Auf dem Weg zur digitalen Souveränität

In der Prignitz sollen Schienentrassen künftig multimodal genutzt werden

Vertragsunterzeichnung: Bruno Reufels (Niedax) und DR. Ralf Böhme (DESAG) Foto: © DESAG

Das Konzept, 33.000 Kilometer entlang des deutschen Schienennetzes mit Glasfaserkabel auszustatten, ist nicht neu. In der Netz33 GmbH werden nun die Kompetenzen von Familienunternehmen und Hidden Champions gebündelt.

Manch unternehmerisches Konzept ist strategisch weit gedacht sind und gerät dann in der operativen Umsetzung ins Stottern. Handelnde Akteure wechseln, Stopps und Zwischensprints sind an der Tagesordnung. Am Ende ist es wie auf einem Rangierbahnhof mit einer Unzahl von Gleisen und Weichen, die gestellt werden, bevor sich die Lok mit den Waggons in Bewegung setzt, so wie es jetzt beim Projekt Netz33 geschehen ist. Die Idee ist nicht neu: Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Digitalisierung des deutschen Schienennetzes mit einer Streckenlänge von 33.000 Kilometern. Dazu bedarf es der Verlegung von Glasfaserkabeln entlang der Schiene.

Ein Glasfaserkabel hat 576 autarke Leitungen, mit denen Terabytes an Datenmengen in Echtzeit übertragen werden – ein Projekt, das Milliarden an Investitionen kostet. Glasfaserausbau ist so etwas wie die Achillesferse der deutschen Infrastruktur. Auch die Wirtschaft kommt nicht so recht mit der Digitalisierung voran; in Amtsstuben lebt das Fax wie in einem Biotop weiter. Glasfaserausbau war und ist bis heute Sache von Bundesländern und kommunalen Gebietskörperschaften, die auf die Mittel von EU, Bund und Ländern zugreifen können.

Einstieg ins Geschäftsfeld der Infrastruktur

Digitalisierungsprojekt für das Streckennetz

Die Umsatzmilliarde hatte im letzten Jahr die Niedax Group, Hersteller von Kabelverlegesystemen aus dem rheinland-pfälzischen Linz am Rhein, als Meilenstein erreicht. Das 1920 gegründete Familienunternehmen, heute im Besitz der Nachfolger der Gründerfamilien Niedergesäß und Axthelm, hatte diese Größe zuletzt unter anderem mit erfolgreich umgesetzten Infrastrukturprojekten erreicht. Niedax stattete die Hamburger Elbphilharmonie und den Gotthard-Basistunnel mit Kabelverlegesystemen aus, die Technik findet sich auch in Industrieanlagen, Kraftwerken und Sportarenen.

Mittlerweile hat die Unternehmensgruppe weltweit 25 Produktionsstandorte mit 2.800 Mitarbeitern. National und international erreichte Niedax seit 2021 jährlich ein Wachstum im zweistelligen Bereich unter der Führung von CEO Bruno Reufels mit einer zielgerichteten Buy-and-Build-Strategie (vergleiche Unternehmeredition 2/2024). Doch das Familienunternehmen will in weitere Geschäftsfelder einsteigen: „Seit diesem Jahr liegt der Fokus auf dem Ausbau unseres Produktportfolios im Bereich der Digitalisierung der Infrastruktur. Mit der Gründung der neuen Gesellschaft Niedax Infrastruktur GmbH und der Erschließung eines neuen Standorts haben wir dafür den Grundstein gelegt“, so Reufels. Die künftigen Bauprojekte im Bereich der Infrastruktur will die Niedax Group von ihrem neuen Technologiecampus im rheinland-pfälzischen Rahms steuern, wo sie das Grundstück der früheren Firmenzentrale des Sandalenherstellers Birkenstock erworben hat. Mit weltweit führenden Unternehmen sollen dort auch innovative Produkte aus dem Bereich der Datencenter erlebbar gemacht werden. Auf den 33.000 Kilometern Bahnstrecke sollen die Kabeltragsysteme der Niedax Group zum Einsatz kommen, die dazugehörige leistungsfähige Glasfaserinfrastruktur wird der weltweit agierende Konzern Corning liefern. Blieb noch die Frage, wo der Startpunkt für die Ausbauaktivitäten sein sollte.

Ausbaustart in der strukturschwachen Prignitz

Güterverkehr des DESAG: Neben Gütertransporten und Personennahverkeh unterhält die DESAG auch ein Schienennetz von 475 eigenen Streckenkilometern.

Die Prignitz im Nordosten Brandenburgs gilt gemeinhin als strukturschwache Region. Hier werden Stellwerke teilweise noch von Hand betrieben. Und doch liegt die Prignitz strategisch günstig, mittig zwischen Berlin, Hamburg, Rostock und der Insel Rügen, von der aus Transporte ins Baltikum und nach Skandinavien abgewickelt werden können. Die Bahnstrecke zwischen Berlin und Rostock hat eine kommerzielle, aber auch sicherheitspolitisch strategische Bedeutung.

Hier hat die private Eisenbahngesellschaft Deutsche Eisenbahn Service AG (DESAG) ihren Sitz, die aus der 1996 gegründeten Prignitzer Eisenbahngesellschaft mbH hervorging. Hinter ihr stehen mit Thomas Becken und Mathias Tenisson zwei private Unternehmer, die bis zum heutigen Tag ein Mobilitäts- und Logistikunternehmen mit fünf verschiedenen Geschäftsbereichen an 20 verschiedenen Standorten unter dem Dach der DESAG Holding aufgebaut haben. Neben Gütertransporten und öffentlichen Personennahverkehr sowie der Wartung und Instandhaltung in eigenen Bahnwerken unterhält die DESAG auch ein Schienennetz von 475 eigenen Streckenkilometern (vergleiche Unternehmeredition 3/2024).

Schrittweise Entwicklung

Über die Wirtschaftsförderung Brandenburg und deren Teamleiterin Mobilität, Sylke Wilde, kam der Kontakt zu den Managern von Giga Fiber und Niedax zustande. „Hier gab es die Möglichkeit, zwei interessante Partner miteinander zu vernetzen und einen großen Schritt in Richtung Zukunft zu machen. Das bringt die Region voran“, so Wilde. Die neuen Partner gingen einen Schritt weiter und entwickelten das Konzept der Multimodalen Schiene Nordost. „Über den Glasfaserausbau entlang unserer Leitungstrassen verfolgen wir den Ansatz einer multimodalen Nutzung von Schienentrassen“, erläutert DESAG-Vorstand Dr. Ralf Böhme das neue Konzept. Das Projekt soll die Region attraktiv für die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen, Rechenzentren und technologieorientierten Unternehmen machen. Mehr als zehn Rechenzentren sollen perspektivisch hier ihren Sitz haben, innerhalb des Konsortiums werden der Hersteller von Glasfaserkabeln Corning Inc. und Rolls Royce den Bau der Leitungen und die Energieversorgung übernehmen.

Vertragsunterzeichnung: Bruno Reufels (Niedax) und DR. Ralf Böhme (DESAG)

Die neuen Rechenzentren in der Prignitz benötigen ein sicheres, resilientes und hochleistungsfähiges Glasfasernetz, um die dortigen Überschüsse an Strom durch Windkraft und Photovoltaik nutzen zu können. Die Betreuung der sekundären Infrastruktur der Rechenzentren und die Sicherstellung der elektrischen Versorgungssicherheit wird die GIG-Unternehmensgruppe übernehmen, die sich zum Technologiedienstleister im Facility Management mit dem Schwerpunkt Technik und Engineering entwickelt hat (Unternehmeredition 2/2025).

Digitale Souveränität

Bei der Umsetzung des Ausbaus wird auch Technologieunternehmen und Hidden Champion AP Sensing aus Böblingen dabei sein. Das Unternehmen hat sich darauf konzentriert, kritische Infrastrukturen wie Energie- und Schienennetze mittels faseroptischer Sensorik nach den neuesten Anforderungen für kritische Infrastrukturen zu überwachen und dabei die neu entstehende Glasfaserinfrastruktur mit zu nutzen und zu schützen (Unternehmeredition 2/2025). „In der Tat ist dieses Projekt ein großer Beitrag für Deutschlands digitale Souveränität und wird mit unserer Sensorik ganz neue Möglichkeiten bieten. In Zusammenhang mit der Bahn können wir hier Zustandsüberwachung betreiben, Kurzschlüsse in Echtzeit lokalisieren, bei Sabotagen, Kabeldiebstahl und anderen Vorgängen in Echtzeit alarmieren“, so Clemens Pohl, CEO von AP Sensing. Damit gelingt es auch, die neuen rechtlichen Anforderungen an kritische Infrastrukturen zu erfüllen.

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„Wir setzen neue Maßstäbe für die Modernisierung von Bahninfrastruktur“

Interview mit Dr. Ralf Böhme, Vorstand, DESAG AG

Unternehmeredition: Aus welchem Beweggrund ist die DESAG in dieses Kooperationsmodell eingestiegen?

Dr. Ralf Böhme: Wir setzen damit ein starkes Zeichen für Digitalisierung im ländlichen Raum und schaffen damit die Basis für eine leistungsfähige, nachhaltige und zukunftssichere Infrastruktur. Das Projekt zeigt, wie modernste digitale Technologien gezielt in die Region zwischen Berlin, Hamburg und Rostock gebracht werden können. In Verbindung mit der von uns betriebenen Schieneninfrastruktur wird dieses Projekt das erste seiner Art in Deutschland sein, das neue Maßstäbe für die Modernisierung und Qualifizierung von Bahninfrastruktur setzen wird. Insofern sind wir sehr glücklich, dass wir die Niedax Group als Partner gewinnen konnten.

Sie nennen das Projekt „multimodale Nutzung von Schienentrassen“. Was verbirgt sich dahinter?

Über die Schaffung einer hochleistungsfähigen Infrastruktur entlang unserer Schienentrassen denken wir umfassender an weitere Medienanwendungen und wollen so ganzheitliche raumerschließende Versorgungskorridore entstehen lassen, etwa für in der Region erzeugte erneuerbare Energie, die regional transportiert und verteilt so in der Region verbleibt und dort genutzt werden kann. Es entsteht damit ein neuartiger integrierter, sektorenübergreifender Infrastrukturpfad. Mit dem Konzept der multimodalen Nutzung werden aber auch weitere Investoren angesprochen, was sich schlussendlich auf die Strukturentwicklung nicht nur in der Prignitz, sondern auch darüber hinaus auswirkt. Digitalisierung und Glasfaserausbau sind die Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaftsförderung gerade in ländlichen Regionen.

Welche Effekte bringt die Kooperation für die DESAG?

Wir als Unternehmen mit dem Fokus Eisenbahn wollen diese neuen infrastrukturellen Möglichkeiten entlang der Trassen nutzen, um einerseits im Betrieb unserer Schieneninfrastruktur das analoge und fossile Zeitalter hinter uns zu lassen. Andererseits soll damit der Personen- und Güterverkehr in unserem Netz digitaler, grüner und damit attraktiver und nachhaltiger werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch!

👉 Diese Fallstudie ist auch in der Magazinausgabe der Unternehmeredition 4/2025 erschienen.

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KURPROFIL

Niedax Group

Gründungsjahr: 1920

Branche: Elektrotechnik

Firmensitz: Linz am Rhein

Mitarbeiter: 2800

Umsatz(2024): 1 Mrd.EUR

www.niedax.com

Autorenprofil
Torsten Holler

Der Wirtschaftsjournalist Torsten Holler schreibt seit 1987 regelmäßig für renommierte Wirtschaftsmedien über verschiedenste Themen.

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