„Man sollte mit einer nötigen Transformation nicht warten“

Interview mit Markus Otto und Tobias Schätzmüller, Managing Partner bei Clearwater International

Immer wieder Krisen, neue Vorschriften und Gesetze – Betriebe in Deutschland sehen sich aktuell vor großen Herausforderungen und Transformationen.
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Immer wieder Krisen, neue Vorschriften und Gesetze, Anforderungen in Sachen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Compliance – Betriebe in Deutschland sehen sich aktuell vor großen Herausforderungen. Wir sprachen mit Markus Otto und Tobias Schätzmüller, beide Managing Partner bei Clearwater International, über die aktuellen Herausforderungen für Unternehmen.

Unternehmeredition: Welches sind aus Ihrer Sicht aktuell die wichtigsten Treiber für Transformation in Unternehmen?

Markus Otto: Über das regulatorische Umfeld im Zusammenspiel mit nachfrageseitigen Anforderungen wird auf Unternehmen aus nahezu allen Branchen ein starker Transformationsdruck ausgeübt. Im Kern geht es also um eine wachsende Zahl von Vorschriften sowie Reporting-Verpflichtungen. Diese Anforderungen zwingen viele Firmen dazu, bestehende Prozesse anzupassen und Berichtssysteme neu aufzusetzen. Ein wichtiges Stichwort ist beispielsweise das Lieferkettengesetz mit seinen umfangreichen Bestimmungen im Bereich der Dokumentation und Transparenz. Viele Herausforderungen bringt auch die kundenseitige Nachfrage nach ESG-konformen Angeboten für die Unternehmen mit sich. Auswirkungen betreffen Produkte und Dienstleistungen ebenso wie mögliche Beteiligungen oder Kreditvergaben. Die Aufgaben zur Reduzierung des Carbon Footprint der Produkte, Dienstleistungen und Produktionsprozesse sind gewaltig.

Welche dieser Treiber sind besonders kostenträchtig und benötigen aus Ihrer Sicht besonders hohe Investitionen? In welchen Branchen herrscht besonderer Druck?

Tobias Schätzmüller: Eine große Herausforderung für Unternehmen besteht darin, ihre Lieferketten nachhaltig auszurichten. Dies erfordert ein aktives Lieferantenmanagement und gegebenenfalls eine Umstellung auf andere Lieferanten. Die gestiegenen Anforderungen an Nachhaltigkeit im Kontext der Circular Economy zwingen in vielen Fällen zu einem angepassten Produktdesign oder auch zum Einsatz von wiederverwertbaren Rohstoffen. Stichworte wie Re-Use, Re-Manufacturing und Recycling bekommen einen immer höheren Stellenwert. Grundsätzlich sind hohe Investitionen in Aufbau und Monitoring entsprechender Lieferketten, Produktionsverfahren, Rücknahmesysteme, Verfahren zur Wiederverwertung zu erwarten. Darüber hinaus sind Unternehmen mit hohen Kosten aufgrund der Umstellung des Energiemixes und zur Reduzierung der Abhängigkeiten von fossilen Brennstoffen konfrontiert. Besondere Risiken sehe ich auf der einen Seite im energieintensiven produzierenden Gewerbe und bei Branchen mit spezifischem Transformationsdruck wie der Automobilindustrie. Auf der anderen Seite entwickeln sich Marktchancen für Dienstleister im Bereich der Circular Economy, Anbieter von Lösungen im Bereich der erneuerbaren Energie und für Entwickler umweltschonender Technologien.

Teilen Sie die Beobachtung, dass viele Unternehmen in der Dekade niedriger Zinsen und guter Gewinne das Modernisieren ihrer Geschäftsmodelle vernachlässigt haben? Das rächt sich nun in der Phase hoher Zinsen und nachlassender Konjunktur.

Otto: Das Niedrigzinsumfeld und coronabezogene Erleichterungen haben einerseits sicher dazu geführt, dass sich Unternehmen teilweise noch günstig finanzieren konnten und von dieser Seite ein geringerer Druck ausgeübt wurde, die Geschäftsmodelle anzupassen. Andererseits unterliegen gerade Unternehmen im deutschen Mittelstand seit Langem hohen Personal-, Energie- und Materialkosten. Der entsprechende Handlungsdruck hat in der Vergangenheit bereits zu Produktionsverlagerungen und optimierten Lieferketten geführt. Diese optimierten Prozesse wurden aufgrund externer Schocks wie COVID, Verknappung von Rohstoffen und Vormaterialien und damit verbundenen Lieferengpässen massiv gestört. Branchenspezifisch lässt sich festhalten, dass viele Zulieferer der Automobilindustrie lange an der Verbrennertechnologie festgehalten, den Transformationsdruck in Richtung Elektrifizierung und Digitalisierung unterschätzt und so neuen Marktteilnehmern aus der Technologiebranche oder aus China die Möglichkeit gegeben haben, die entstehende Lücke zu füllen. Allerdings können elektrifizierte Antriebstechnologien aufgrund der deutlich geringeren Komplexität auch nicht alle aktuellen Lieferanten aus dem Verbrennerbereich absorbieren, sodass es hier unweigerlich zu Marktbereinigungen und Konsolidierung kommen muss.

Wenn anstehende Transformationsinvestitionen einen Verkauf auslösen, drückt das nicht wahnsinnig auf den Preis? Ist es dann nicht sinnvoller, mit dem Verkauf zu warten?

Schätzmüller: Es ist nicht sinnvoll, bei einer erforderlichen Transformation zu warten, da die Lücke ansonsten von anderen Marktteilnehmern geschlossen und das Unternehmen aus dem Markt gedrängt wird. Es kann höchstens eine Lösung sein, bewusst eine „Last-Man- Standing-Strategie“ zu verfolgen. Das kann sinnvoll sein, wenn geringe bis keine Investitionen in Produktweiterentwicklung und neue Produktionsprozesse erforderlich sind, die Preissensitivität der Kunden abnimmt und Wettbewerber aus dem Markt verschwinden. Ein Unternehmen, das technologisch für die Transformation gut aufgestellt ist, durch entsprechendes Know-how, erste Pilotprojekte und nachhaltige Kundenbeziehungen, wird Investoren finden, die die Potenziale des Unternehmens über eine entsprechend zukunftsorientierte Bewertung angemessen berücksichtigen.

Worauf sollten Käufer oder Verkäufer besonders achten, wenn bei einem Unternehmen Transaktionen anstehen?

Otto: Im Vorfeld ist eine interne Due Diligence wichtig, um Überraschungen bei der Due Diligence durch Dritte zu vermeiden. Aufseiten der Verkäufer braucht es eine durchdachte Equity Story, die die Differenzierungsmerkmale des Unternehmens herausstellt. Wichtig ist auch ein aussagekräftiger Businessplan zusammen mit einer belastbaren Bottom-up-Umsatz- und Ergebnisplanung. Ich empfehle eine gründliche, professionelle und investorengerechte Vorbereitung und Umsetzung des Verkaufsprozesses. Dazu gehört eine parallele und internationale Ansprache passender strategischer und finanzieller Investoren. Auf der Seite der Käufer und Investoren ist eine detaillierte strategische Fit-Analyse entscheidend. Dazu gehören die Produkte, Technologien, Kunden und Anwendungen sowie auch Standorte und die Unternehmenskultur. Die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells des Zielunternehmens ist ein bestimmender Faktor für die Attraktivität aus Käufersicht. Hinzu kommen natürlich die „Klassiker“ wie Due Diligence in den Bereichen Finance, Operations, Legal, Tax, Environmental, Human Resources und ESG.

Ist es in den Zeiten der aktuellen Krisen schwieriger, Unternehmen zu verkaufen – vor allem bei Krisen- oder Restrukturierungsfällen?

Schätzmüller: Eine Antwort auf diese Frage hängt sicher von der jeweiligen Krisenursache ab; zu differenzieren ist die strategische, bilanzielle oder Liquiditätskrise. Eine pauschale Antwort ist daher nicht möglich. Ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Transaktion ist, inwieweit die Finanzierungspartner des jeweiligen Unternehmens bei einem Eigentümerwechsel an Bord bleiben. Im Kern gelten die gleichen Faktoren wie beim klassischen Unternehmensverkauf: attraktives, zukunftsfähiges Geschäftsmodell, strategischer Lieferant bei Kunden, keine beziehungsweise sehr limitierte Austauschbarkeit des Produkts/der Dienstleistung sowie Markt- und Wachstumschancen. Dies muss in eine aussagefähige und investorengerechte Equity Story überführt werden. Green Deal und ESG-Komponenten sind entsprechend zu berücksichtigen. Ferner bleibt festzuhalten, dass es mittlerweile unverkäufliche Unternehmen gibt, für die Investoren in der Phase der Transformation der Wirtschaft keine Verwendung mehr haben. Zudem wird eine Finanzierung in der aktuellen Situation anspruchsvoller, wenn und insoweit Leverage angedacht ist.

Wie kann ein Käufer verlässliche Prognosen bezüglich der Marktentwicklung stellen – oder führt die aktuelle Unsicherheit zu massiven Preisabschlägen?

Schätzmüller: Im Bieterumfeld ist der strategische Bieter vom Finanzinvestor zu unterscheiden. So kann der strategische Investor auch in Zeiten der Transformation und Unsicherheit attraktive Preise darstellen. Das Finanzierungsumfeld ist je nach Sektor und Geschäftsmodell gegebenenfalls ein limitierender Faktor mit entsprechendem Einfluss auf die Bewertung und die Höhe des Kaufpreises. Intelligente und justiziable Kaufpreisstrukturen können nach wie vor attraktive Kaufpreise darstellen, in der Regel geknüpft an Performancebedingungen. Unsicherheit führt in der Regel zu Kaufpreisabschlägen. Eine Verallgemeinerung ist hierbei nicht sinnvoll, sondern es kommt auf die Einzelfallbetrachtung an.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.


ZU DEN PERSONEN 

Markus Otto ist Managing Partner bei Clearwater International und verfügt über 25 Jahre Corporate-Finance-Erfahrung. Er leitet als Head of Industrials & Chemicals den Industriesektor im deutschsprachigen Raum und verantwortet zudem die Führung des internationalen Special-Situations-Bereichs bei Clearwater.

Tobias Schätzmüller ist Managing Partner bei Clearwater International. Die Automobilindustrie ist ein stetiger Begleiter seiner 25-jährigen Karriere im Corporate-Finance-Geschäft. Seit 2010 fokussiert er sich auf den Sektor Automotive & Mobility, der sich wie kaum ein anderer durch globale Lieferketten, hohe Dynamik und vielfältige technologische Neuerungen auszeichnet und dessen Leitung er als International Head of Mobility bei Clearwater International innehat.



Dieser Beitrag ist in der aktuellen Magazinausgabe 3/2023 der Unternehmeredition mit Schwerpunkt “Unternehmensverkauf” erschienen.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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