Gmund am Tegernsee, 8. Mai 2025. Der zweite Tag des Ludwig-Erhard-Gipfels auf Gut Kaltenbrunn stand ganz im Zeichen der wirtschaftlichen Erneuerung Deutschlands – getragen von einem Spannungsbogen zwischen kritischer Bestandsaufnahme und visionärer Aufbruchsstimmung. Unter dem Motto „Zukunft & Finance“ diskutierten Spitzenvertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zentrale Fragen zur Wettbewerbsfähigkeit, Digitalisierung und globalen Positionierung der Bundesrepublik.
Zum Auftakt erinnerte Bundespräsident a.D. Christian Wulff eindringlich an die Verwundbarkeit demokratischer Ordnungen. Er forderte mehr gesellschaftliche Verantwortung – auch durch wirtschaftliches Engagement: „Unsere Demokratie ist kein Selbstläufer – sie muss leidenschaftlich verteidigt werden“, mahnte Wulff angesichts internationaler Entwicklungen, in denen autoritäre Tendenzen wieder an Boden gewinnen. Besonders die digitale Sphäre müsse besser reguliert und demokratisch gestaltet werden. Er forderte ein entschlosseneres Vorgehen gegen Desinformation, Populismus und politische Gleichgültigkeit.
Die Welt im Wandel – Deutschlands Rolle
In seinem Impulsvortrag attestierte Dr. Henrik Ahlers, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland, der deutschen Wirtschaft ein tiefgreifendes Strukturproblem: „Die deutsche Wirtschaft steckt in einem strukturellen Tief, das sich nicht allein mit konjunkturellen Mitteln beheben lässt.“ Ahlers rief Politik und Wirtschaft zu mehr Gestaltungswillen auf: „Wir brauchen ein neues Zielbild. Wo wollen wir in zehn Jahren stehen?“ Deutschland dürfe sich nicht im Status quo einrichten – die Wachstumschancen lägen in künstlicher Intelligenz, neuen Märkten und gezielten Infrastrukturinvestitionen. Voraussetzung dafür seien jedoch Planungssicherheit und der Abbau von Bürokratie. Zugleich warnte Ahlers vor einer Haltung, die Reformverzicht zur Gewohnheit werden lasse. Sinngemäß mit Einstein formuliert: „Vielleicht brauchen wir den Mut, mehr zu tun, als von uns erwartet wird.“
Zukunftspanel: Vom Denken ins Handeln
Das darauffolgende Mittelstandspanel, moderiert von Thorsten Giersch („Markt und Mittelstand“), trug den programmatischen Titel „Zukunft Deutschland: Wie kommt unsere Wirtschaft wieder in Fahrt?“. Gemeinsam mit Ahlers diskutierten Astrid Hamker (CDU-Wirtschaftsrat), Marcel de Groot (Vodafone), Markus Weiß (McDonald’s Deutschland) und Stefan Wintels (KfW), wie neue Wachstumsimpulse gesetzt werden können.
Hamker machte sich für mehr Eigenverantwortung stark: „Wir müssen den Menschen wieder den Wert von Leistung vermitteln. Das Prinzip Fördern und Fordern darf nicht verwässert werden.“ Die Ursachen für das schwache Wachstum verortete sie nicht nur bei der Politik, sondern auch im „Mindset“ einer saturierten Gesellschaft.
Auch KfW-Chef Stefan Wintels mahnte Veränderungen an: „Wir haben über 15 konkrete Anknüpfungspunkte zum Koalitionsvertrag – der Mittelstand braucht jetzt Unterstützung bei Innovation und Digitalisierung.“ Wintels betonte, dass die KfW insbesondere im Mittelstand massive Investitionslücken sehe: „Zwei Drittel der Unternehmen haben Nachholbedarf bei Digitalisierung und Innovation.“ Ahlers sekundierte mit dem Appell an mehr Investitionen: „Planungssicherheit ist essenziell. Genehmigungsverfahren müssen drastisch verkürzt werden.“
Einigkeit im Ruf nach Entbürokratisierung
Die Bürokratie war omnipräsentes Thema. McDonald’s-Sprecher Weiß berichtete von einem millionenschweren Investitionsvorhaben, das aufgrund langwieriger Genehmigungen nicht in Deutschland, sondern in den USA realisiert wurde. „Wir sitzen im Auto, spielen mit dem Standgas – aber die Bremse ist noch angezogen“, so sein drastisches Bild.
Ahlers ergänzte: „Genehmigungsprozesse, die sieben Jahre dauern, sind inakzeptabel. Wenn ein Antrag nicht fristgerecht beschieden ist, sollte er automatisch als genehmigt gelten.“ Eine Forderung, die auf dem Panel breite Zustimmung fand.
Trotz der Herausforderungen überwog ein konstruktiver Grundton. „Deutschland hat sich aus den Trümmern zur stärksten Wirtschaftsnation Europas entwickelt“, erinnerte Vodafone-Chef de Groot. Und Markus Weiß betonte: „Wir sind in der Welt willkommen – dieses Vertrauen sollten wir selbstbewusster in wirtschaftliche Stärke ummünzen.“
Megatrends in den Finanzmärkten – Investitionen in Zeiten globaler Unsicherheit
Oliver Behrens, Vorstandsvorsitzender von flatexDEGIRO, betonte in seinem Impuls die Rolle des Kapitalmarkts für wirtschaftlichen Aufschwung: „Ein erfolgreicher Kapitalmarkt braucht Tiefe – und Vertrauen.“ Zugleich übte er Kritik an überbordender Regulierung: „Wir sprechen zu oft nur über Risiken und Verbraucherschutz, aber zu selten über Wettbewerbsfähigkeit.“
Behrens warnte davor, dass Deutschland beim Zugang zu Kapital ins Hintertreffen geraten könnte: „Ohne private Anlegerbeteiligung und echte Kapitalmarktstrategie fehlt uns am Ende nicht nur das Geld, sondern auch die Souveränität.“ Die Transformation – insbesondere in Digitalisierung und Verteidigung – könne nicht allein durch staatliche Mittel finanziert werden.
Im anschließenden Panel diskutierten Behrens gemeinsam mit Lukas Enzersdorfer-Konrad (Bitpanda), Dr. Manfred Knof (Investor), Stefan Müller (Genossenschaftsverband Bayern) unter der Leitung von Frauke Holzmeier über die Zukunft der Finanzmärkte.
Dr. Knof forderte einen Perspektivwechsel: „Finanzmärkte sind nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.“ Europa brauche dringend einen einheitlichen Kapitalmarkt. „Wir dürfen unsere technologische und finanzielle Infrastruktur nicht aus der Hand geben“, mahnte er mit Blick auf geopolitische Abhängigkeiten.
Auch Enzersdorfer-Konrad unterstrich die Rolle von Digitalisierung und Kryptowerten: „Finanzielle Teilhabe und technologische Souveränität gehören zusammen.“ Stefan Müller erinnerte an die Bedeutung der Vielfalt: „Genossenschaften zeigen, dass es auch jenseits großer Kapitalmärkte tragfähige Modelle gibt – wenn regulatorisch nicht erdrückt.“
Einigkeit herrschte über das Ziel, Bürger stärker für Kapitalmärkte zu gewinnen. Behrens brachte es auf den Punkt: „Ohne private Anlegerbeteiligung und echten Kapitalmarkt verlieren wir wirtschaftliche Souveränität.“ Deutschland müsse lernen, Wachstum nicht nur über Schulden, sondern durch Investoren und Beteiligung zu ermöglichen.
Global Outlook: Wie reagieren Finanzmärkte auf Krisen?
Im Global-Outlook-Panel standen geopolitische Spannungen und deren Auswirkungen auf Finanzsysteme im Fokus. Burkhard Balz (Deutsche Bundesbank), Nurten Erdogan (ING Deutschland), Carsten Klude (M.M. Warburg), André Munkelt (Morgan Stanley Europe) und Dr. Matthias Voelkel (Börse Stuttgart Group) diskutierten unter der Leitung von Isabelle Körner.
Die einhellige Einschätzung: Europa muss strategisch unabhängiger werden – sowohl finanziell als auch technologisch. Klude mahnte: „Wenn wir unsere Hausaufgaben nicht machen, wird uns der US-Kapitalmarkt dauerhaft dominieren.“ Erdogan warnte vor wachsenden Investitionshemmnissen: „Verunsicherung lähmt den Kapitalfluss – wir müssen Vertrauen zurückgewinnen.“
Asset Summit: Sachwerte als sichere Häfen in Krisenzeiten
Im Panel „Sachwerte: Sicher investieren in unsicheren Zeiten“ standen Immobilien, Edelmetalle und Realwerte im Fokus. Branchenexperten wie Florian Freytag-Gross (Dahler), Gordon Gorski (Bayerische Hausbau) und Gernot Hinteregger (Goldinvest) betonten: „Die Nachfrage nach Immobilien bleibt bestehen – trotz Preisrückgängen.“ Gorski verwies auf ein massives Wohnraumdefizit: „2027 fehlen uns voraussichtlich über 800.000 Wohnungen.“
Einigkeit herrschte auch bei der Kritik an langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Freytag-Gross: „Sieben Jahre für einen Bebauungsplan sind für den Markt kaum tragbar.“ Hinteregger ergänzte: „Gold bleibt inflationsresistent – aber wir brauchen regulatorische Klarheit, um Investments planbar zu machen.“
Fazit: Viel Problembewusstsein, aber auch klare Handlungsideen
Der zweite Tag des Ludwig-Erhard-Gipfels war geprägt von einem offenen Dialog zwischen Unternehmenspraxis und wirtschaftspolitischer Vision. In einer Welt im Wandel, so der Tenor, müsse Deutschland seinen Gestaltungswillen neu entdecken – mit weniger Regulierungsballast, mehr wirtschaftlicher Zuversicht und einem klaren Zukunftsbild.
Die Probleme sind erkannt, die Diagnosen klar, die Handlungsvorschläge fundiert. Vom Aufruf zu mehr wirtschaftlichem Optimismus über Forderungen nach Bürokratieabbau bis zur Betonung privater Kapitalmärkte – das Zukunftsszenario für Deutschland ist anspruchsvoll, aber realisierbar. Die Botschaft: Nicht klagen, sondern klug handeln.