M&A-Markt: „Strategisch getriebene Deals lohnen sich weiterhin“

Diversifizierung und Konsolidierung unterstützen Mittelstand bei nötiger Transformation − Interview mit Dr. Philipp Grenzebach, Partner, McDermott Will & Emery

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In unsicheren Zeiten steht auch der Bereich Unternehmenstransaktionen unter Druck. 2022 waren M&A-Deals im Vergleich zum Vorjahr rückläufig. Auch 2023 ist durch multiple Krisen geprägt. Potenzielle Käufer und Verkäufer reagieren zum Teil mit Zurückhaltung. Wir sprachen mit Dr. Philipp Grenzebach, Partner bei der Anwaltssozietät McDermott Will & Emery, über Chancen und Herausforderungen. 

Unternehmeredition: Herr Dr. Grenzebach, Sie beraten weltweit Unternehmen und Investoren bei Akquisitionen und Übernahmen. Welche Trends nehmen Sie aktuell wahr?

Dr. Philipp Grenzebach: Transformation ist hier das entscheidende Stichwort – zahlreiche etablierte Geschäftsmodelle stehen angesichts von Digitalisierung, Klimawandel, demografischem Wandel und geopolitischen Krisen auf dem Prüfstand. Die Unternehmen und die dahinterstehenden Investoren wie auch Familien müssen sich neu orientieren. Das prägt natürlich die strategischen Überlegungen zu Wachstum, Konsolidierung und Risikodiversifizierung.

2022 schrumpfte das deutsche M&A-Geschäft um 36% auf den niedrigsten Stand seit 2017. Was waren die Gründe für diesen Rückgang und wie beurteilen Sie Beginn und weitere Entwicklung 2023?

2022 war in der Tat kein einfaches Jahr, das unter anderem durch den Krieg in der Ukraine, Inflation, steigende Zinsen und nicht zuletzt immer wieder auch Diskrepanzen bei der Unternehmensbewertung geprägt war. Man darf aber auch nicht vergessen, dass 2021 ein Rekordjahr war, dem viele hervorragende Jahre in Folge vorausgegangen sind. 2023 haben wir international bereits erste Anzeichen einer Wiederbelebung gesehen, etwa in den Bereichen Medien und Automotive. Dennoch gehe ich davon aus, dass 2023 eher ein Übergangsjahr und eine echte Erholung im Markt erst 2024 zu erwarten sein wird.

Inwieweit lohnt sich ein Unternehmenskauf oder -verkauf auch in der aktuell angespannten gesamtwirtschaftlichen Situation?

Insbesondere strategische Unternehmenskäufe und -verkäufe lohnen sich weiterhin dann, wenn sie durch operative Überlegungen und Synergien getrieben sind und den beteiligten Unternehmen dabei helfen, sich auf die Herausforderungen im volatilen Marktumfeld besser einzustellen. Entsprechend sehen wir, dass das M&A-Geschäft im Mid-Cap-Segment tendenziell besser lief und läuft. Überwiegend auf eine stabile Renditeerwartung für ungenutztes Kapital abzielende Transaktionen haben es aktuell schwerer, die Erwartungen auch zu erfüllen.

Insbesondere Finanzinvestoren legten zuletzt mehr Zurückhaltung an den Tag, obwohl diese immer noch über viel „Dry Powder“ verfügen. Was muss passieren, damit hier wieder mehr Schwung ins Geschäft kommt?

Finanzinvestoren verwenden bei Transaktionen typischerweise einen hohen Anteil Fremdfinanzierung. Die aktuell erzielbaren Renditen tragen aber häufig nicht die laufenden Finanzierungskosten, was das typische Modell von Finanzinvestoren naturgemäß unter Stress setzt. Hier sind wahrscheinlich die entscheidenden Faktoren die Stabilisierung der Zinsentwicklung und eine Anpassung der Bewertungen beziehungsweise der Kaufpreise.

Für Unternehmen mit hohem Rating und guter Bonität stehen die Chancen für erfolgreiche Ver- und Zukäufe derzeit ausgesprochen gut – oder wie sehen Sie das?

Die aktuelle Preiskorrektur bietet für Unternehmen, die nicht auf eine teure Fremdfinanzierung angewiesen sind, natürlich die Gelegenheit, sich durch Zukäufe zu stärken. Das war nach der Krise 2008 nicht anders, die von vielen Unternehmen genutzt wurde und eine Grundlage für den bis mindestens 2020 anhaltenden Boom war. Zu beobachten ist jedoch, dass die Preiserwartung potenzieller Verkäufer erst allmählich diesen potenziellen Käufern entgegenkommt.

Mit Blick auf Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Energiewende stehen Mittelständler derzeit unter starkem Investitionsdruck. Liegt darin eine Chance für eine größere Marktdynamik?

Gerade der familiengeführte Mittelstand steht aktuell vor der Entscheidung, ob das bis zuletzt erfolgreich praktizierte Geschäftsmodell angesichts der sich beschleunigenden Transformation noch nachhaltig ist und ob sie das im Unternehmen gebundene Vermögen ausschließlich in der von ihnen in der Vergangenheit erfolgreich besetzten Nische investiert sehen wollen. Wünschenswert wäre, dass dort mehr Offenheit für Diversifizierung und Konsolidierung entsteht. Diversifizierung schützt die Unternehmer vor den Risiken, die sich aus teils rasant fortschreitenden Marktverschiebungen ergeben können. Konsolidierung würde zahlreichen Mittelständlern helfen, die operativen und bürokratischen Herausforderungen besser zu meistern und sich in einem globalen Umfeld robuster aufzustellen.

Worin liegen Ihrer Ansicht nach aktuell die Haupttreiber für das M&A-Geschäft?

Die entscheidenden Faktoren sind meines Erachtens derzeit Transformation, Konsolidierung und Krise. Transformation in dem Sinne, dass Unternehmen sich durch Zukäufe auf neue Herausforderungen einstellen wollen und müssen; Konsolidierung, da die großen Aufgaben etwa in den Bereichen Forschung und Digitalisierung leichter in stabilen, größeren Einheiten bewältigt werden können; Krise, weil das aktuelle Marktumfeld strukturelle Defizite und Finanzierungsschwierigkeiten schonungslos offenlegt beziehungsweise weil diese nun nach Jahren, in denen die Marktmechanismen zum Teil außer Kraft gesetzt waren, zum Vorschein kommen.

Besteht ein Trend zum Nearshoring?

Pandemie und Krieg haben gezeigt, wie schnell Lieferketten unter Stress geraten können und damit Unternehmen massiv in Bedrängnis bringen. Ob diese Erkenntnis jetzt nachhaltig zu einer Veränderung führt, bleibt abzuwarten. Auf Dauer wird es keine Lösung sein, dass die Unternehmen auf staatliche Eingriffe warten – die wenigsten wollen dies im Grunde auch –, sondern sie werden selbst Initiative ergreifen müssen. Auch hier können Konsolidierung und Kooperationen vor allem mittelständischen Unternehmen helfen, sich ein stabiles Marktsegment zu bewahren beziehungsweise zu erschließen.

Beim Blick auf die Branchen: Wer sind die „Gewinner“ und wer die „Verlierer“?

Die Veränderungen in den Bereichen Automotive, Energie, Medien und Handel sind bekanntermaßen aktuell die größten. Gewinnen werden diejenigen, die verstehen, dass bestimmte in der Vergangenheit erfolgreiche Geschäftsmodelle nicht mehr in der gleichen Form zu halten sind und dass sie sich sowohl operativ als auch strategisch neu ausrichten müssen – und diese Neuausrichtung dann auch zeitnah angehen.

Die Zeit von Megadeals scheint angesichts eines weiter unsicheren Marktumfelds erst einmal vorbei zu sein – oder?

Einige der angesprochenen Megadeals waren sicher von billigem Geld, hohen Aktienkursen und einer wohlwollenden Fusionskontrolle geprägt. Mit einem wieder erstarkenden staatlichen Protektionismus und einem stärkeren Fokus auf inflationäre Entwicklungen fallen zumindest einige der Faktoren, die diese Entwicklung begünstigt haben, aktuell weg. Die Beratungspraxis von McDermott Will & Emery, in Deutschland und international, hat einen starken Fokus auf mittelgroße Transaktionen. In diesem Segment werden wir – aus den geschilderten Gründen – auch in Zukunft erfolgreiche Deals sehen.


ZUR PERSON

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Dr. Philipp Grenzebach leitet die deutsche Transaktionspraxis bei McDermott Will & Emery. Er berät Investoren und strategische Anleger in allen Aspekten des Gesellschaftsrechts und bei Unternehmens- und Immobilientransaktionen, insbesondere bei Akquisitionen und öffentlichen Übernahmen. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Beratung ist die Gestaltung komplexer Verträge, insbesondere Investoren- und Joint-Venture-Vereinbarungen.

 



Dieser Beitrag erscheint in der Magazinausgabe 3/2023 der Unternehmeredition (Erscheinungstermin: 22. September 2023).

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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