Das Thema Distressed M&A gewinnt im Private-Equity-Sektor angesichts wirtschaftlicher Unsicherheiten zunehmend an Bedeutung. Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten bieten Chancen, bergen aber auch Risiken. In diesem komplexen Umfeld agiert die HF Opportunities GmbH als strategischer Investor. Mit Hermann Reitze und Dr. Gerd Sievers sprechen wir über ihre Ansätze und Ziele.
Unternehmeredition: Herr Reitze, Herr Dr. Sievers, warum gewinnt das Thema Distressed M&A gerade jetzt an Relevanz?
Gerd Sievers: Aufgrund meiner 25-jährigen Erfahrung in der Restrukturierungsbranche kann ich sagen, dass wir es aktuell mit einer neuen Art von Zyklus zu tun haben. Die gegenwärtige Multikrise stellt uns vor völlig neue Herausforderungen. Während man bei früheren Zyklen – wie zum Beispiel in der Finanzkrise – einzelne isolierte Themen hatte, bei denen nur einzelne Branchen betroffen waren, hat man jetzt ein sich überlagerndes geopolitisches Umfeld. Das reicht von Corona über Lieferkettendisruption und Chipkrise bis hin zur Energie- und Ukrainekrise, um nur einige Wesentliche zu nennen. Es überlagern sich sehr viele Krisen, die eine exportstarke Nation wie Deutschland als Ganzes herausfordern. Das zeigt sich auch in der sehr großen Zahl an Transaktionen, die wir aktuell auf den Tisch bekommen. Die Nachfrage findet in einer Frequenz statt, wie ich sie in 25 Jahren nicht erlebt habe. Pro Woche sind dies drei bis vier neue Transaktionen – aus allen Branchen. Das ist kapazitativ fast nicht mehr zu bewältigen.
Hermann Reitze: Wenn man zurückblickt, hatten wir nach der Finanzkrise einen sehr langen Private-Equity-Boom, der zu einer Flaute im Bereich Distressed-M&A führte. Es gab zwar vereinzelte Deals, darunter auch ein paar große Leuchtturmdeals, aber es war doch vergleichsweise ruhig. 2020, mit Beginn der Coronakrise, haben alle gedacht, dass Finanzinvestoren im Distressed-Sektor ordentlich Geld verdienen könnten. Wirklich stattgefunden hat das auch aufgrund der Staatshilfen aber fast gar nicht. Die klassischen Private-Equity-Investoren hatten damals noch sehr großes Interesse an allen möglichen Themen. Das hat im Plain-Vanilla-M&A-Markt zu den Superjahren 2022 und zum Teil auch noch 2023 geführt „Plain Vanilla“ geht nun zurück und eine Konzentration auf Kernthemen wie zum Beispiel Tech, IT, Service oder Medizin erfolgt. Dadurch landen viele Anfragen außerhalb dieser Kernthemen bei uns.
Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die jetzt Insolvenz anmelden müssen und dies die letzten Jahre hinauszögern konnten. Auch im vorinsolvenzlichen Bereich sehen wir gerade sehr viele Fälle.
Sievers: Das ist wie ein Tsunami, der flächendeckend durch den deutschen Mittelstand fegt. Und auch daran sieht man, dass Deutschland vor einer großen Transformationsherausforderung steht.
Was bedeutet das denn für Ihr Geschäftsfeld, Distressed M&A?
Sievers: Das lässt sich so auf den Punkt bringen: zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Thema und mit genügend Kapital. Kapital ist im Distressed-Umfeld sehr wichtig. Denn in der Krise ist derjenige König, der über Geld verfügt. Viele Private-Equity-Unternehmen im Plain-Vanilla-Bereich sind im Moment nicht immer lieferfähig, weil auch Fundraising im institutionellen Bereich aktuell eine größere Herausforderung für viele Fonds darstellt. Insofern sind wir vom Timing und vom Umfeld her gut gestartet und verfügen über ausreichend Opportunitäten.
Derzeit erleben Sie auf dem Distressed-Markt also weniger Wettbewerb durch PE-Gesellschaften mit klassischer Ausrichtung.
Sievers: Der eine oder andere ist natürlich auch mit diesem Thema gestartet und hat damit – wie wir – einen guten Riecher bewiesen. Es sind auch ein paar neue Spieler mit neuen Konzepten an den Markt gekommen. Das ist für uns kein Problem, denn es gibt am Markt mehr Potenzial, als es Kapital und Spieler gibt. Es ist genug Raum für alle, die sich im Distressed-Bereich auskennen und tummeln.
Sie sind seit ungefähr einem Jahr am Markt. Was ist seitdem passiert?
Reitze: Unser Bereich wurde bei der Hannover Finanz vor einem Jahr separiert. Seitdem haben wir uns sehr viel mit Themen wie Konzeption und Pipelineaufbau beschäftigt und haben die ersten Deals gemacht. Wir sind in der Endphase unseres Fundraisings und werden hier in den nächsten Wochen bis Monaten wohl einen Schlussstrich ziehen können.
Sievers: HF Opportunities (HFO) hat sich im Laufe dieses Jahres in der Kombination aus Private Equity-, Finanzierungs- und Restrukturierungsexpertise final gefunden und konstituiert. Einen ersten Deal konnten wir bereits abschließen, Wir haben freeglass, einen führenden Entwickler und Hersteller von dreidimensionalen Kunststoffbauteilen für die Automobilindustrie, im Rahmen eines Carve-outs erworben. Hier werden wir nun die Strukturen und Prozesse von freeglas stärken, um dann zügig in den Wachstumsmodus zu schalten. Dabei werden wir das Managementteam vor Ort aktiv unterstützen und in das Unternehmen und die Mitarbeiter investieren. Weitere Transaktionen sind in Vorbereitung.
Wie sehen Ihre Ziele für das Fundraising aus?
Reitze: Im Distressed-M&A muss man differenzieren. Das eine ist, wie viel Geld man einsammelt, das andere, was als Geschäftsmodell für einen Distressed-Investor funktioniert. Wenn man einfach nur sagt „The Sky is the Limit“, dann wird man nicht dauerhaft erfolgreich bleiben. Wir haben uns eine realistische Zielgröße gesetzt, die wir auch einsammeln konnten. Wir glauben, dass wir mit dieser Zielgröße in einem sehr guten und sehr breiten Segment unterwegs sein werden, in dem wir uns dauerhaft und langfristig behaupten können.
Sievers: Das Interesse war größer, als wir es uns vorgestellt hatten. Unser Kapital kommt von in Deutschland beheimateten Family-Offices und institutionellen Investoren aus Deutschland. Da komme ich wieder zu dem Thema Transformation des deutschen Mittelstands. Man spürt auch in den Gesprächen mit den Investoren, dass diese die Notwendigkeit und die Herausforderung sehen und gleichzeitig auch die Unterstützung vorhanden ist. Wir planen dreistellig und es sieht so aus, als würden wir das auch so umsetzen.
HF Opportunities verfolgt einen transformatorischen Ansatz. Was bedeutet das konkret für die Unternehmen, in die Sie investieren, und wie unterscheidet sich dieser Ansatz von traditionellen Sanierungsstrategien?
Sievers: Wir sehen die Herausforderungen insbesondere beim Mittelstand in Deutschland. Das heißt wir nehmen uns Unternehmen mit Umsätzen von 20 Mio. Euro bis 250 Mio. Euro vor, die wir unterstützen wollen. Das deckt sich im Übrigen mit der Art der Transaktionen, die wir angeboten bekommen. Die bewegen sich alle in dieser Größenordnung. Wir unterstützen industrieagnostisch, Real Estate und Projektfinanzierung ausgenommen, vom Carve-out über die Restrukturierungssituation bis hin zur Insolvenz. Natürlich sind wir nicht der einzige und der erste Distressed-Fonds, den es im Markt gibt, aber die Kombinatorik, die wir bieten, ist einmalig.
Wir glauben, dass wir für die Unternehmen eine nachhaltige Lösung brauchen. Es gibt viele Ein-Euro-Ritter im Markt, die die Situation ausnutzen, ohne auf die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodels und die Gesundung sowie die Stabilisierung des Unternehmens zu achten. Da gibt es eine Lücke im Markt. Es braucht eine gewisse Erfahrung, nicht nur auf der finanzierungstechnischen Seite, sondern eben auch auf der operativ-strategischen Restrukturierungsseite. Diese Kombinatorik haben wir. Wir sind kein passiver Investor. Wir schauen uns die Problemstellung an, erfassen diese aufgrund unserer Erfahrung sehr gut und schnell und unterstützen die Unternehmen aktiv bei der Lösung dieser Probleme. Je nach Einzelfall beziehen wir auch das Management und die Altgesellschafter in die Lösung mit ein und sorgen dafür, dass wir in der Transaktion mit allen Stakeholdern bereits ein 2.0 für das Unternehmen definieren.
Reitze: Es gibt natürlich auch andere Player am Markt, die sehr breit aufgestellt sind. Was uns denen gegenüber auszeichnet ist, dass wir über ein sehr professionelles Setup unserer Backoffice-Struktur verfügen. Wir sind Teil der Hannover Finanz Gruppe und eben nicht Lonely Rider, die alles selbst machen. Das heißt, wir können uns als Investmentteam der HFO auf unsere Arbeit konzentrieren und die organisatorischen Themen drumherum über die Hannover Finanz abdecken. Das können in dem Bereich, in dem wir unterwegs sind, aktuell nur wenige Häuser in Deutschland.
Sehen Sie auch eine gewisse Kontinuität aus dem bisherigen Engagement der Hannover Finanz für den speziellen Fokus, in dem Sie unterwegs sind?
Reitze: Die Hannover Finanz hat schon in der Vergangenheit in den Distressed-Sektor investiert, allerdings nur punktuell. Der Distressed M&A-Markt hat sich in den letzten fünf bis sieben Jahren professionalisiert und weiterentwickelt. Mit einem allgemeinen Prozess, wie er im klassischen Private-Equity etabliert ist, ist man in gewissen Situationen nicht mehr schnell oder handlungsfähig genug, weil das inzwischen zwei verschiedene Welten geworden sind. Deshalb ergibt es Sinn, das zu separieren und ein spezialisiertes Team einzusetzen. Auf Funktionen wie Fondsbuchhaltung, Marketing, PR oder Legal-Support können wir weiter zugreifen und diese mitbenutzen, und das hat natürlich einen enormen Impact auf unser tägliches Tun.
Was können Sie leisten bei einem Unternehmen, das in einer Sondersituation steckt? Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um dieses Unternehmen aus einer schwierigen Situation in eine gesunde, erfolgreiche und wachsende Position zu bringen?
Sievers: Wir schauen uns schon während der Akquisitionsphase an, was es für Herausforderungen beim Unternehmen gibt und welche Form der Unterstützung es braucht. Diese kann bis in die operative Unterstützung gehen, entweder über externe Manager oder im Bedarfsfall könnten wir sogar selbst mit ins Organ gehen. Wir haben Mitarbeiter, die sowohl einen operativen Restrukturierungs- als auch einen Private-Equity-Hintergrund haben. Es ist vorgesehen, dass wir das Managementteam in die Lage versetzen, die Themen selbst anzugehen. Für uns ist das eine kapazitative Herausforderung, mit unserem Know-how, das wir als Investor beisteuern, das Unternehmen aktiv vor Ort zu unterstützen und zu entlasten.
Abhängig von der Problemlage kommt ein spezifisches Modell zum Einsatz, das möglichst nachhaltig, auch im Hinblick auf die zukünftige Ausrichtung, ist. Wir kommen nicht nur zum Kostensenken, sondern wir versuchen das Unternehmen nachhaltig auszurichten, indem wir den überlebensfähigen Kern zusammen mit dem Management schon während der Akquisitionsphase definieren. Und der soll im Endeffekt dann auch so aufgestellt werden, mit Investitionen gepaart, dass das Problem des Unternehmens gelöst und ein 2.0 oder sogar 3.0 ermöglicht wird.
Investoren schauen immer auf den Track Record. Lässt sich da etwas aus der Historie der Hannover Finanz vorweisen oder wie konnten Sie das Vertrauen der Investoren gewinnen?
Sievers: Wir haben das Fundraising in einer Geschwindigkeit vollzogen, die im Moment kein anderer am Markt zustande gebracht hat. Es war offenbar genug Vertrauen in die handelnden Personen vorhanden, auch wenn wir keinen langen Track Record seitens der HFO vorweisen konnten. Uns wurden eine Menge Vorschusslorbeeren und Vertrauen entgegenbracht, weil wir schon lange in diesem Markt unterwegs sind.
Reitze: Wir haben einen Track Record auf Personenebene und auf Ebene der Hannover Finanz. Damit konnten wir überzeugen.
Wie unterstützen Sie die Unternehmen konkret in Bezug auf Kapitalbeschaffung und Finanzierung?
Reitze: Bei einer Finanzrestrukturierung zum Beispiel, bestand in der Vergangenheit in der Regel eine Überfinanzierung, die mit dem aktuellen Businessmodell nicht tragfähig ist. Wir haben die Expertise, wie man in solchen Fällen agiert und wissen, welche Stakeholder welchen Beitrag leisten können. Wir können Equity und Know-how beitragen, aber alle anderen, die ein Teil des Dilemmas sind, sind natürlich auch gefordert etwas beizutragen. Wir wollen mit der Transaktion Handlungsfähigkeit für das Unternehmen schaffen und es stark (weiter)entwickeln. Wenn wir zusätzliche Finanzierungspartner benötigen, ist Factoring in diesem Umfeld das Mittel der Wahl. Man kann ferner noch über andere Asset-Based-Finanzierungsmethoden nachdenken, zum Beispiel über Sale-and-Lease-Back. Wenn man beispielweise eine Betriebsimmobilie vorfindet, dann lässt sich das auch über die lokale Bank abwickeln.
Wir sind kein Investor, der versucht, sich über die Finanzierungsstruktur zu optimieren sondern wir wollen Geld ausgeben und in das Geschäftsmodell investieren, das nach vorne zu entwickeln ist. Darüber hinaus gibt es Finanzierungsinstrumente, die auch in der Krise, vielleicht sogar bei einer übertragenden Sanierung, also dem Assetdeal, aus der Insolvenz heraus funktionieren. Die sind in der Anzahl sehr limitiert, aber es gibt sie und die nutzen wir aktiv. Unser oberstes Ziel ist es, eine robuste Finanzierung aufzustellen, die es dem Unternehmen ermöglicht, nach vorne zu atmen und sich weiterzuentwickeln. Wir kommen in der Krise des Zielunternehmens und wollen die Krise beenden.
Sievers: Auch wenn viele Unternehmen aus finanziellen oder bilanziellen Gründen in die Krise kommen, haben wir den Anspruch, hier nicht nur für bilanzielle Restrukturierungen zur Verfügung zu stehen und mit Banken oder Gesellschaftern zu verhandeln. Der Anspruch ist vielmehr, dass die Situation genutzt wird, um das Unternehmen nachhaltig neu auszurichten. Natürlich gibt es viele Sondersituationen, die über die Finanzierungslage ausgelöst oder getriggert werden. Das ist dann aber meistens nicht das einzige Thema, um das nochmal zu unterstreichen.
Sie haben die Bedeutung einer nachhaltigen Transformation betont. Damit sind jetzt aber nicht unbedingt ESG-Kriterien gemeint, nicht wahr?
Sievers: Das stimmt. Wenn wir von nachhaltig sprechen, reden wir nicht per se von ESG. Sondern nachhaltig heißt für uns, ein Geschäftsmodell zu stabilisieren. Da kann auch ESG ein Thema sein. Das muss man heutzutage immer mitberücksichtigen, genauso wie Digitalisierung und andere wichtige Themen. Sie müssen dann Einschätzungen treffen, was in welcher Form relevant ist und was das für das Geschäftsmodell bedeutet. Da können auch regulatorische Verschiebungen entstehen. Aber das ist eben genau die Herausforderung, die uns nicht schreckt. Diesen Fragen muss man sich im Sanierungsgeschäft immer stellen.
Ich nenne es den 360-Grad-Blick. Das schnelle Erkennen, was man aus dem Unternehmen machen kann. Was ist der überlebensfähige Kern? Wie muss ich den neu ausrichten? Was brauche ich dafür im Produkt, in der Regionalität, an Investitionen? In der Regel, und das haben auch die letzten Jahre gezeigt, werden Sanierungen, die einen nachhaltigen Charakter haben, auch ein Stück weit länger dauern. Deswegen haben wir die HFO auch so aufgestellt, dass wir nicht nur Getriebene des Exits auf der Zeitschiene werden. Uns ist bewusst, dass der Prozess länger dauern kann als in einem klassischen Fonds, wo man das Engagement schnell beenden möchte.
Reitze: Das ESG-Reporting spielt bei uns natürlich auch eine große Rolle. Wir schauen uns das Thema bei den Akquisitionen sehr genau an und unterstützen in der Zusammenarbeit mit den Unternehmen die Portfolioentwicklung durch entsprechende Maßnahmen und Initiativen. Dabei kommen ESG-Scorings zum Einsatz, die wir teilweise auch weiterentwickeln.
Und welche Bedeutung hat das Thema Digitalisierung im Restrukturierungsprozess?
Sievers: Das Thema hat in der Restrukturierungsbranche schon vor ESG Einzug gehalten. In den Sanierungskonzepten müssen Sie auch immer mit beurteilen, wie sich die Digitalisierung in drei Jahren plus auf das Geschäftsmodell auswirkt. Das ist aufgrund der Dynamik des Themas nicht einfach – Stichwort KI: da können Sie die neuesten Entwicklungen mittlerweile im Drei- oder Sechsmonatsrhythmus verfolgen. Auch hier muss schon in der Akquisitionsphase erkannt werden, was für Auswirkungen auf das Geschäftsmodell bestehen und wo sich Chancen bieten, aber auch welche Risiken damit verbunden sind.
Im Rahmen der Digitalisierung spielt das Thema Cybersecurity eine wichtige Rolle. Die Gefahr von Cyberattacken für Unternehmen wächst zunehmend und die Volumina werden auch größer. Das ist also auch eine Komponente, die für Unternehmen eine immer größere Relevanz hat.
Reitze: Wir haben beispielsweise auch schon Insolvenzen auf dem Tisch gehabt, die nur deswegen stattgefunden haben, weil das Unternehmen eine Ransomware-Attacke erlitten hatte. Denen wurde das komplette Buchungsprogramm zugesperrt und keiner wusste, ob sie genug Liquidität haben. Das konnte nicht schnell genug repariert werden und so musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Meistens holen wir für neue Digitalisierungsansätze externe Experten hinzu.
Gibt es bestimmte Branchen, in denen Sie aktuell verstärkt nach Investitionsmöglichkeiten suchen?
Reitze: Opportunitäten sind immer dort, wo andere Marktteilnehmer das Pricing im M&A-Markt nicht verwässern. Wir können mit sehr komplizierten Situationen umgehen und sehen besondere Chancen in Branchen, die aktuell für andere Käufer nicht en vogue sind. Diese Themen gehen, aus welchen Gründen auch immer in den M&A-Prozess, funktionieren per se aber gut. Das betrifft im Moment den Automotive-Bereich oder energieintensive Branchen wie zum Beispiel die Gussindustrie. Da sehen wir immer wieder Fälle, die nach einem kerngesunden Unternehmen aussehen und stellen uns die Frage: Warum landet das bei uns?
Sievers: Maschinenbau ist im Moment auch viel dabei. Die Branche steht natürlich häufig im Kontext mit Automotive. Was Sie im Moment weniger sehen, ist Fashion Retail. Es gibt zwar Esprit und andere, aber der stationäre Retail hatte letztes Jahr seinen großen Lauf mit P&C und anderen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bestimmte Branchen nacheinander mal in höherer und mal in niedrigerer Frequenz betroffen sind. Und im Moment sind es insbesondere Automotive, energieintensivere Unternehmen und der Maschinenbau. Das Herzstück der der deutschen Wirtschaft also.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung im Distressed-M&A-Sektor?
Sievers: Meine Hypothese ist, dass die deutsche Wirtschaft noch lange nicht aus dem Gröbsten raus sein wird. Da zieht sich eine lange Schleifspur und Kette hinterher. Das heißt, im nächsten Jahr wird die Krise sicher noch nicht vorbei sein. Es gibt zu viele Faktoren, die eine Rolle spielen, beginnend mit einer US-Wahl und anderen geopolitischen Veränderungen. Die Herausforderungen sind so groß und der Umbruch wird so wichtig werden, dass der Mittelstand und die Volkswirtschaft in Deutschland noch lange damit zu tun haben werden.
Reitze: Das sehe ich auch so. Es ist eine Transformation der Wirtschaft, die wir gerade vor uns haben und es fließen gerade viele äußere Faktoren ein, darunter eine dauerhafte Verschiebung der Energiekostenstruktur in Deutschland und der Fachkräftemangel, der gerade erst richtig losgeht. Das heißt wir haben eine Konstellation, in der wir von hohen Löhnen und hohen Energiekosten geprägt sind und das in einer Wirtschaft, die strukturell sehr produktionslastig ist, und in einem sich weltweit verschiebendem Umfeld. Wir haben in den vergangenen fünfzehn Jahren sehr stark auf China als Exportmarkt gesetzt. Der Markt ist in Zukunft ungewiss, weil – wie man es in Russland gesehen hat – es willkürliche Entscheidungen geben kann, die neue wirtschaftliche Realitäten schaffen. Es ist so viel im Umbruch, dass es einer großen Transformation unserer Volkswirtschaft bedarf.
Lieber Herr Dr. Sievers, lieber Herr Reitze, wir danken Ihnen für dieses aufschlussreiche Gespräch!
Das Interview führte Eva Rathgeber.
ZU DEN PERSONEN
Hermann Reitze ist Gründungspartner der HF Opportunities. Der diplomierte Volkswirt verfügt über umfangreiche Erfahrung als Distressed-Investor und Restrukturierer in der DACH-Region. Vor seiner Tätigkeit bei HF Opportunities war er unter anderem bei der Restrukturierungsboutique RFL in München, der Distressed-Boutique IlliquidX in London und zuletzt als Partner bei dem Private-Equity-Investor LMC in Frankfurt am Main tätig.
Dr. Gerd Sievers ist seit 2024 Managing Partner bei der HF Opportunities. Zuvor war er 25 Jahre für Roland Berger tätig – zuletzt als Senior Partner und Co-Head des Bereichs Restructuring, Performance, Transformation & Transaction (RPT) und Mitglied der deutschen Geschäftsführung. In dieser Funktion beriet der promovierte Betriebswirtschaftler mittelständische Unternehmen und Konzerne bei Projekten zu Restrukturierung, Performanceverbesserung, M&A und Finanzierung.
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.