrumpfende Wirtschaft weiterhin allgegenwärtig sind, sorgte zuletzt ein mögliches Verbot von per- und polyfluorierten Chemikalien, kurz PFAS, für Aufruhr.

Ein vorausschauendes Risikomanagement ist im Hinblick auf die Krisen unserer Zeit also unerlässlich. Auch für kleine und mittlere Unternehmen bedeutet das: die eigene Risikolage genau kennen und Präventionsmaßnahmen ergreifen. Damit verbessern sie auch ihre Verhandlungsposition gegenüber den Versicherern.

Haftpflicht: PFAS-Ausschluss bedroht Versicherbarkeit

Die deutsche Wirtschaft besteht zum allergrößten Teil aus mittelständischen Firmen – viele von ihnen sind produzierende Unternehmen, oft Marktführer, die ihre Produkte in die ganze Welt exportieren. Der EU-Vorschlag, die Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS zu verbieten, versetzt diese ebenso wie ihre Haftpflichtversicherer in Alarmbereitschaft.

PFAS, auch bekannt als Ewigkeitschemikalien, sind besonders langlebig und verbreiten sich unaufhaltsam beispielsweise, über das Wasser oder Sedimente. Dies gefährdet nicht nur die Umwelt, sondern auch die menschliche Gesundheit, wie neue Untersuchungen zeigen. Ein vollständiges PFAS-Verbot würde mit unüberschaubaren Risiken für den Mittelstand einhergehen. Befürchtet werden Klagewellen aufgrund von Umweltschäden und daraus resultierende Geldstrafen, wie es in den USA bereits Realität ist.

Viele Haftpflichtversicherer erwägen nun eine Anpassung ihrer Vertragsbedingungen und untersuchen ihre Kunden bereits vorsorglich auf den Einsatz der verschiedenen Stoffgruppen. Einige gehen noch weiter und fordern, das PFAS-Risiko vollständig auszuschließen – zu groß ist die Sorge vor immensen Haftungsschäden.

Wichtig für betroffene Unternehmen ist es, jetzt aktiv zu werden und zu überprüfen, welche schädlichen PFAS-Chemikalien sie einsetzen und ob diese gegen alternative Stoffe austauschbar sind. Die EU plant darüber hinaus Ausnahmeregelungen, also gilt es zu kontrollieren, ob diese im individuellen Fall greifen. Sie sind für jene Bereiche vorgesehen, in denen es keine Substitute gibt oder in denen die Vorteile eines PFAS-Einsatzes die Nachteile für Mensch und Umwelt deutlich überwiegen.

Das Thema PFAS zeigt: Vor dem Hintergrund stetig steigender Schadensummen sehen Versicherer oft nur den Ausschluss als Option, damit sie ihre eigenen Risiken unter Kontrolle behalten. Für Unternehmen hat das zur Folge, dass sie die Risiken nicht mehr in einem Versicherungsprodukt bündeln können. Sie müssen entweder auf alternative Risikotransferlösungen ausweichen oder die Risiken im Eigenbehalt tragen.

Klimarisiken: Unbedingt datenbasiert analysieren

Weiterhin akut ist die Bedrohung durch den Klimawandel. Temperatur und Meeresspiegel steigen, Unwetterereignisse werden immer verheerender: Allein im vergangenen Jahr beliefen sich die Schäden durch Naturkatastrophen weltweit auf 250 Mrd. USD. Diese hohen Schäden sind nicht nur in besonders gefährdeten Gebieten zu beobachten, sondern auch hierzulande: So hat das Jahrhunderthochwasser im Ahrtal Versicherer bis heute 6,7 Mrd. EUR gekostet. Klimarisiken bedrohen aber nicht mehr nur den Versicherungsschutz, sondern die gesamte Existenz. Beispielsweise setzen anhaltende Dürreperioden landwirtschaftliche Unternehmen zunehmend unter Druck. Sie müssen sich bereits jetzt überlegen, wie sie ihre Felder zukünftig bestellen wollen, wenn sie in bestimmten Regionen nicht mehr ertragreich anbauen können.

Doch nicht allen Unternehmen ist bewusst, welchen Klimagefahren sie tatsächlich ausgesetzt sind und wie diese ihr Geschäft bedrohen. Dadurch laufen sie Gefahr, dass es im Schadenfall zu Betriebsunterbrechungen und hohen finanziellen Verlusten kommt. Dabei könnten sie mithilfe von Risikoanalysen und umfassenden Daten-Pools ihre individuelle Risikolage sehr genau untersuchen.

So lässt sich beispielsweise analysieren, welchen Klimagefahren jeder ihrer Standorte ausgesetzt ist, also wie hoch etwa das Risiko durch Überschwemmung, Dürre oder Stürme künftig sein wird. Spezielle Klimaszenarien und Zeitleisten prognostizieren, wie sich die identifizierten Risiken auf den Geschäftsbetrieb auswirken werden. So kann beispielsweise jedes Unternehmen ermitteln, was mit seinen Anbauflächen passiert, wenn die Temperatur in den nächsten Jahren um 1,5 Grad oder mehr steigen wird.

Aus den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich Präventionsmaßnahmen ableiten, um Risiken zunächst zu minimieren. Dazu gehört unter anderem, Bauvorhaben neu zu evaluieren und gegebenenfalls auf Standorte mit geringerer Risikoexponierung auszuweichen, oder auch Systeme für den Hochwasserschutz einzurichten. Derlei Maßnahmen verringern das Restrisiko, das der Versicherer zu tragen hat – das gewährt einen größeren Verhandlungsspielraum im Gespräch. Zusätzlich können die Informationen den Anbietern dabei helfen, eine angemessenere Prämie zu ermitteln.

Cyber-Risiken: Größte Angst der Manager

Nicht nur Klimarisiken halten Unternehmer und Risikomanager schon länger in Atem. So zeigt eine weltweite Befragung von WTW, dass Cyber-Risiken das größte Haftungsrisiko für Manager darstellen – und das zurecht: Die Zahl der Cyber-Angriffe auf deutsche Unternehmen bleibt weiterhin hoch. Im Jahr 2023 war eine von zehn Organisationen mit einer versuchten Ransomware-Attacke konfrontiert, das waren 33% mehr als im Vorjahr. Für Unternehmen kann ein einzelner Angriff existenzbedrohend sein. Häufig kommt es zu einem erheblichen Datenverlust, für den sie auch dann haften, wenn sie Daten an einen externen Dienstleister – etwa einen Cloud-Anbieter – auslagern.

Trotz der Vielzahl von Cyber-Angriffen bleiben die Prämien in der Cyber-Versicherung derzeit auf hohem Niveau stabil. Versicherer stellen allerdings hohe Anforderungen an die IT-Sicherheit. Unternehmen müssen sich also einerseits vor Haftungsschäden schützen, andererseits den Anforderungen der Versicherer gerecht werden.

Nur wer seine Risiken kennt, kann sich adäquat absichern – mit Sicherheitsvorkehrungen in der IT ebenso wie mit Deckungskonzepten für die Restrisiken. Der Fahrplan lautet: Bedrohungen erkennen, IT-Resilienz stärken und verbleibende Risiken mittels Versicherung minimieren.

Viele Risiken, insbesondere in den Bereichen Klima und Cyber, lassen sich zwar nicht vollständig abwenden, können aber mit Hilfe von umfangreichen Präventionsmaßnahmen minimiert werden. Die Zeiten, in denen sich Unternehmen ausschließlich auf Versicherungsprodukte verlassen konnten, sind vorbei. Vielmehr sollten sie neue, auch kreative Wege gehen, um ihre Risiken bereits im Vorfeld zu erkennen und zu minimieren.

Ein umfassendes Bild der Unternehmensrisiken 2024 und ihrer jeweiligen Versicherungssparten liefert der aktuelle Trendreport zur Industrieversicherung MarktSpot.

Autorenprofil
Safak Okur

Safak Okur ist Head of Broking im Geschäftsbereich Corporate Risk & Broking bei WTW für Deutschland und Österreich.

Vorheriger ArtikelZahlen am deutschen Beteiligungsmarkt brachen 2023 ein
Nächster ArtikelMit dualem Vermögensdialog zur erfolgreichen Nachfolge