Digitalisierung in M&A: Praxisbeispiele und Perspektiven

Wie digitale Lösungen schon heute M&A-Prozesse unterstützen

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Zeitdruck, große Mengen strukturierter und unstrukturierter Daten, manuelle Prozesse und eine Erfolgsquote mit Luft nach oben – so sehen M&A-Prozesse heute oft aus. Rasante technologische Entwicklungen und daraus resultierende Digitalisierung und Automatisierung erleichtern schon heute Entscheidungen und steigern die Transaktionswahrscheinlichkeit – und die Reise hat gerade erst begonnen. 

Der Prozess eines Unternehmenskaufs oder -verkaufs ist multidisziplinär, dauert in der Regel mehrere Monate, basiert auf einer großen Menge strukturierter und unstrukturierter Daten und findet meist unter enormem Zeitdruck statt. Wer ist der richtige Käufer? Wie finde ich das richtige Target? Wie steuere ich die Projektbeteiligten? Wie optimiere ich den Abstimmungs- und Unterschriftsprozess von Verträgen wie Non-Disclosure Agreements (NDAs) und Datenraumregelungen bis hin zu Kaufverträgen? Welche Risiken liegen in der Vergangenheit? Welche Ertragspotenziale hat das Unternehmen in der Zukunft? Wie kann ich den Datenhunger des Käufers stillen und gleichzeitig die Vorgaben von DSGVO und des Wettbewerbsrechts einhalten oder meine Geschäftsgeheimnisse schützen? Wie optimiere ich als Käufer meinen Due-Diligence-Aufwand in teilweise unübersichtlichen, ausufernden Datenräumen? Wie übertrage ich die Erkenntnisse aus der Due Diligence in die Post-Merger-Integrationsphase? Und wie prüfe ich den Fit von Soft Facts wie Unternehmenskultur, Führungsstil oder Qualitätsmanagementprozess? Kann hier die Digitalisierung helfen?

Technische Treiber

Die Anbieter von digitalen Lösungen haben in den letzten Monaten und Jahren enorme Fortschritte gemacht. Externe Datenlieferanten, Automatisierungsansätze, Business Intelligence Tools, Collaboration- und Projektmanagementsoftware, E-Signatures und Vertragsgeneratoren, Large Language Models/AI/Natural Language Processing, individualisierte Verschlüsselungswerkzeuge, automatisierte Software-Quality-Checks, virtuelle Datenräume, Chatbots oder intelligente CRM-Systeme bieten eine Vielzahl von „Off-the-Shelf-Lösungen“, die es intelligent in den M&A-Prozess zu integrieren gilt. Technologiebasierte Dienstleister ergänzen diese Lösungen um weitere Teilleistungen und bieten diese aus einer Hand an.

Wie digital ist die M&A-Welt?

Die Digitalisierung der M&A-Welt lässt sich gut mit den Autonomielevels beim autonomen Fahren vergleichen: Dort reicht die Skala von Level null, dem vollständig manuellen Fahren, über Level eins, dem Fahren mit Assistenzsystemen wie Tempomat, bis hin zu Level fünf, dem vollständig autonomen Fahren ohne Eingreifen des Fahrers auch unter extremen Bedingungen. Derzeit laufen in vielen Ländern Tests für Level vier, mit hoch automatisierten Fahrzeugen. Diese können in den meisten Situationen autonom fahren, benötigen aber in bestimmten Fällen die Unterstützung des Fahrers.

Experten zufolge befindet sich die M&A-Welt derzeit noch überwiegend auf Level eins: der Aufgabenunterstützung durch Assistenzsysteme. Für das Jahr 2030 erwarten sie die Vollautomatisierung. Für alle am M&A-Prozessbeteiligten stellt sich damit die Frage nach den Servicelevels: Welche Dienstleistungen können wir in der digitalen Welt wertschöpfend erbringen?

Anwendungsfall eins: Partnersuche

Den ersten Anwendungsfall sehen wir in der Identifikation des Transaktionspartners; sei es, das passende Kaufobjekt (Target) mit Transaktionsbereitschaft oder den besten Käufer zu finden. Aus der Kombination von demografischen und firmografischen Daten, letztere sind Kenngrößen des Unternehmens, lassen sich passende Targets inklusive Verkaufswahrscheinlichkeiten ermitteln und über CRM-Systeme und Social-Media-Plattformen wie LinkedIn hoch automatisiert ansprechen. Gleiches gilt für Käufer oder Investoren. Eine Vielzahl globaler Datenbanken erfasst nahezu alle Transaktionen und die daran beteiligten Personen. Daraus lassen sich Akquisitionsneigungen ableiten und gezielt ansprechen.

Anwendungsfall zwei: Datenaufbereitung

Der zweite Anwendungsfall ist die Target-Datenaufbereitung. Business Intelligence Tools, basierend auf GDPdU-Schnittstellen (Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen des BMF) werten granulare Finanzdaten aus. So können Unstimmigkeiten erkannt, umfassende betriebswirtschaftliche Kennzahlen erhoben und Plausibilitätschecks durchgeführt werden. Sogar zu erwartende Due Diligence Findings lassen sich vorwegnehmen und schon vorab argumentieren oder idealerweise sogar lösen.

Natural-Language-Processing-Ansätze bieten weitere Möglichkeiten: Sie vereinfachen die Auswertung qualitativer Daten aus Verträgen oder die automatisierte Indizierung und Verschlagwortung von Datenräumen.

Anwendungsfall drei: Projektmanagement

Der dritte Anwendungsfall betrifft Projektmanagement und Kollaboration. Dank Cloudanwendungen wie Teams oder Zoom mit Sharepoint und vielen praktischen Add-ins arbeiten wir von überall auf der Welt zusammen und haben jederzeit den vollen Überblick, auch über vielerlei parallele Projekte. Schon heute ermöglichen sie automatisierte und standardisierte Freigabeprozesse, Stakeholder- und Deadline Management, Transkription und Übersetzung von Videokonferenzen bis hin zur zentralen Dokumentenverwaltung, auf die später auch das PMI-Team zugreifen kann – und das völlig geräteunabhängig.

FAZIT

Die Digitalisierung wird den M&A-Prozess nachhaltig verändern. Die Transaktionswahrscheinlichkeit wird steigen, die Prozesse werden effizienter, die Entscheidungen fundierter. Es ist zu hoffen, dass der seit Jahrzehnten von der Wissenschaft proklamierte Satz „Nur jede zweite oder dritte Transaktion führt zum erwarteten Erfolg“ durch den Einsatz besserer Tools in Zukunft nicht mehr gilt. Die Digitalisierung dürfte wesentlich dazu beitragen, die Erfolgsquote zu erhöhen.

Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe mit Schwerpunkt “Unternehmensverkauf” 3/2023 erschienen.

Autorenprofil
Jan Pörschmann

Jan Pörschmann ist Gründer und Managing Partner der Proventis Partners GmbH in München und spezialisiert auf Asset-light-Transaktionen in den Bereichen IT und Services. Seit 2023 ist er zudem Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Mergers & Acquisitions gem. e.V. und Initiator mehrerer Mittelstandsaktivitäten desselben. Dazu gehört insbesondere die Veranstaltung „Shift & Change - Der BM&A Mittelstandstag“.

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