Die Angst vorm Schlussmachen

oder wieso aussichtslose Projekte nicht öfter gestoppt werden

Meist handelt es sich hierbei um Projekte, die unwirtschaftlich sind, nicht in die Unternehmensstrategie einzahlen.
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Die Erfahrungen aus Kundenprojekten der letzten Jahre zeigen: Im Schnitt könnten ca. 20-30% der sogenannten aktiven F&E-Projekte eines Technologieunternehmens ohne negative Folgen abgebrochen werden – was aber nicht passiert. Meist handelt es sich hierbei um Projekte, die unwirtschaftlich sind, nicht in die Unternehmensstrategie einzahlen oder nur unzureichend die Markt- und Kundenbedürfnisse berücksichtigen. Doch warum tun sich Unternehmen so schwer damit, diese Projekte abzubrechen? Die Gründe für dieses Verhalten sind vielschichtig:

  1. Mangelhafte Entscheidungsgrundlage
    In Projekten kommt es immer wieder vor, dass Entscheidungen in Frage gestellt oder erst gar nicht getroffen und weiter mitgeschleppt werden. Oft ist dies auf eine mangelhafte Informationsbasis zurückzuführen, die dem Management oder Entscheidungsgremium in der entsprechenden Projektphase vorliegt. Dies betrifft sowohl die operative (z.B. schwaches Projekt-Controlling, mangelhaftes Anforderungsmanagement) als auch die strategische Ebene (z.B. unklare Portfolio-Strategie). Aus Angst falsche Entscheidungen zu treffen, werden lieber keine Entscheidungen getroffen und Projekte dann meist weitergeführt.
  2. Fehlender Projekt-Priorisierungsprozess
    In Folge eines fehlenden Projekt-Priorisierungsprozesses werden Projekte nicht objektiv anhand fester Kriterien bewertet, sondern in der Regel in Form von Ad-hoc Priorisierungen aus dem „Bauchgefühl“ einiger Stakeholder heraus vorgenommen. Dies führt in den meisten Fällen zu einer unkoordinierten Projektflut und birgt die Gefahr, dass Projekte, die gegebenenfalls hätten gar nicht erst gestartet werden dürfen, zu viele Ressourcen binden. Die Forcierung eines möglichen Projektabbruchs wird dann meist aus unternehmenspolitischen Gründen gescheut.
  3. Falsches Erfolgs-Mindset
    Einen Projektabbruch nehmen viele Projektleiter als einen „persönlichen Misserfolg“ wahr. Aus Angst davor, man könnte durch einen Abbruch die Qualität der Arbeit als „schlecht“ bewerten, ist oft festzustellen, dass viele Projektleiter einen falschen Ehrgeiz entwickeln. Das Projekt irgendwie zu Ende bringen zu müssen, wird zum antreibenden Dogma und Synonym für Erfolg – mit der Konsequenz, dass viele Projektverläufe „beschönigt“ anstatt abgebrochen werden. In den meisten Projektorganisationen fehlt das Mindset, dass ein vorzeitiger Projektabbruch eigentlich ein Erfolg ist, nämlich dass dem Unternehmen dadurch geholfen wird, die unnötige Verschwendung von Ressourcen und Geld zu vermeiden und die Organisation daraus lernen kann.
  4. Keine oder unkonkrete Abbruchkriterien
    Im Rahmen jeder Projektplanung sollte eine Risikoanalyse und Ableitung der daraus resultierenden Abbruchkriterien durchgeführt werden. Meist fokussiert sich diese aber auf das reine Projektvorhaben und weniger auf das Projektumfeld, wie beispielsweise die Markt- und Absatzentwicklung oder die Erfüllung der Kundenanforderungen. Insbesondere bei so genannten Strategie- oder Innovationsprojekten ohne definierte und regelmäßig bewertete Abbruchkriterien, bleibt häufig der wirtschaftlicher Erfolg aus. Dieses Szenario stellt den „worst-case“ der versäumten Projektabbrüche dar, weil in diesem Fall bereits alle Aufwendungen in das Projekt geflossen sind und sich ein „Return“ vermutlich nicht einstellen wird.

FAZIT

Die Durchführung von Projektabbrüchen ist meist ein sensibles und auch ein politisches Thema, an dem mehrere Interessensgruppen beteiligt sind. Deshalb ist es umso wichtiger, die Entscheidungsfindung möglichst zu objektivieren und klare Regeln sowie eine offene und transparente Kommunikation sicherzustellen.

Eine Vielzahl an Argumenten sprechen für eine konsequente Umsetzung von Projektabbrüchen, wie zum Beispiel die Reduktion der Kapazitätsüberlastung, die Einsparung von Kosten, die Erhöhung der Projektqualität durch Fokussierung sowie die Steigerung der Mitarbeitermotivation. Darum der Appell: Offen an dieses Thema herangehen, es als festen Bestandteil des Projektmanagements beziehungsweise der Unternehmenskultur etablieren und die freigewordenen Ressourcen in notwendige Zukunftsprojekte investieren – die sich langfristig auszahlen.

Autorenprofil
Simon Moser, Senior Manager
Simon Moser

Simon Moser ist Senior Manager im Bereich Industriegüter/Innovation & New Business bei Dr. Wieselhuber & Partner (W&P). Nach dem Studium der Kunststofftechnik und Wirtschaftsingenieurwesen kam der Diplomingenieur und Masterabsolvent mit zehnjähriger Berufserfahrung im Industrieumfeld (Bauzulieferindustrie, Küchen- und Hausgeräte) im Jahre 2018 zu W&P,  wo er u.a. zu den Themenfeldern F&E- und Innovationsmanagement, F&E-Controlling sowie agiles Projektmanagement berät.

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