Der mit dem Zaren tanzt

Von alten Kadern bei der Ehre gepackt

Berlin, März 1990. Wenige Tage vor den ersten freien Wahlen hatte die Regierung Modrow noch das Gesetz zur Reprivatisierung der zwangsverstaatlichten Firmen durchgewinkt. Ein paar Tage später standen einige Mitarbeiter des kurz vor der Abwicklung stehenden Wirtschaftsrates der DDR bei Pensionär Schilkin vor der Haustür und packten ihn bei der Ehre: „Wenn du diesen Antrag nicht unterschreibst, müssen dich die anderen für eine ausgemachte Pfeife halten.“ 15% der Anteile bekam Schilkin sofort wieder, 85% behielt

Sitz von Schilkin in Alt-Kaulsdorf bei Berlin: Hier ist das Unternehmen seit 1932 ansässig.
Sitz von Schilkin in Alt-Kaulsdorf bei Berlin: Hier ist das Unternehmen seit 1932 ansässig.

noch für eine kurze Zeit die damalige Treuhandanstalt. Zusätzlich handelte er auch hier wieder mehr aus: Weil man seinen Betrieb völlig heruntergewirtschaftet hatte, erhielt der Unternehmer noch eine finanzielle Apanage als Dreingabe. Zum Glück war auch Schwiegersohn Peter Mier von der deutschen Wiedervereinigung fasziniert. Der knapp 50-Jährige hatte im Westen eine Managerkarriere hingelegt, doch es reizte ihn mehr, den mittlerweile 75-jährigen Schwiegervater zu unterstützen.

Jelzin lässt Wodkaabsatz sprudeln

Moskau 1993. Im neu formierten russischen Reich regiert der „Zar“, wie ihn sein Volk liebevoll nennt, Boris Jelzin. Er streicht das von seinem Vorgänger Michael Gorbatschow verhängte Alkoholverbot gegen die eigenen Landsleute. Endlich dürfen sie wieder dem Wodka frönen. Sergej Schilkin erkennt die Lage und exportiert über ein Joint Venture in Sankt Petersburg zuhauf in sein Heimatland. Im heimischen Deutschland hat man sämtliche Handelsstrukturen aus DDR-Zeiten zerschlagen. Die Russen fangen den Umsatzeinbruch auf. Das Comeback des „Zarenwodka“, die erste Neukreation nach der Wende, wird dann auch in Deutschland zum Erfolg.

Noch heute kann man den „Zarenwodka“ nach Rezept des Firmengründers kaufen. Er ist einer der wichtigsten Produkte der Brennerei. Patrick Mier, der heute 46-Jährige Geschäftsführer, will den Status eines unabhängigen Familienbetriebes bewahren. „Wir sind mit einem moderaten Wachstum sehr zufrieden.“ Zuletzt erwirtschafteten 40 Mitarbeiter 50 Mio. EUR Umsatz mit Likören, Korn und dem berühmten Zarenwodka. Unabhängigkeit und Kampfgeist, das ist es, was die turbulente Geschichte der Marke Schilkin prägt.

 

Kurzprofil Schilkin GmbH & Co KG

Gründungsjahr: 1914 (Russland), 1932 (Deutschland)

Branche: Spirituosenindustrie

Unternehmenssitz: Berlin

Umsatz 2013: 50 Mio. EUR

Mitarbeiterzahl: 40

 

Zu den Personen

Schilkin/Patrick u Peter MierPatrick Mier (l.) leitet den Spirituosenhersteller Schilkin in der vierten Generation. Dass unternehmerisches Blut in ihm fließt, merkte er bereits mit 16 Jahren. Kein Wunder, bei der Familie. Sein Urgroßvater Apollon Fjodorowitsch Schilkin hatte es zum Hoflieferanten für den russischen Zaren geschafft, floh aber 1921 vor den Bolschewisten nach Berlin. Sohn Sergei schaffte es, die Schnapsbrennerei trotz DDR-Repressalien zu einer der größten der DDR aufzubauen. Nach der Wende wurde Schwiegersohn Peter Mier (r.) auf das Unternehmen aufmerksam. Er beendete seine Karriere im Westen zugunsten des Familienunternehmens. Und er überzeugte Sohn Patrick, bei ihm einzusteigen. Die Unabhängigkeit eines Familienunternehmens wollen sie bewahren. Und den Zarenwodka weiterhin ausliefern. www.schilkin.de 

Autorenprofil

Torsten Holler ist Gastautor.

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