
Im Jahr 2015 übernahmen die beiden Schwestern Arabelle Laternser und Larissa Zeichhardt mit Anfang 30 von heute auf morgen das Familienunternehmen. Nach der erfolgreichen Konsolidierung wird die LAT-Gruppe heute fit die digitale Zukunft gemacht.
Unternehmeredition: Frau Zeichhardt, Sie haben vor zehn Jahren mit Ihrer Schwester Arabelle Laternser sozusagen „über Nacht“ den mittelständischen Betrieb Ihres Vaters übernehmen müssen, nachdem dieser unerwartet verstorben war. Wie haben Sie das seinerzeit geschafft?
Larissa Zeichhardt: Zunächst war es gut, dass mein Vater frühzeitig die Nachfolge geregelt hatte. Meine Schwester Arabelle sollte das Unternehmen später einmal führen und langfristig aufgebaut werden. Zudem war vorgesehen, dass alle vier Töchter Anteile am Unternehmen erhalten sollten. Durch den unerwarteten Schicksalsschlag musste Arabelle früher die Führung übernehmen. Ich war schwanger und habe dann meinen Mutterschutz genutzt, um nach Berlin zu kommen und sie dabei zu unterstützen. Wir wollten verhindern, dass das Familienunternehmen ins Bodenlose fiel. Es hingen auch viele Arbeitsplätze an unserer Entscheidung.
Welche Maßnahmen haben Sie seinerzeit eingeleitet?
Wir vier Geschwister hatten einen Notfallplan für die ersten 90 Tage. In den ersten 30 Tagen stand die Kommunikation mit den Mitarbeitern, den Kunden und den Banken im Fokus; die Zahlung der Löhne musste garantiert werden. Das bedeutete, klare Ansagen zu machen, dass die Leitung des Unternehmens jetzt in der Hand von zwei Frauen Anfang 30 lag. Unser Vater hatte vieles per Handschlag geregelt. In den kommenden 60 Tagen ging es darum, die rechtlichen Rahmenbedingungen neu zu justieren und die Liquidität für die kommenden drei Jahre zu sichern. Im Zuge der Neustrukturierung des Familienerbes wurde dann auch ein Family Office gegründet. So gelang es uns, das Unternehmen und Lebenswerk unseres Vaters zu retten und wieder auf Kurs zu bringen.
Kaum waren Sie einigermaßen in ruhigem Fahrwasser, standen die letzten fünf Jahre im Zeichen von ständigen äußeren Krisen, auf die Sie keinen Einfluss hatten: erst die Coronapandemie, dann welt- und innenpolitische Konflikte, die die Leitung eines Familienunternehmens nicht unbedingt einfach gemacht haben.
Ja, aber davon sind ja alle Familienunternehmen betroffen. Natürlich könnte man über den Bürokratiewahn oder den Fachkräftemangel jammern – aber das ist nicht unser Naturell. Wir versuchen, mit der Kreativität unserer Mitarbeiter, mit Innovationen und dem Einsatz von KI den Krisen zu trotzen und vor allem die LAT-Gruppe nachhaltig für die Zukunft aufzustellen. Nicht zuletzt sind wir gezwungen, Prozesse zu automatisieren, auch um unsere Mitarbeiter angemessen bezahlen zu können.
Beginnen wir mit der Kreativität Ihrer Mitarbeiter. Wie profitiert das Unternehmen davon?
Wir befinden uns in einem ständigen Prozess, unsere Mitarbeiter zu motivieren, innovativ und nachhaltig in der täglichen Arbeit zu sein. Wir setzen auf lebenslanges Lernen und Gamification. Das bedeutet, wir vermitteln neue Themen auch mal spielerisch. Ein weiteres Credo lautet: Jeder darf, aber keiner muss. Auf diese Weise wird die Angst vor Veränderungen kleiner. In unsere Kaffeeküche gibt es eine Ideenwand der guten alten analogen Art, wo Zettel mit Vorschlägen angeheftet werden. Da kommen coole Vorschläge – auch für kleine Dinge, die in der täglichen Arbeit leicht übersehen werden können. Oder nehmen wir unsere beiden Mitarbeiter, die leidenschaftliche Angler sind, als wir überlegt haben, wie wir unsere Baucontainer mit erneuerbaren Energien versorgen könnten. Diese werden oft umgestellt, und damit kam ein fest installiertes Solarpanel auf dem Dach nicht infrage. Als Angler nutzen sie ausrollbare Solarpanels, und so schlugen sie uns vor, diese auch für die Baucontainer zu nutzen. Ein Werkstudent prüfte diese und andere Ideen. Lösungen, die wir pragmatisch umsetzen können, faszinieren uns. Gelegentlich sind wir aber auch gezwungen, unser Team zu bremsen.
Wieso das?
Als Mittelständler müssen wir immer noch die Balance zwischen Innovationsprojekten und dem Tagesgeschäft finden. Natürlich würden wir gern alle größeren Baumaschinen emissionsfrei betreiben, aber eine solche Umrüstung muss erst einmal erwirtschaftet werden. Und natürlich ist es auch sinnvoll, alles digital zu speichern. Aber bei aller Papierlosigkeit sollte auch auf den hohen Energieverbrauch der Rechenzentren bei der Verarbeitung und Speicherung von Daten geachtet werden. So müssen wir Schwerpunkte setzen. Die sehen wir vor allem im Bereich der Kreislaufwirtschaft oder im Digitalisieren von Planungsunterlagen. Letzteres testen wir aktuell mit unserem Roboterhund Spot.
Was erschnüffelt dieser?
Wir haben in Deutschland kein digitales Kabelkataster. Was zu finden ist, sind 20 Jahre alte Unterlagen, ergänzt durch Betreiberabfragen. Da klafft eine Lücke zwischen Ist-Zustand und Vermutung. Wenn da ein Baggerfahrer versehentlich eine Hauptleitung trifft, ist der wirtschaftliche Schaden immens. Der von uns gemeinsam mit der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft entwickelte Roboterhund läuft selbstständig vor und hinter unseren Bautrupps her und zeichnet die gesamte vorhandene Bausubstanz auf. Damit hilft er uns vor allem bei der lückenlosen Dokumentation des Baugeschehens. Die erste Machbarkeitsstudie war so erfolgreich, dass wir nun mit der RWTH Aachen und anderen Partnern prüfen, ob wir die Daten direkt in einen digitalen Zwilling einspielen können.
Bei LAT beschäftigt man sich auch sehr intensiv mit dem Thema KI, und auf Ihrem 2021 neu eröffneten Firmengelände haben Sie auch Räume an bewusst ausgewählte Start-ups vermietet, an denen Sie auch teilweise über Ihr Family Office beteiligt sind – darunter Lindera, die eine Sturz-App für die Pflege entwickelt hat, und das Start-up Feniska, das KI-gesteuerte Analysen für die Gesundheit von Katzen verkauft. Was bringt Ihnen diese Zusammenarbeit?
In erster Linie den Blick über den eigenen Tellerrand: Wie ticken diese jungen Unternehmen, wie sind ihre Strukturen, wie ihre Entwicklungsprozesse? Dann dreht sich alles irgendwie um die Themen KI und Mobilität. Auch pflegebedürftige Menschen wollen mobil sein und am öffentlichen Nahverkehr teilhaben. Technik kann dabei helfen. Wir wollen ja auch Pionier in der Verkehrswende sein.
Wie definieren Sie die Verkehrswende?
Für uns bedeutet Verkehrswende sowohl im ländlichen als auch im städtischen Bereich: sicher, schnell und zuverlässig. Um das zu erreichen, bedarf es noch vieler Anstrengungen. Da müssen wir auch in der Ausbildung neue Maßstäbe setzen – zum Beispiel, indem wir analoge Berufsbilder stärker mit digitalen Inhalten versehen.
Mit wem kooperieren Sie bei diesem Thema?
Das geschieht dann beispielsweise auf unserem Campus Hütte in Eisenhüttenstadt. Dort gibt es eine großartige Zusammenarbeit mit dem dortigen Oberstufenzentrum. Da lernen nicht nur die Azubis von Tesla oder der Berliner Flughafenfeuerwehr, sondern auch die vom Stahlwerk von ArcelorMittal. Es gibt dort auch ein Innovationslabor, in dem beispielsweise mittels einer virtuellen Brille die Reinigung eines Hochofens verfolgt werden kann; ein Prozess, der nur alle zwei Jahre stattfindet und daher schwer trainiert werden kann.
Wie ist es zu der Idee eines eigenen Campus gekommen?
Unser Vater hatte dort in den 1990er-Jahren ein Hotel und ein Gewerbegrundstück erworben, deren Hallen wir mit Solartechnik ausgestattet haben. Aktuell planen wir dort auch den Bau von Studentenwohnungen, um noch attraktiver für junge Leute zu werden. Aber es gibt dort auch eine Tagespflege für Senioren, also die Mischung stimmt. All das ist nachhaltig geplant, denn auch hier wollen wir unseren Fachkräftenachwuchs perspektivisch gewinnen und so schlussendlich unser Unternehmen zukunftsfest machen.
Frau Zeichhardt, vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Torsten Holler.
👉 Diese Fallstudie ist auch in der Unternehmeredition 1/2025 mit Schwerpunkt “Unternehmensnachfolge” erschienen.
ZUR INTERVIEWPARTNERIN
Larissa Zeichhardt studierte Elektrotechnik und arbeitete bei einem Verpackungshersteller in Zürich, wo sie sich um Innovationen und Digitalisierung kümmerte. Mit ihrer Schwester Arabelle Laternser übernahm sie vor zehn Jahren das Unternehmen LAT. Die Abkürzung steht für die Anfangsbuchstaben des Nachnamens von Heinz Laternser, der das Unternehmen 1969 im Alter von 23 Jahren gegründet und zu einem mittelständischen Betrieb im Bereich von Funk- und Fernmeldeanlagen aufgebaut hatte. Unter dem Dach der Gruppe sind zwei größere Bereiche angesiedelt: die LAT Fernmelde-Montagen und Tiefbau GmbH, die von Arabelle Laternser geleitet wird, und die LAT Funkanlagen-Service GmbH unter der Geschäftsführung von Larissa Zeichhardt. Das Unternehmen ist unter anderem für die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Deutsche Bahn tätig. Zudem liefert LAT auch Schwesternrufsysteme für Krankenhäuser und Sicherheitstechnik für Justizvollzugsanstalten. Darüber hinaus sitzt Larissa Zeichhardt im Aufsichtsrat der Berliner Volksbank und engagiert sich als Mentorin im Gründernetzwerk Startup Teens, das junge Menschen zu Unternehmern ausbilden will.
KURZPROFIL LAT-Gruppe
Branche: Verkehrswirtschaft, Informations- und Kommunikationstechnologie
Gründungsjahr: 1969
Firmensitz: Berlin
Mitarbeiter: 130
Umsatz: rund 20 Mio. EUR
Website: www.lat.de