Oliver Zeidler zählt zu den besten Ruderern der Welt – Olympiasieger, Weltmeister, Ausnahmesportler. Im Interview spricht der ehemalige Schwimmer über seinen Wechsel zum Rudersport, mentale Stärke auf und neben dem Wasser und die Frage, warum Perfektion im Spitzensport manchmal im Weg stehen kann.
Unternehmeredition: Herr Zeidler, Sie kamen spät zum Rudersport und gehören heute zur Weltspitze – was hat Sie in so kurzer Zeit so erfolgreich gemacht?
Oliver Zeidler: Im Schwimmsport bin ich an die Grenzen meiner Entwicklungsmöglichkeiten gekommen, obwohl ich immer hart trainiert habe. Als ich zum Rudern gewechselt bin, konnte ich von Einheit zu Einheit Verbesserungen sehen, ich bin immer schneller geworden, und das gab mir die Motivation und Hoffnung, es bis nach Olympia zu schaffen und mir meinen Lebenstraum zu erfüllen. Ich habe jede Sekunde meiner Freizeit damit verbracht, mich im Rudersport zu verbessern, Rennvideos zu analysieren und neue Materialien auszuprobieren. Ich hatte nichts zu verlieren – ich hatte einfach Spaß, die Ruderwelt auf den Kopf zu stellen. Dabei habe ich stets meine Gegner analysiert, Taktiken angepasst und versucht, so agil wie möglich bei der Adaption zu sein. Die von mir geschaffenen, schlanken Strukturen und der unbedingte Wille, sich stetig zu verbessern, haben mich da hingebracht, wo ich heute stehe.
Im Mittelstand stehen viele Unternehmer vor disruptiven Veränderungen. Was würden Sie raten, wenn es darum geht, in kurzer Zeit auf ein neues Geschäftsmodell oder eine neue Branche umzusteigen?
Hier kann man fast eins zu eins meine Erfahrung aus dem Umstieg vom Schwimmen ins Rudern heranziehen. Ein schneller, erfolgreicher Umstieg erfordert ein gleichzeitiges Vorantreiben von Marktverständnis, agilen Strukturen, Kompetenzaufbau. Entscheidend ist, dass sich auch Unternehmen regelmäßig auf die Probe stellen und ihre Strategie an die Gegebenheiten anpassen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren.
Leistungssport erfordert enorme Disziplin und Zielstrebigkeit. Wie strukturieren Sie Ihren Alltag, um dauerhaft auf höchstem Niveau zu performen?
Mir helfen feste Routinen, gezielte Trainingseinheiten, deren Inhalt vollständig auf mich abgestimmt sind und deren Nutzen ich verstehe, Regeneration, hochwertige Ernährung und mindesten sechs Stunden Schlaf. All das bildet das Fundament, sich im täglichen internationalen Wettbewerb beweisen zu können.
In Ihrem Umfeld gibt es kaum Platz für Mittelmaß – wie schaffen Sie es, trotz Druck und Erwartungen fokussiert zu bleiben, ohne auszubrennen?
Durch das Setzen von Prioritäten, ein starkes Körpergefühl mit Bewusstsein für mentale und physische Gesundheit kann ich unter großem Druck leistungsfähig bleiben und vermeide es, auszubrennen.
Was war in Ihrer Karriere der entscheidende Wendepunkt – und was war Ihre wichtigste Entscheidung?
Der entscheidende Wendepunkt war in München 2022: Bei der Europameisterschaft auf meiner Heimstrecke, auf der mein Großvater 50 Jahre zuvor Olympiagold gewonnen hatte, bin ich nur Vierter geworden. Infolgedessen habe ich mich nach dem Rat eines ehemaligen Ruderers dazu entschieden, eine Sportpsychologin zu kontaktieren. Nachdem ich mit der Arbeit gestartet hatte, bereute ich, nicht früher damit begonnen zu haben. Ich habe es geschafft, nur wenige Wochen nach der Niederlage von München erneut Weltmeister zu werden, was eine große sportliche und psychologische Leistung gewesen ist und was mich ab diesem Zeitpunkt positiv beeinflusst hat.
Im Rudersport sind Teamarbeit und individuelle Höchstleistung gleichermaßen gefragt. Wie definieren Sie Leadership und Zusammenarbeit in Ihrem Sport – und was können Unternehmer davon übernehmen?
Klare Zielvorgaben, Eigenverantwortung und ein Netzwerk mit direkter Feedback-Kultur sind der Schlüssel zu Spitzenleistung. Ich setze meinem Team und mir klare Renn- und Trainingsziele, strukturiere meinen Tag akribisch und halte mich „accountable“, da am Ende ich es bin, der die Verantwortung im Boot trägt und seine Leistung abrufen muss. Die Zusammenarbeit mit Coach, Physiotherapeut, Sportpsychologin und Ernährungsberatern lebt von kurzem, ehrlichem Feedback und schnellen Anpassungen meiner Technik und Taktik.
Ihr familiärer Hintergrund ist stark vom Leistungssport geprägt – welchen Einfluss hatten Ihre Eltern und Großeltern auf Ihre Entwicklung, und wie wichtig ist ein unterstützendes Umfeld für den Erfolg?
Ich verdanke meiner Familie so viel. Mein Großvater, selbst Olympiasieger, hat mich schon als Kind mit Geschichten von Olympia begeistert und mir den Ehrgeiz vermittelt, auch einmal bei Olympia dabei zu sein. Mein Vater Heino, selbst erfolgreicher Ruderer, wurde mein Trainer; er strukturiert mein Training, gibt mir Rückhalt und half mir, Niederlagen als Lernchance zu sehen. Ohne mein Netzwerk aus Familie, Freunden und Unterstützern wäre der Olympiasieg 2024 undenkbar gewesen.
Neben dem Sport engagieren Sie sich als Redner und studieren Business Administration im Master – welche beruflichen Stärken sehen Sie bei sich jenseits des Bootes, und wohin möchten Sie sich langfristig entwickeln?
Aktuell versuche ich, in meinem Studium herauszufinden, in welche Richtung ich mich nach meiner sportlichen Karriere entwickeln möchte, um auf meinem Weg zu den Olympischen Spielen in LA 2028 bereits erste Schritte auf diesem Weg zu machen. Ich möchte Verantwortung übernehmen und meine Fähigkeiten aus der sportlichen Transformation und meiner beruflichen Erfahrung durch die bereits neun Jahre bei Deloitte nutzen, um auch abseits des Rudersports Menschen und Unternehmen zu inspirieren und zu führen.
Das Interview führte Eva Rathgeber.
KURZPROFIL
Geboren: am 24. Juli 1996 in Dachau
Familienstand: ledig
Beruf: Ruderer im Einer-Skull, ehemaliger Schwimmer
Erfolge:
- Olympiasieger 2024
- Mehrfacher Weltmeister im Rudern (2019, 2022, 2023)
- Europameister (2019, 2021, 2024)
- Olympiateilnehmer (Tokio 2021)
- Zahlreiche Weltcup-Siege
Website: www.ollizeidler.com