“Nachhaltiges Handeln ist Teil unserer DNA“

Interview mit Jürgen Kitz, CEO, JUNG

Das JUNG Smart Control 8 ist ein kapazitives Touchdisplay für die Steuerung sämtlicher Funk­tionen der JUNG Server – von der Türkommunikation bis zur Bedienung des Smart Homes
Das JUNG Smart Control 8 ist ein kapazitives Touchdisplay für die Steuerung sämtlicher Funktionen der JUNG Server − von der Türkommunikation bis zur Bedienung des Smart Homes. Foto: © jung.de

JUNG steht für mehr als 100 Jahre Erfolgsgeschichte der Elektroinstallation und Gebäude­technik. Das Familienunternehmen zählt heute mit über 1.600 Mitarbeitern, 20 Tochter­gesell­schaften und Vertretungen in rund 70 Ländern weltweit zu den führenden Mittelständlern der Elektroindustrie in Deutschland. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer Jürgen Kitz. 

Unternehmeredition: Herr Kitz, wie würden Sie Ihre Unternehmens-DNA beschreiben?

Jürgen Kitz: Seit drei Generationen lebt das Unternehmen das Motto „Fortschritt als Tradition“. Beide Aspekte, sowohl das Bewahren von Traditionen und Werten als auch die Investition in Forschung und nachhaltige Technologien, sind tief verwurzelter Bestandteil der Unternehmens-DNA. Das hängt vorrangig mit dem Selbstverständnis der Gründerfamilie zusammen, die immer eine klare Vision verfolgt hat, ohne ihre Wurzeln aus dem Blick zu verlieren. Dabei spielt die Entwicklung neuer Produkte und Systeme eine ebenso große Rolle wie die permanente Optimierung der elektrotechnischen Gebäudesystemtechnik.

Können Sie uns dafür ein Beispiel ­geben?

Smart Home, Design, Gebäudetechnik: Das Produktportfolio von JUNG deckt alle Bereiche ­einer modernen Elektroinstallation ab.
Smart Home, Design, Gebäudetechnik: Das Produktportfolio von JUNG deckt alle Bereiche ­einer modernen Elektroinstallation ab. Foto: © jung.de

Nehmen wir die Weiterentwicklung der Schuko-USB-Steckdosen: Schon vor einigen Jahren war absehbar, dass die Menge an digitalen Endgeräten steigt, ohne die flexible Bürotätigkeiten, aber auch vielerlei Aspekte unserer Freizeit nicht mehr funktionieren. Die in unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung entwickelten USB-Steckdosen sind eine sinnvolle Weiterentwicklung der klassischen Steckdose. Deren Relevanz wurde sogar nachträglich durch den Wunsch der EU verstärkt, zukünftig mobile Endgeräte ohne Ladegeräte auszuliefern. Die Jung Schuko®-Steckdose mit USB-­Ladeeinheit hat also definitiv den Zeitgeist getroffen. Und auch die nächste Evo­lutionsstufe von Steckdosen steht schon bevor. Im Oktober wird das ­System Jung Home in den Markt eingeführt und ­eine völlig neuartige Technologie für Smart-­Home-Lösungen darstellen.

Was hebt Sie von Wettbewerbern ab?

Mit höchster Präzision, feinem Gespür und Expertenwissen entwickelt und fertigt das Unternehmen seine Produkte seit jeher in Deutschland. Eine besondere Expertise liegt dabei in der Metallverarbeitung. Jung bietet die Schalterdesigns in echtem Metall an, Rahmen und Einsätze werden dabei im selben Material gefertigt. Das erfordert für über 200 verschiedene Produkte jeweils ein eigenes Werkzeug. Die Fertigungsverfahren sind exakt auf die Eigenschaften der einzelnen Metalle abgestimmt: Aluminium wird mattgebeizt oder lackiert, Edelstahl glaskugelgestrahlt, Messing gebürstet, Metall verchromt oder mit annähernd 24 Karat Gold­auflage veredelt. Viele wichtige Schritte werden hierbei von Hand erledigt. So werden beispielsweise alle Messingschal­ter mit der Hand gebürstet, beinahe zum Unikat. Dieses besondere Know-how und die handwerklichen Fähigkeiten durch die hauseigene Metallverarbeitung machen den besonderen Reiz und die hohe Qualität der Jung Schalter und Steckdosen in Echtmetall aus.

Was waren die wesentlichen Meilensteine in der Unternehmensentwicklung?

JUNG Zentrale in Schalksmühle im Sauerland
JUNG Zentrale in Schalksmühle im Sauerland; Foto: © jung.de

Das Unternehmen hat seinen Ursprung im Jahr 1912, als der Elektromechaniker Albrecht Jung mit der Erfindung eines damals neuartigen Zuglichtschalters den Markt revolutionierte. Auch 110 Jahre später setzt Jung Zeichen mit innovativer Smart-Home-Technik wie KNX- und Funk­systemen zur Steuerung der Gebäudetechnik. Technisch und gestalterisch hat sich seit der Erfindung des Jung ­Schalters im Jahr 1912 natürlich viel getan: 1950 wurde der Kippschalter, 1965 der Wippschalter, 1968 der beliebte Flächen­schalter LS 990 eingeführt. 30 Jahre später kamen Echtmetallschalterdesigns hinzu und vor wenigen Jahren folgte das minimalistische und flächenbündige Design LS Zero – um nur einige Meilen­steine der Firmengeschichte zu nennen.

Ein weiterer Meilenstein kam 2022 hin­zu: Die erst vor wenigen Wochen erhaltene Cradle-to-Cradle-Zertifizierung der Programme LS 990, AS 500, A 550, A Flow und A Creation belegt nun endlich all unsere Anstrengungen um nach­haltige Produkte, kurze Lieferketten und eine ressourceneffiziente Produktion.

Wie sind Sie bis jetzt durch die Krise(n) gekommen?

Natürlich ist Jung – genauso wie alle anderen Unternehmen in Deutschland – von diesen äußeren Parametern betroffen. Wir stellen hier weder eine Ausnahme dar noch haben wir ein Patentrezept. Wir machen einfach mit Augenmaß weiter und suchen für jede Heraus­forderung nach geeigneten Strategien. Das Jahr 2020 hat uns beispielsweise in aller Deutlichkeit vor Augen geführt – und das völlig losgelöst von der Produktpalette –, wie wichtig das Miteinander, der persönliche Kontakt, das Gespräch sind. Die letzten zwei Jahre waren geprägt von Social Distancing. Deshalb war und ist es uns extrem wichtig, den Dialog mit Fachpartnern, Planern, Archi­tekten und Bauherren weiter aufrechtzuerhalten. Im April 2020 wurde deshalb im Rahmen der Jung Architekturgespräche eine Podcast-Reihe ins Leben gerufen, die sich zu einem wunderbaren Medium entwickelt hat, auch ohne Vor-Ort-Veranstaltungen und Szene­treffs weiterhin eine rege Architekturdiskussion zu führen.

Sie produzieren an den zwei Stand­orten Schalksmühle und Lünen, also ausschließlich in Deutschland. Wie lässt sich das zu immer noch wett­bewerbsfähigen Preisen realisieren?

In Schalksmühle schlägt das Herz von Jung, denn hier befindet sich seit der Firmengründung die Unternehmens­zentrale. Neben Verwaltung, Entwicklungszentrum und Produktion sind hier auch das Kundencenter, die Akademie sowie ein umfangreicher Showroom angesiedelt.

Seit über 80 Jahren befindet sich am Standort Lünen eine Betriebstätte mit Fertigung und Logistik. Das vor etwa zehn Jahren aufwendig sanierte und modernisierte Werk zeichnet sich heute durch eine hochmoderne Produktion und flexible Prozessautomatisierung aus. Neben der Fertigung und einem Hightech-Logistikzentrum mit Hochregallager und angeschlossenem Versand befindet sich auch hier ein moderner und technikorientierter Showroom auf dem Gelände.

Bei unseren Tochterunternehmen in Lüdenscheid, Halver und Bischofswerda fertigen wir elektronische Bauteile, lackieren in eigener Regie und bringen Kunststoff in Form.

Die Produktions- und Fertigungsstätten von Jung sind technologisch auf dem höchsten Stand. Zu dieser Effizienz kommen hochprofessionelle und motivierte Mitarbeiter hinzu. Das ist der wesentliche Faktor, mit dem es uns gelingt, ein gutes Gleichgewicht zwischen nationaler Produktion und internationaler Agilität zu erreichen. Wir sind bankenunabhängig und schätzen den für uns sehr wichtigen sozialen ­Aspekt mit unseren Menschen. Das Unternehmen agiert nicht nach den für uns eher wenig ethischen Prinzipien der Gewinnmaximierung.

Haben Sie schon daran gedacht, die Produktion ins Ausland zu verlagern?

Nein.

Sie verfügen über drei Unternehmensbeteiligungen. Ist das ein ausbaufähiges Modell?

Es sind sogar mehr als drei – wir sprechen jedoch nicht über jedes Engagement. Unsere Beteiligungen ergänzen entweder unsere Fertigung oder stehen in direktem Bezug zu unserem operativen Geschäft. Zukünftig sehen wir eine Erweiterung um Servicedienstleistungen, die smarte Gebäude bieten können, aber auch Beteiligungen bei Start-ups sind Teil unserer Aktivitäten. Das sind jedoch alles Vorgänge, die wir nicht offensiv kommunizieren.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen?

Bei Jung ist nachhaltiges Handeln seit jeher Bestandteil der Unternehmensphilosophie. Durch die Produktion ausschließlich in Deutschland setzen wir auf das Prinzip der kurzen Wege sowie auf eine umweltschonende Beschaffung und Logistik. Wir verfügen über ein regio­nales Netzwerk spezialisierter Zulieferer sowie deutschlandweite Vertreterlager. Vollautomatische Kommissionierung, materialsparende Verpackung und eine optimierte Logistik helfen, das Transportaufkommen und die Anzahl der Sendungen spürbar zu senken.

Eine lange Produktlebensdauer ist uns wichtig. Der gesamte Lebenszyklus der Architektur und der für sie verwendeten Bauprodukte rückt immer stärker in das Bewusstsein der Nutzer und beeinflusst ebenso unsere Fertigung wie unsere Produkte. Die erfolgreiche Cradle-to-Cradle-(C2C-)Zertifizierung belegt dies nun auch eindrucksvoll.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Nachhaltigkeitsstrategie sind permanente Forschung und Entwicklung. Im Fokus stehen langlebige Produkte für die effiziente Gebäudetechnik und die Integration neuer Technologien in unse­re Systeme, mit dem Ziel, das Energiesparpotenzial durch die smarte technische Gebäudeausstattung zu optimieren.

Ihr Unternehmen ist familiengeführt, aktuell in der dritten Generation. Wird das auch in Zukunft so bleiben?

Bis 2020 führte Harald Jung in dritter Generation mit seinen beiden Kollegen Martin Herms und Michael Eyrich-Ravens die Geschicke des Unternehmens. Im März 2020 wechselte Harald Jung als Vorsitzender in den Aufsichtsrat, seine Position des Geschäftsführers für den Bereich Marketing und Vertrieb liegt bei mir. Michael Eyrich-Ravens verantwortet weiterhin den kaufmännischen und Martin Herms den technischen Bereich in der Geschäftsführung. Jung ist und bleibt auch weiterhin in Familienhand.

Wie sind Ihre Geschäftserwartungen für dieses und nächstes Jahr?

Die geopolitische Entwicklung und auch die Verknappung der Lieferfähigkeit von Halbleitern sind heute bereits eine Herausforderung. Die Inflation und die Zinsentwicklung werden auch ihren Beitrag zum Baugeschehen haben, ganz zu schweigen vom Fachkräftemangel.

Wir sind jedoch zuversichtlich, diesen Umständen mit Augenmaß zu begegnen. Insgesamt sind wir in der richtigen Branche – das verstärkte Bewusstsein für die effiziente Nutzung von Energie wird unsere Bedeutung langfristig eher steigern.

Planen Sie weiteres Wachstum?

Ja.

Wollen Sie weiter international expan­dieren – und wenn ja, wie und wo?

Ja, darüber kann ich hier jedoch noch nicht sprechen.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in zehn oder 20 Jahren?

Örtlich betrachtet ist die Frage nach dem „Wo“ leicht zu beantworten: Wir haben in den letzten Jahren die Jung Villa am Standort in Schalksmühle sehr aufwendig saniert – insofern werden wir auf ­alle Fälle unseren bisherigen Standorten treu bleiben. Als selbstbestimmtes, global agierendes Familienunternehmen bekennen wir uns zu „made in

Germany“, setzen auf Tradition und gestalten gemeinsam den Fortschritt. Wir verstehen uns als Partner von Planern und Bauherren und suchen immer wieder nach Lösungen, die dem Bedarf und Zeitgeist entsprechen. Die nächsten 20 Jahre wer­den sicherlich Produktentwicklungen mit sich bringen, an die wir heute noch nicht einmal denken können. Hier müs­sen wir uns alle überraschen lassen!

Herr Kitz, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!


ZUR PERSON

Jürgen Kitz; Foto: © jung.de

Jürgen Kitz ist seit März 2020 Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Jung. Das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität-Gesamthochschule Siegen schloss Kitz im Jahr 1999 erfolgreich als Diplom-Kaufmann ab. Seinen MBA absolvierte er 2002 an der School of Management an der University of Bath. Mit nationalen und internationalen Aufgabenstellungen in Vertriebsleitung und Geschäftsführung greift der gelernte Energieanlagenelektroniker auf 20-jährige Erfahrung im Bereich der Automation und Gebäudetechnik zurück.

 


KURZPROFIL

Albrecht Jung GmbH & Co. KG

Gründungsjahr1912
BrancheElektro
UnternehmenssitzSchalksmühle
Standorte20 Tochterunternehmen und 70 Vertretungen in Europa, dem Nahen und Mittleren Osten, in Asien und Nordamerika
Mitarbeiterzahlüber 1.600

www.jung.de

Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition 3/2022 erschienen.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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