M&A-Markt und Claims: Zwischen Unsicherheit und Transformation 

Wie sich Verkäufer schützen können und was im Schadensfall zu beachten ist

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Entscheider bewegen sich weiterhin im Spannungsfeld zwischen Unsicherheit und Transformationsdruck. Makroökonomische Einflussfaktoren und unterschiedliche Preisvorstellungen prägen das M&A-Geschehen – und führen oftmals zu Transaktionsabbrüchen oder Auseinandersetzungen nach dem Closing, berichten Experten von PwC Deutschland im Gespräch. 

Unternehmeredition: Wir erleben weiter turbulente Zeiten. Welche Auswirkungen hatten die jüngsten makroökonomischen Verwerfungen auf den M&A-Markt?

Klimpe: Nach dem Boom der letzten Jahre sind die Aktivitäten in der ersten Jahreshälfte spürbar zurückgegangen. Dies betraf sowohl die Anzahl der Transaktionen als auch das Gesamtvolumen, das im Vergleich zur zweiten Jahreshälfte 2022 um 4% gesunken ist. Zu den wesentlichen Ursachen für diesen Rückgang gehören der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und die steigenden Zinsen – diese makroökonomischen Faktoren und Unsicherheiten haben entscheidend dazu beigetragen, dass Marktteilnehmer eher zögerlich agieren.

Schleis: Umso erfreulicher sind die jüngsten Entwicklungen: Die Pipeline unserer Mandanten füllt sich wieder, denn die ­Inflationsraten gehen zurück, die Zinsen nähern sich ihrem Höhepunkt und die US-Schuldenkrise wurde abgewendet. Auf ­Basis unserer Einblicke in den M&A-Markt sind wir optimistisch, dass die Akteure in den kommenden Monaten wieder aktiver werden. Auch wenn möglicherweise weniger Transaktionen im Large-Cap-Bereich anstehen, rechnen wir insgesamt mit einer höheren Anzahl von Deals.

Erwarten Sie zugleich mehr M&A-Konflikte?

Schleis: Ja. Wir beobachten auf dem M&A-Markt seit einiger Zeit ein Spannungsfeld mit hohem Konfliktpotenzial: Verkäufer stellen weiterhin hohe Kaufpreisforderungen, während sich Käufer mit gestiegenen Finanzierungskosten konfrontiert sehen. Damit wächst die Enttäuschungsgefahr, und enttäuschte Käufer prüfen erfahrungsgemäß, ob vertragliche Anspruchsgrundlagen bestehen, um Kaufpreise im Nachgang zu reduzieren. Diese Entwicklung nimmt Fahrt auf, weil M&A-Claims ­typischerweise erst drei bis 24 Monate nach der Transaktion entstehen. Entsprechend erwarten wir eine Zunahme an M&A-Auseinandersetzungen.

Welche vertraglichen Möglichkeiten haben Käufer, um Kaufpreise nachträglich zu reduzieren oder Schäden geltend zu machen?

Bauer: In der Praxis findet sich in M&A-Verträgen eine Vielzahl von Preisanpassungsmechanismen, Garantie- und Gewährleistungsregelungen sowie Freistellungsklauseln. So enthält etwa die Hälfte aller Unternehmenskaufverträge (SPAs) variable Kaufpreismechanismen. In einem volatilen Marktumfeld sind diese besonders nützlich, um sich vor Wertänderungen zwischen Signing und Closing zu schützen: Parteien vereinbaren einen vorläufigen Kaufpreis, der später auf Basis der tatsächlichen Wertverhältnisse zum oder nach dem Closing aktualisiert wird. Je nach Größe, Struktur und Ausgestaltung der Transaktion können zwischen Signing und Closing mehrere Wochen oder Monate vergehen.

At a glance − Trends in M&A transactions; Quelle: PwC

Stichwort Garantie-, Gewährleistungs- und Freistellungsklauseln: Wie können sich Verkäufer vor Haftungsansprüchen schützen?

Klimpe: Ein Instrument, das sich bei M&A-Transaktionen inzwischen etabliert hat, ist die sogenannte Warranty-&-Indemnity-Insurance (W&I-Versicherung). Mit einer solchen Police können Verkäufer Risiken, die sich aus Gewährleistungs- und Freistellungsversprechen ergeben, an einen Dritten – den Versicherer – auslagern: Entpuppt sich ein Versprechen als faktisch falsch, macht der Käufer seinen Schaden nicht gegenüber dem Verkäufer, sondern gegenüber dem Versicherer geltend. Basierend auf unseren Beobachtungen sowie ­aktuellen Marktstudien kommt es nach 15% bis 20% der M&A-Transaktionen zu Schadensmeldungen an W&I-Versicherungen.

Was sind in solchen Fällen typische Anspruchsgrundlagen?

Schleis: Enttäuschte Käufer nehmen oft zunächst Finanzinformationen wie Jahres­abschlüsse sowie steuerliche Sachverhalte in den Blick, um Kaufpreise im Nachgang zu reduzieren und auf diese Weise die Rentabilität ihrer Investition aufzupolieren. Eine aktuelle Schadensstudie zeigt, dass sich ungefähr jeder zweite bis dritte W&I-Claim auf diese Themengebiete bezieht. Auch die zwei größten Schadensfälle des letzten Jahres resultieren aus fehlerhaften Finanzinformationen.

Bauer: Der Fokus auf Finanzdaten überrascht nicht, denn sie sind die Grundlage für marktübliche Bewertungsmodelle und die Kaufpreisberechnung. Entsprechend verlangen Käufer üblicherweise eine sogenannte Bilanzgarantie – also das Versprechen, dass die Finanzinformationen korrekt sind. Verkäufer, die Rechnungslegungsvorschriften nicht einhalten, gehen deshalb hohe Risiken ein – denn wenn Käufer im Nachgang trotz Bilanzgarantie Falschdarstellungen identifizieren, können erhebliche Schadensersatzansprüche entstehen. Neben fehlerhaften Finanzinformationen zählen Verstöße im Zusammenhang mit wesentlichen Verträgen, Compliance-Themen, geistigem Eigentum, Arbeits­verhältnissen und Umweltaspekten zu den typischen Ursachen für W&I-Claims.

Verstöße gegen Bilanzgarantien sind nicht nur wegen ihrer Häufigkeit, sondern auch aufgrund hoher durchschnitt­licher Schadenssummen ein zentrales Thema für W&I-Versicherungen. Warum treten sie so häufig auf und welche He­raus­forderungen sind damit verbunden?

Klimpe: In der Tat können Brüche von Bilanzgarantien zu signifikanten Schadensersatzforderungen führen. Was die Sache besonders kompliziert macht: Finanzinformationen basieren auf komplexen Rechnungslegungsvorschriften (z.B. nach HGB, IFRS oder US-GAAP) bzw. vertragsspezifischen Regelungen. Zum Teil bestehen dabei erhebliche Ermessensspielräume, etwa bei der Ermittlung von Schätzwerten. Konflikte zwischen den Transaktionsparteien resultieren daher nicht selten aus einer unvermeidlichen Subjektivität auf beiden Seiten bei der Bilanzierungs- und Bewertungseinschätzung.

Schleis: Das führt direkt zu der zentralen Herausforderung bei der Identifikation von Ansprüchen: Es handelt sich in der Regel nicht um eindeutige oder unstrittige Ansprüche. Um sie erfolgreich geltend ­machen zu können, reicht es deshalb nicht aus, etwaige Schäden beim Versicherer zu melden. Stattdessen sollten Käufer mögliche Forderungen systematisch analysieren sowie Finanzdaten, Informationen und Sachverhalte detailliert aufarbeiten. Wichtig ist zudem, sie mit entsprechenden Nachweisen zu untermauern.

Danach kommt es entscheidend darauf an, wie der Versicherer den Schaden bewertet. Was sollten M&A-Akteure darüber wissen?

Bauer: Die Schadensbewertung hängt unmittelbar vom vertraglich vereinbarten Schadensbegriff ab. Dabei sind zwei Verträge zu unterscheiden: der Kaufvertrag (SPA) und die Versicherungspolice. Ver­sicherer können den Schaden in der Police anders als im Kaufvertrag definieren. Dies kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn der SPA sich auf den Ersatz ­direkter Schäden beschränkt.

Schleis: Ja, denn unabhängig davon können Transaktionsparteien gegen Aufschlag meist auch bestimmte indirekte Schäden und womöglich sogar einen entgangenen Gewinn versichern. Dann wird die Schadensdefinition aus dem Kaufvertrag für gegenstandslos erklärt. Einige Versicherer gehen sogar noch einen Schritt weiter und decken bis zu einem gewissen Grad auch Kaufpreisreduzierungen basierend auf Multiples ab. Dies ist individuell mit dem Ver­sicherer zu verhandeln.

Sie haben darauf hingewiesen, dass Forderungen häufig strittig sind. Zudem kostet es Zeit und Geld, Ansprüche durchzusetzen. Was sollten Entscheider beachten, wenn sie die Chancen und Risiken einer Schadensmeldung ­abwägen?

Bauer: Besonders wichtig ist naturgemäß, die Erfolgswahrscheinlichkeit einschätzen zu können. Gerade mit Blick auf die durchschnittliche Regulierungsdauer von mehreren Monaten, die in Einzelfällen deutlich überschritten werden kann, sollte diesen Aspekt niemand vernachlässigen. Kurioserweise beobachten wir jedoch immer wieder, dass Unternehmen bis zum Abschluss des Kaufvertrags ­äußerst professionell und strukturiert vorgehen – dieses Maß an Professionalität aber danach vermissen lassen. Eine gezielte Analyse des gekauften Unternehmens findet in der Praxis oftmals unzureichend statt. Die Identifikation materieller Ansprüche wird dadurch vernachlässigt und letztlich dem Zufall überlassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Preuß.


ZU DEN PERSONEN

Tobias Klimpe, Foto: ©PwC Deutschland

Tobias Klimpe ist Partner bei PwC Deutschland im Bereich Deal Advisory und leitet den Bereich Transaction Services in Deutschland. and. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen bei der Beratung von strategischen Investoren und Private-Equity-Häusern.

 

 

 

 

Ingo Schleis, Foto:©PwC Deutschland

Ingo Schleis ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner bei PwC Deutschland im Bereich Deals. Seine Schwerpunkte liegen u.a. in der Optimierung von Unternehmenskaufverträgen aus Finance-Sicht. Er ist Experte für die Identifizierung und Durchsetzung bzw. Abwehr von Ansprüchen.

 

 

 

Jonas Bauer, Foto:©PwC Deutschland

Jonas Bauer ist Wirtschaftsprüfer und Manager bei PwC Deutschland im Bereich Deals. Er unterstützt Mandanten während des gesamten Transaktionsprozesses von der Optimierung des Unternehmenskaufvertrags aus finanzieller Sicht über die Analyse von Closing Accounts bis hin zur Identifizierung etwaiger Kaufpreisoptimierungspotenziale.

 

 

 

Webseite: www.pwc.de

Dieser Beitrag ist im Special “M&A Insurance” erschienen.

Autorenprofil
Stefan Preuss

Stefan Preuss ist Mitglied der GoingPublic Redaktion.

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