„Frontiermärkte bieten attraktive Renditen bei geringer Korrelation“

Interview mit Witold Bahrke, Senior Macro and Allocation Strategist, Global Evolution

Frontiermärkte sind Volkswirtschaften, die sich in einem früheren Entwicklungsstadium als klassische Schwellenländer wie Brasilien befinden.
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In Zeiten globaler Unsicherheiten und wirtschaftlicher Umbrüche suchen Anleger nach neuen Wegen, ihre Portfolios stabil und zugleich ertragreich zu gestalten. Frontier- und Schwellenmärkte rücken dabei immer stärker in den Fokus. Witold Bahrke, Senior Macro and Allocation Strategist bei Global Evolution, einem Pionier für Investments in Schwellen- und Frontiermärkte, erklärt uns im Gespräch, warum diese Märkte gerade jetzt besonders attraktiv sind und welche Strategien Investoren berücksichtigen sollten.

Unternehmeredition: Welche langfristigen Trends beobachten Sie aktuell bei der Vermögensallokation institutioneller und privater Anleger?

Witold Bahrke: Institutionelle und private Anleger stehen vor einem Paradigmenwechsel in der Vermögensallokation. Aufgrund der hohen Inflation, der Nachwirkungen der Pandemie und geopolitischer Spannungen bieten traditionelle Anlageklassen nicht mehr die gleiche Stabilität und Diversifikation wie früher. In diesem Kontext suchen Anleger verstärkt nach alternativen Investments, die eine Kombination aus Stabilität, Rendite und geringer Korrelation mit globalen Märkten bieten. Frontiermärkte, die oft als weniger erschlossen gelten, eröffnen hier erhebliche Vorteile. Sie zeichnen sich durch dynamisches Wachstum, hohe laufende Renditen und Diversifikationspotenziale aus, da sie weniger anfällig für globale Marktschwankungen sind. Dennoch bleibt die Herausforderung, die höheren Informations- und Analyseanforderungen in diesen Märkten zu bewältigen.

Wie definieren Sie Frontiermärkte, und was unterscheidet sie von Schwellenmärkten?

Frontiermärkte sind Volkswirtschaften, die sich in einem früheren Entwicklungsstadium als klassische Schwellenländer wie Brasilien, Mexiko oder Südafrika befinden. Sie zeichnen sich durch geringeren Wohlstand, aber gleichzeitig durch dynamischeres Wachstum aus. Beispiele für Frontiermärkte sind Mosambik, Sri Lanka oder die Mongolei. Während Schwellenmärkte in den letzten Jahrzehnten zu etablierten Akteuren im globalen Wirtschaftssystem herangewachsen sind, bieten Frontiermärkte eine „zweite Chance“ für Anleger, von der Wachstumsreise dieser Länder zu profitieren.

Warum halten Sie Frontiermärkte trotz höherer Risiken für eine attraktive Anlageklasse? Würden Sie diese gegenüber Schwellenländern bevorzugen?

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Frontiermärkte bieten ein attraktives Verhältnis von Rendite zu Risiko. Ihre geringe Korrelation mit globalen Marktrisiken und eine kurze Duration von unter drei Jahren machen sie in Zeiten erhöhter Inflation und geopolitischer Unsicherheiten besonders interessant. Der niedrige Anteil ausländischer Investoren führt in turbulenten Zeiten zu geringeren Kapitalabflüssen und stabilisiert die Märkte. Mit einer laufenden Rendite von etwa 13,7% sind sie zudem äußerst wettbewerbsfähig im Vergleich zu anderen Anleihesegmenten.

Trotz ihrer Vorteile sehe ich Frontiermärkte als Ergänzung, nicht als Ersatz für Schwellenmärkte. Schwellenländer wie Brasilien oder Mexiko bieten weiterhin offensive Renditechancen durch robuste Institutionen und starke Liquidität. Eine Kombination beider Segmente ermöglicht die beste Balance zwischen Risiko und Rendite, da Frontiermärkte Risiken abfedern und Schwellenmärkte Wachstumschancen bieten.

Kurz gesagt: Frontiermärkte adressieren aktuelle Risiken, ohne Renditepotenzial aufzugeben, doch die Kombination mit Schwellenmärkten schafft die optimale Diversifikation.

Die Global Evolution Frontier Markets Fonds haben in den letzten Jahren eine starke Performance gezeigt. Was sind die Hauptfaktoren hinter dieser Entwicklung, und wie schätzen Sie die langfristige Stabilität der Renditen ein?

Die Fonds profitieren von mehreren Faktoren – erstens von einem strengen Auswahlprozess, bei dem Länder mit Reformbereitschaft und stabilen makroökonomischen Fundamentaldaten bevorzugt werden. Zweitens bietet das niedrige Wohlstandsniveau in Frontiermärkten ein enormes Wachstumspotenzial, ähnlich wie bei den heutigen Schwellenländern vor 20 bis 30 Jahren. Drittens tragen niedrige Korrelationen mit globalen Marktrisiken und die hohe laufende Rendite von über 13% zur Attraktivität bei. Diese Rendite ist das Ergebnis einer aktiven Strategie, die auf Marktchancen reagiert und Risiken durch Diversifikation minimiert. Langfristig gehen wir davon aus, dass die Fonds ihre Stabilität beibehalten, auch dank eines erfahrenen Teams und innovativer Technologien wie KI, die den Researchprozess unterstützen.

Angesichts der Volatilität in Schwellen- und Frontiermärkten – welche Strategien setzen Sie ein, um Risiken wie politische Instabilität, Währungsvolatilität und Liquiditätsrisiken zu managen?

Unser Risikomanagement basiert auf einer Kombination aus aktiver Länderauswahl, makroökonomischer Analyse und innovativen Technologien wie KI-gestütztem Research. Länder mit schwachen Fundamentaldaten oder politischer Instabilität werden vermieden. Im Falle der Frontiermärkte nehmen wir nur etwa 35 bis 40 Länder aus einem Universum von über 100 aktiv in unsere Fonds auf. Dies ermöglicht eine gezielte Fokussierung auf attraktive Investments bei gleichzeitiger Minimierung von Risiken. Die niedrige Korrelation von Frontiermärkten mit globalen Marktrisiken hilft uns ebenfalls, Schwankungen abzufedern.

Welche Länder stehen derzeit besonders im Fokus?

Wir fokussieren uns auf Länder, die eine positive Reformagenda verfolgen und makroökonomische Stabilität anstreben. Dazu zählen beispielsweise Ägypten, das durch fiskalische und geldpolitische Reformen überzeugt, sowie Argentinien, das nach politischen Veränderungen wieder als interessantes Ziel erscheint. Auch die Mongolei ist ein spannender Markt, vor allem aufgrund ihrer Rohstoffressourcen. Unser Ziel ist es, Länder auszuwählen, die sich auf einer klaren Wachstums- und Stabilitätsreise befinden, wodurch das Risiko-Rendite-Profil weiter verbessert wird.

ESG-Faktoren spielen eine wachsende Rolle in der Anlagewelt. Wie integrieren Sie ESG-Kriterien in Ihre Investmentprozesse in Schwellen- und Frontiermärkten? Sehen Sie hier besondere Herausforderungen oder Chancen?

ESG-Kriterien sind ein zentrales Element unserer Anlagestrategie. Die Herausforderung in Frontiermärkten liegt oft in der mangelnden Datenverfügbarkeit und geringeren Standards im Vergleich zu etablierten Märkten. Wir begegnen diesen Herausforderungen durch intensives Research, regelmäßige Länderbesuche und den Einsatz moderner Technologien wie KI, die uns helfen, ESG-Risiken präzise zu analysieren. Gleichzeitig bieten diese Märkte eine Chance, durch Investments positive Veränderungen zu bewirken, die sowohl ökologische als auch soziale Aspekte fördern.

Welche Trends und Entwicklungen werden Ihrer Meinung nach in den nächsten fünf bis zehn Jahren maßgeblich das Wachstum in Schwellen- und Frontiermärkten bestimmen?

Im Gegensatz zu den Industrieländern werden demografische Faktoren das Wachstum dieser Regionen positiv beeinflussen − insbesondere in Frontierländern. Zudem wird der technologische Fortschritt, gerade in Bereichen wie Fintech und erneuerbare Energien, eine Schlüsselrolle spielen. Gleichzeitig bedeutet der Fokus auf erneuerbare Energien aufgrund des Klimawandels eine steigende Nachfrage nach bestimmten Rohstoffen, was das Wachstum in den rohstoffreichen Ländern des Schwellenländeruniversums fördern dürfte. Insgesamt sollte sich das Wachstum der Schwellenländer deshalb weiterhin wesentlich über dem der industrialisierten Ländern halten. Allerdings geht es aus Sicht eines Anleiheinvestors nicht nur ums Wachstum, sondern auch darum, Inflationsrisiken langfristig kontrollieren zu können. In diesem Zusammenhang ist es ermutigend, dass die Inflationslücke zwischen Schwellenländern und Industrieländern langfristig einläuft. Im Vergleich zur industrialisierten Welt haben sich die Inflationsrisiken also verringert, was förderlich für Duration und Schwellenländerwährungen ist. Auf der anderen Seite stellt die strukturelle Wachstumsverlangsamung Chinas eine Herausforderung dar. Auch müssen Investoren geopolitischen Spannungen im Auge behalten, die insbesondere die größeren Schwellenländer negativ beeinflussen können.

Welche Anlagestrategien sollten Investoren hier langfristig in Betracht ziehen?

Eine vielversprechende Strategie sollte defensive und offensive Komponenten kombinieren, ohne das langfristige Renditepotenzial in Mitleidenschaft zu ziehen. Offensive Positionen wie Lokalwährungsanleihen in Schwellenländern bieten hohe Renditen und profitieren von stabilen volkswirtschaftlichen Bedingungen. In diesem Bereich sind die Bewertungen derzeit am attraktivsten. Allerdings können Frontiermärkte durch ihre Diversifikation und geringe Korrelation zu globalen Renditetreibern Risiken abfedern. Dank einer sehr hohen laufenden Rendite im Frontierbereich geschieht dies nicht zulasten des gesamten Renditepotenzials. Diese Balance erlaubt es Investoren, sowohl von Erholungsphasen zu profitieren als auch potenzielle Rückschläge besser zu verkraften.

Wir danken Ihnen für diese spannenden Einblicke.

Das Interview führte Eva Rathgeber.

👉 Das Interview ist in der aktuellen Magazinausgabe der Unternehmeredition 4/2024 erschienen.


ZUR PERSON

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Witold Bahrke ist Senior Macro and Allocation Strategist bei Global Evolution. In dieser Funktion entwickelt er Strategien für die Vermögensallokation mit einem Schwerpunkt auf Schwellen- und Frontiermärkte. Er bringt Erfahrung in der Top-down-Analyse, der Entwicklung von Handelsideen sowie der Umsetzung eigener Ansichten zur Assetallokation ein.

https://globalevolution.com/

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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