Künstliche Intelligenz im Turnaround-Management

Wie datengetriebene Intelligenz Führungskräfte unterstützt, Unternehmen zu stabilisieren und neu auszurichten

Bereits heute unterstützt die künstliche Intelligenz Führungskräfte und Berater dabei, komplexe Turnaround-Prozesse datenbasiert zu steuern.
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Der Mittelstand steht unter Druck: Wirtschaftliche Unsicherheiten, hohe Energiepreise und globale Turbulenzen fordern schnelle und tragfähige Entscheidungen. Bereits heute unterstützt künstliche Intelligenz Führungskräfte und Berater dabei, komplexe Turnaround-Prozesse datenbasiert zu steuern. Sie hilft, Informationsfluten zu bewältigen, Chancen zu erkennen und resiliente Geschäftsmodelle in Echtzeit zu entwickeln – schneller und gezielter als je zuvor.

Um in einer strategischen Krise die Richtung des Unternehmens neu denken zu können, ist eine präzise Analyse von Marktdaten und Trends als Basis einer Chancen-Risiken-Abschätzung von großer Bedeutung. Hier kann die KI wertvolle Hilfestellung leisten, indem beispielsweise Softwareassistenten eigenständig im Internet nach relevanten Daten suchen und diese geeignet zusammenfassen. So setzt Grant Thornton in Deutschland diese Technologie ein, um die Erstellung von Studien zu Marktentwicklungen zu unterstützen oder Recherchen zu neuen Technologien zu verifizieren.

Eine weitere Aufgabe im Rahmen der strategischen Neuausrichtung besteht in der Skizzierung unterschiedlicher Zukunftsszenarien und der Entwicklung resilienter Vorgehensweisen für die verschiedenen Modelle. Hier kann KI durch die Simulation dieser Zukunftsszenarien wesentliche Einsichten liefern. Beispielsweise werden bei „What-if-Analysen“ KI-basiert zentrale Einflussfaktoren identifiziert und die Auswirkungen durch Änderung von Parametern (beispielsweise Einfuhrzölle, Umsatzverschiebungen, Bereinigung der Produktpalette) aufgezeigt.

Absatz- und Ergebniskrisen bewältigen

Auch in Absatz- oder Ergebniskrisen ist Transparenz zu den Ursachen sinkender Umsätze oder steigender Kosten einerseits sowie zu möglichen Handlungsoptionen und ihren Auswirkungen andererseits von großer Bedeutung. Nur auf einem solchen, stabilen Fundament können belastbare Entscheidungen getroffen und operative Maßnahmen zur Verbesserung eingeleitet werden. Auch hier kann die KI vielfältige Unterstützung leisten.

KI ist in der Lage, sehr große Datenbestände schnell und umfassend zu analysieren und Auffälligkeiten zu identifizieren. So können Abweichungen in Verkaufszahlen, plötzliche Nachfrageschwankungen oder untypische Marktbewegungen frühzeitig erkannt werden. Durch den Einsatz von „Root-Cause-Analysen“ lassen sich die zugrunde liegenden Ursachen systematisch ermitteln, etwa geänderte Kundenpräferenzen, saisonale Effekte oder Wettbewerbsaktivitäten.

Die in den obigen Ausführungen zur strategischen Krise erwähnte Szenarioanalyse lässt sich in ähnlicher Form auch für operative Entscheidungen im Rahmen der Absatz- oder Ergebniskrise nutzen. So kann die KI automatisch geeignete Cluster (beispielsweise Produkt- oder Kundengruppen) bilden und diese auf ihre Resilienz in Bezug auf Änderungen analysieren.

Eine wesentliche Stärke der KI besteht in der Möglichkeit, große Bestände an unstrukturierten Daten schnell zu analysieren. Bei Grant Thornton in Deutschland nutzen wir diese Fähigkeit beispielsweise, um KI-basiert Vertragsdaten nach bestimmten Klauseln zu durchsuchen, um Chancen und Risiken schnell identifizieren und darauf reagieren zu können.

Auch zur internen Kostenoptimierung stehen viele neue Hilfsmittel zur Verfügung, um Prozesse effizienter und schneller zu gestalten. So kann die KI genutzt werden, um Besprechungen automatisch zu protokollieren und zusammenzufassen, E-Mail-Vorschläge zu generieren oder eine Produktionsplanung zu optimieren.

Entgegen vielen früheren Erwartungen kann die KI in vielen kreativen Prozessen eingesetzt werden. So kann sie Text- und Bildvorschläge im Rahmen von Marketingprojekten generieren oder Produktentwicklungsprojekte durch automatische Erstellung und Überprüfung von Modellen unterstützen. Im Rahmen dieser Entwicklungsprojekte kann die KI die Softwareentwicklung stark vereinfachen und beschleunigen. Heutige KI-Systeme sind in der Lage, selbstständig auch komplexe Programme zu schreiben und zu analysieren.

Die KI führt zunehmend zu einer Vereinfachung im Umgang mit IT-Systemen. So kann beispielsweise mithilfe der KI mit IT-Anwendungen in natürlicher Sprache kommuniziert werden und es sind keine komplexen Abfragen mehr notwendig. Beispielsweise kann das Turnaround-Management-Informations-Dashboard von Grant Thornton in Deutschland mit Fragen wie „Was sind die profitabelsten Kunden in der Schweiz?“ problemlos umgehen.

Liquiditätskrisen abwenden

In einer Liquiditätskrise ist Geschwindigkeit von großer Bedeutung. Hier können KI-gestützte Softwareassistenten Aufgaben übernehmen und helfen, die Situation dadurch leichter beherrschbar zu machen.

KI-Systeme können beispielsweise Finanzdaten wie Zahlungsein- und -ausgänge, offene Forderungen und Verbindlichkeiten kontinuierlich in Echtzeit überwachen, analysieren und Handlungsoptionen bewerten. So können Auffälligkeiten wie ein unerwarteter Anstieg in der Anzahl überfälliger Rechnungen oder eine Verlangsamung von Zahlungseingängen frühzeitig erkannt, ihre Auswirkung auf die zukünftige Liquiditätssituation bewertet und als Warnung gemeldet werden.

Die Systeme können helfen, die begrenzten liquiden Mittel optimal einzusetzen. So kann die KI Zahlungen nach Dringlichkeit oder strategischer Bedeutung priorisieren. Beispielsweise kann ein KI-basiertes System helfen, Lieferanten zu identifizieren, die für die weitere Funktion des Unternehmens eine große Bedeutung besitzen oder die aufgrund von Vertragsklauseln eine besondere Behandlung benötigen.

KI-Systeme sind in der Lage, die Auswirkungen von Entscheidungen auf das Working Capital abzuschätzen und Empfehlungen, beispielsweise zu Lagerbeständen und Bestellalgorithmen, zu geben.

Auch die im Rahmen der strategischen, der Absatz- und Ergebniskrise genannten Elemente können wertvolle Beiträge im Stadium der Liquiditätskrise leisten. Sie helfen, Transparenz und Vertrauen in die Verhandlungen mit Banken, Gläubigern und anderen Stakeholdern zu bringen und die Argumentation zu untermauern.

Limitierung beim Einsatz der KI

Trotz ihrer wachsenden Bedeutung und Leistungsfähigkeit kann die KI den Menschen heute zwar wirkungsvoll ergänzen, aber sicherlich nicht ersetzen.

Die heute häufig im Fokus stehenden KI-Modelle (sogenannte Large Language Models; LLMs) sind zwar in der Lage, binnen kurzer Zeit unstrukturierte Daten wie Texte zu verarbeiten – sie haben jedoch aufgrund der Art, wie sie trainiert beziehungsweise entwickelt wurden, noch eine Reihe von Limitierungen.

So stellen systembedingt KI-Systeme manchmal frei erfundene Behauptungen als Wahrheit beziehungsweise Tatsache dar. Das führt dazu, dass Ergebnisse der KI-Systeme nicht ungeprüft übernommen werden können, sondern stets, beispielsweise anhand von Quellenangaben, verifiziert werden müssen. Diese Prüfung wird zwar zunehmend selbst auf KI-Systeme verlagert, die Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Unternehmen häufig ihre eigene Begrifflichkeit eingeführt haben oder ein branchenspezifisches Vokabular nutzen, das nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht und deshalb von den KI-Systemen nicht „verstanden“ wird. Zwar lassen sich die KI-Systeme auf diese Spezifika anpassen (beispielsweise durch „Finetuning“ oder durch standardisierte, branchenspezifische Datenmodelle), die angepassten Systeme stehen vielen Unternehmen aber noch nicht zur Verfügung.

Auch haben prinzipbedingt viele KI-Systeme Schwierigkeiten, Zusammenhänge von Daten aus unterschiedlichen Quellen miteinander zu verknüpfen. Die Systeme müssen erkennen können, dass Daten aus der GuV oder Bilanz gegebenenfalls um Informationen aus dem Anhang ergänzt werden müssen oder der Umsatzrückgang eines Produkts mit Lieferkettenproblemen aufgrund eines Streiks im Zulieferland zusammenhängt.

Die heute gern genutzten KI-Modelle auf Basis von LLMs wie ChatGPT können hervorragend mit unstrukturierten Daten wie Texten umgehen, tun sich aber prinzipbedingt schwer mit der rechnerischen Verarbeitung von Zahlen. Zwar gibt es Möglichkeiten, diese Schwäche zu mindern oder zu umgehen, diese stehen aber teilweise noch nicht allgemein zur Verfügung oder setzen tiefere KI-Kenntnisse in der Nutzung der Systeme voraus.

FAZIT

Künstliche Intelligenz leistet bereits heute einen wertvollen Beitrag in allen Phasen einer Unternehmenskrise – von der Analyse über die Ableitung von Handlungsempfehlungen bis zur operativen Unterstützung. Sie schafft Transparenz, unterstützt Entscheidungen und entlastet in komplexen Prozessen. Dennoch bleibt der Mensch unverzichtbar: Der Erfolg eines Turnarounds hängt weiterhin maßgeblich von seinem ganzheitlichen Verständnis und seinen Entscheidungen ab.

👉 Dieser Beitrag ist auch in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2025 erschienen.

Autorenprofil
Dr. Carl-Peter de Bakker
Leitung Bereich Data Analytics & KI in Deal Advisory at Grant Thornton | Website

Dr. Carl-Peter de Bakker leitet den Bereich Data Analytics & KI in Deal Advisory bei Grant Thornton Deutschland. Er hat über 30 Jahre Beratungserfahrung mit den Schwerpunkten Strategieberatung, Turnaround-Management, Innovationsmanagement und Data Analytics.

Autorenprofil
Alexander Griesmeier
Advisory Partner at Grant Thornton | Website

Alexander Griesmeier ist Advisory Partner bei Grant Thornton Deutschland am Standort München und verfügt über umfassende Expertise in der operativen Beratung von Carve-outs, Integrationen und Restrukturierungen sowie operativen Wertsteigerungsprogrammen.

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