Herbstgutachten: Schwaches Wachstum und struktureller Wandel

Wirtschaftsprognosen
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01Die deutsche Wirtschaft steht im Jahr 2024 weiterhin unter Druck. Laut der aktuellen Gemeinschaftsdiagnose der führenden Wirtschaftsinstitute wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr voraussichtlich um 0,1% schrumpfen. Für die kommenden beiden Jahre erwarten die Experten eine leichte Erholung, mit Wachstumsraten von 0,8 Prozent im Jahr 2025 und 1,3 Prozent im Jahr 2026. Damit wurden die Prognosen gegenüber dem Frühjahrsgutachten nach unten korrigiert, insbesondere aufgrund der weiterhin schwachen Konjunktur und der strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft.

Herausforderungen durch Strukturwandel

Die deutsche Wirtschaft leidet nicht nur unter einer konjunkturellen Schwäche, sondern auch unter einem tiefgreifenden strukturellen Wandel. Dr. Geraldine Dany-Knedlik, Leiterin des Bereichs Prognose und Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), betont, dass die Dekarbonisierung, Digitalisierung, der demografische Wandel sowie der verstärkte Wettbewerb mit Unternehmen aus China die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen. Besonders betroffen ist das Verarbeitende Gewerbe, das unter den gestiegenen Energiekosten und der Konkurrenz aus dem Ausland leidet. Chinesische Unternehmen drängen zunehmend auf die Weltmärkte und verdrängen deutsche Exporteure, insbesondere im Bereich der hochwertigen Industriegüter.

Schwache Investitionsbereitschaft

Ein zentrales Problem der deutschen Wirtschaft bleibt nach Ansicht der Gutachter die geringe Investitionstätigkeit. Besonders das nach wie vor hohe Zinsniveau und die geopolitische Unsicherheit hemmen Unternehmen und private Haushalte. Die Investitionsgüterhersteller und energieintensive Industrien leiden am meisten unter dieser Entwicklung. Trotz leichter Zuwächse bei den real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte bleibt die Konsumneigung gering. Statt ihr Einkommen in neue Anschaffungen oder Wohnbauten zu investieren, legen die Haushalte ihr Geld auf die hohe Kante. Dies zeigt sich in einer gestiegenen Sparquote, die seit vier Quartalen über ihrem langfristigen Durchschnitt liegt. Die schwache Konjunktur zeige sich insbesondere im Verarbeitenden Gewerbe. Dort mangelt es an neuen Aufträgen, was durch die schwache globale Nachfrage verstärkt wird. Die Energiekosten sowie die zunehmende Konkurrenz durch China setzen die deutschen Hersteller weiter unter Druck. Doch es gibt auch positive Entwicklungen.

Zaghafte Erholung in Sicht

Die Prognose geht von einer langsamen Erholung im Jahr 2025 aus. Getragen wird diese von einer leichten Belebung des privaten Verbrauchs. Die steigenden real verfügbaren Einkommen und die erwartete Konjunkturbelebung in den europäischen Nachbarländern könnten den deutschen Außenhandel stützen. Gleichzeitig sollten günstigere Finanzierungsbedingungen auch die Anlageinvestitionen beflügeln. Die Inflationsrate ist im August 2024 auf den niedrigsten Stand seit über drei Jahren gesunken und wird voraussichtlich in den kommenden Jahren in der Nähe des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent liegen.

Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Der Stillstand der Wirtschaft hinterlässt deutliche Spuren auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahl ist in den letzten Monaten leicht gestiegen, was vor allem auf die Schwäche im Verarbeitenden Gewerbe und die zurückhaltende Investitionstätigkeit der Unternehmen zurückzuführen ist. Erst im Verlauf des Jahres 2025 wird eine leichte Entspannung auf dem Arbeitsmarkt erwartet, wenn die wirtschaftliche Erholung an Fahrt gewinnt.

Fazit der Gemeinschaftsdiagnose

Alles in allem erwarten die Wirtschaftsinstitute für 2024 einen leichten Rückgang des BIP um 0,1%, gefolgt von einer moderaten Erholung mit 0,8% Wachstum im Jahr 2025 und 1,3% im Jahr 2026. Die anhaltende Investitionsschwäche und die strukturellen Anpassungen in der Industrie sorgen jedoch dafür, dass die deutsche Wirtschaft nicht an das Wachstumsniveau vor der Corona-Pandemie anknüpfen kann. Besonders die exportabhängigen Industriezweige stehen vor einer großen Herausforderung, sich im globalen Wettbewerb, insbesondere gegenüber China, zu behaupten. Gleichzeitig dürfte die Weltwirtschaft insgesamt nur moderat expandieren, wobei die Dienstleistungssektoren weiterhin eine treibende Kraft sein werden. Die Gemeinschaftsdiagnose wird zweimal im Jahr im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt. Am Herbstgutachten 2024 haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), das ifo Institut, das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sowie das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit dem Institut für Höhere Studien Wien mitgewirkt.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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