Website-Icon Unternehmeredition.de

„Zuerst müssen die Stellhebel zur Digitalisierung erkannt werden“

Im deutschen Mittelstand besteht weiter erheblicher Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Wir sprachen mit Andi Klein über seine Erfahrungen.

© adobe.stock.de

Fortschritten zum Trotz besteht im deutschen Mittelstand weiter erheblicher Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Laut einer aktuellen KfW-Umfrage hat es zwar einen Digitalisierungsschub durch die Coronakrise gegeben, komplexere Digitalisierungsprojekte sind aber weiterhin zu selten. Wir sprachen mit Andi Klein, Managing Partner und Head of TSM bei Triton Partners, über seine Erfahrungen.

Unternehmeredition: Herr Klein, warum hinken viele kleine und mittlere Unternehmen bei der Digitalisierung hinterher?

Andi Klein: Oft haben mittelständische Unternehmer oder die Familieneigentümer sehr wenig Erfahrung mit der Weiterentwicklung ihrer Unternehmen durch Digitalisierung. Das fängt damit an zu identifizieren, was als erstes verändert werden muss. Häufig ist die IT-Landschaft nicht auf dem neuesten Stand und Wartungen für die Anwendungen sind ausgelaufen, sodass teilweise bereits die Grundvoraussetzungen schwierig sind. Darüber hinaus liegt eine Herausforderung darin, Talente zu finden, welche die Digitalisierung im Unternehmen vorantreiben. Den Unternehmen fällt es teilweise schwer, junge Talente zu begeistern. Das kann am Standort liegen oder am „Look and Feel“, aber auch generell an der Branche. Ein weiterer Punkt sind interne Ressentiments, Fragen, die aufkommen wie „was bedeutet das eigentlich für die Mitarbeiter, fallen dadurch Arbeitsplätze weg?“. Das ist dann sicherlich unternehmensintern nicht immer  leicht umzusetzen. Und das Umfeld ist  unsicherer geworden. Während der Covidpandemie waren viele Unternehmen vorwiegend mit ihrem Liquiditätsmanagement beschäftigt. Die Digitalisierung wurde da erstmal aufgeschoben.

Lässt sich der Rückstand irgendwie quantitativ fassen?

Triton hat den Anspruch, die Unternehmen zukunftssicherer aufzustellen. Und man kann grundsätzlich festhalten, dass es bei unseren Portfoliounternehmen noch keine einzige Situation gab, über die wir sagen konnten, dass es beim Thema Digitalisierung nicht mehr viel zu tun gibt. In fast allen unseren Portfoliounternehmen gibt es Digitalisierungsprojekte. Die Themen sind in den einzelnen Unternehmen aber sehr unterschiedlich. Das liegt nicht nur an der jeweiligen Branche, sondern auch daran, dass die Stellhebel und die IT-Voraussetzungen jeweils sehr individuell  sind. Am Anfang steht daher immer eine Analyse, um festzustellen, wo die großen Stellhebel sind und was auf Stand gebracht werden muss, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die andere große Frage ist, wo ein Unternehmen branchenführend digitale Themen weiterentwickeln kann, um Marktanteile hinzuzugewinnen.

Wie sollte man Ihrer Ansicht nach vorgehen? Welche Prozessschritte empfehlen Sie?

Zunächst sollte mit einer Statusaufnahme begonnen werden. Man muss wissen: Wie zahlt das Thema Digitalisierung in die Unternehmensstrategie ein? Wo ist sie Teil einer Strategie und wo Kernstrategie? Viele Mittelständler haben ihre Kernstrategien noch gar nicht aufgeschrieben. Das steht dann zuerst auf der Agenda.

Als Nächstes sollte die IT-Infrastruktur unter die Lupe genommen werden. Häufig sind die ERP-Systeme entweder gar nicht eingeführt, veraltet  oder von der Softwareseite nicht richtig integriert. Wenn es eine ERP-Software gibt, ist sie häufig so stark individualisiert , dass es jedes Mal große Schwierigkeiten bei der Weiterentwicklung gibt. Das erfordert  dann häufig größere Neueinführungn, auch, weil man jetzt immer mehr auf cloudbasierte Lösungen setzt.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist, dass Unternehmen nicht gewohnt sind, in Customer Journeys zu denken. Es fehlt am Verständnis, wie der Zielkunde digital kauft. Man muss sich Gedanken machen, wie man seine Kunden reibungslos  durch eine Customer Journey führt. Da geht es um Fragen wie: Wie spreche ich die Leute an? Wie werbe ich sie an? Und wie geht es von dort aus weiter?  Und zwar so, dass der Kunde virtuell „an die Hand genommen wird“ und Fragen, die eine unnötige Interaktion, beispielsweise mit dem Kundendienst, verursachen, komplett vermieden werden.

Aber auch technisch gibt es einiges zu bedenken. Nicht immer sind die Lieferanten systemseitig integriert, sodass ein permanenter Austausch von Daten stattfinden und das System automatisch Bestellungen auslösen kann. Ein solch ideales Szenario ist sehr selten, weil der Handelspartner in der Regel nicht will, dass seine Handelszahlen zugänglich sind, das erfordert eine gute Vertrauensbasis. Oft muss man sich hier deshalb mit Zwischenlösungen zufriedengeben. Wichtig sind niedrigschwellige Angebote für den Kunden, weil ansonsten die Abbruchraten zu hoch werden.

Des Weiteren benötigt man kompetentes Personal. Selbst wenn man mit externen Beratern arbeitet, braucht man intern geeignete Mitarbeiter, um diesen Berater zu koordinieren.

Und natürlich ist das Funding ein Thema. Es handelt sich um größere Projekte, die risikobehaftet sind. Es geht nicht nur darum: Wie finanziere ich die IT und dieses zusätzliche Personal? Sondern auch darum, wie ich durch die Zeit dieser Umstellung komme, falls Probleme auftreten. Und − man kann  durchplanen und durchtesten wie man will − es gibt immer Probleme. So ein Projekt ist für einen Mittelständler eine große Herausforderung.

Auf der anderen Seite hat Covid aber auch zur Digitalisierung beigetragen.

Es gibt einen Trend weg vom Stationären. Das hat sich grundsätzlich über die letzten Jahre gezeigt. Inwieweit dieser massive Wandel  sich nun auch in dieser Geschwindigkeit fortsetzen wird, lässt sich nicht leicht beantworten. Gehen nun doch alle wieder lieber ins Geschäft? Inwieweit beeinflusst die geopolitsche Situation die die Kaufkraft ? Insgesamt ist es schwer, verlässliche Vorhersagen zu treffen.

Wie hoch schätzen Sie den Aufwand für ein IT-Projekt ein?

Es kommt  darauf an, um welches Thema es gerade geht. Verbesserungsprojekte dauern mindestens zwölf bis 18 Monate . Die Einführung eines CRM kann schon mal schneller gehen, circa sechs Monate. Der Aufbau eines Webshops oder die ERP-Einführung – das sind Mehrjahresprojekte. Sie müssen sauber vorbereitet werden, erfordern unter anderem die Auswahl der Software, eine Schnittstellenanalyse, den Aufbau von geeignetem Personal und den Einsatz von Consultants. Das alles ist nicht von heute auf morgen erledigt.

Größere ERP-Umstellungen sind von der Komplexität her in etwa so aufwändig wie ein Neubau. Erst muss man die Planung machen und das Projekt unternehmensintern genehmigen lassen, und dann muss noch die Kostenschätzung passen. Außerdem  geht es hier ja um eine Disruption im laufenden Geschäft. Selbst wenn Sie einen Teil outsourcen und Berater einstellen, müssen  Mitarbeiter aus dem laufenden Betrieb, sei es beispielsweise die Buchhaltung oder die Logistik, mit den Consultants zusammenarbeiten und  über die Abläufe sprechen. Das bedeutet, Mitarbeiter haben weniger Zeit für das Tagesgeschäft, in manchen Bereichen zum Teil über mehrere Monate 30-40%.

Was kostet denn so ein IT-Projekt?

Wir haben jetzt über Großveränderungen gesprochen, die auch irgendwann mal ein Ende finden. Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele, die für 18 Monate geplant waren und nach 30 Monaten immer noch nicht fertig sind. Das sollte auch im Budget berücksichtigt werden.

Eine ERP-Einführung kostet mehrere Millionen EUR. Und bei den anderen Themen kommt es immer darauf an, worauf man aufbauen kann. Die Infrastrukturvoraussetzungen beziehungsweise die Softwareumgebung sind für die Kosteneinschätzung äußerst relevant.

Warum sollte man Digitalisierungsprojekte überhaupt durchführen? Was ist der Gain?

Ultimativ führen sie zu mehr Absatz. Und das liegt darin begründet, dass  andere, bessere und effizientere Kommunikationsmöglichkeiten mit meinen Kunden aufgebaut werden und weil man dadurch auch häufig eine andere Generation von Mitarbeitern auf der Kundenseite erreicht. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich ein Mitarbeiter im Customer Service bei einem Großhändler bin, oder ob ich 30 Jahre lang manuell gearbeitet habe und es gewohnt bin, dass mich der Kunde anruft und mir ein Fax oder eine E-Mail schickt. Und plötzlich sagt ein  Kunde  mir auf einmal, es müsse doch einen Webshop geben. Man muss diese verschiedenen Kanäle offenhalten. Die Veränderungen beschleunigen sich und auch  Entscheider werden  digitaler und haben keine Lust mehr, irgendwo anzurufen und dort 20 Minuten in der Warteschleife zu verbringen.

Droht nicht eine Gefahr, von großen Onlinehändlern wie Amazon abgehängt zu werden?

Ja, stimmt, die Händler haben uns gezeigt, wie es geht, allen voran die Bekleidungsindustrie. Das wird  woanders nicht Halt machen, es wird nur in manchen Branchen etwas länger dauern, weil die Prozesse hier und da vielleicht komplexer und die Produkte spezieller und erklärungsbedürftiger sind. Aber am Ende des Tages setzt sich diese Bewegung überall fort.

Der Handel hat eine ganz klare Strategie: Es werden keine hochkomplexen, erklärungsbedürftigen Produkte verkauft, sondern alles, was einfach ist, von Laptops über Papier hin zu Stiften etc. In anderen Bereichen, zum Beispiel im Sanitärbereich, tut sich auch schon etwas. Es gibt inzwischen schon zahlreiche Onlineshops, wo ich mein Waschbecken bestellen kann. Dann brauche ich nicht mehr in den Baumarkt.

Auf der anderen Seite gibt es Start-ups, die sich darauf spezialisieren, dem Kunden eine perfekte Customer Journey zu bieten.

Eins darf man jedoch nicht vergessen: Es gibt bestehende Kundenbeziehungen. Nicht jeder will ständig neu kaufen. Hier herrschen Liefertreue und Lieferqualität. Man kennt seine Kunden, das Produktportfolio und die Lieferkette, und das Einzige, was noch fehlt, ist das digitale Frontend.

Welche konkreten Erfahrungen machen Sie mit Ihren Portfoliounternehmen?

Wir beschäftigen uns derzeit intensiv mit dem Thema Digitalisierung des Gesundheitswesens. Wir haben umfangreiche Erfahrungen hierzu aus den nordischen Ländern – dort ist die Entwicklung viel weiter.

Ein klassisches Beispiel: Der Patient kommt mit einem Problem und braucht einen Termin. Wiederum ist es wichtig, ein niedrigschwelliges Angebot zu schaffen, eine einfache Möglichkeit, mir online einen Slot auszusuchen, der verfügbar ist und der dann automatisch in meinem Kalender gespeichert wird. Dann muss in der Praxis noch sichergestellt werden, dass der Patient zu diesem Zeitpunkt auch sicher drankommt – da sind wir dann bei der Optimierung von Praxisabläufen, auch diese werden digital effizienter.

Eine andere Herausforderung stellt die Digitalisierung von Papierpatientenakten dar. Wenn ich hier nicht die Details des Praxisablaufs verstehe, kann ich das System nicht perfektionieren und auch nichts implementieren. Wir sind im Prinzip sehr weit bei diesen Themen, sind aber noch ganz weit weg von einer perfekten Situation. Auch bei der Vermarktung dieser Angebote gibt es noch Luft nach oben. Eines ist klar: Wenn wir nicht in der Lage sind, diese Prozesse zu optimieren, dann werden wir das Problem der medizinischen Unterversorgung in gewissen Regionen nicht in den Griff bekommen – es gibt einfach einen Fachkräftemangel, und um die Versorgung sicherzustellen muss sich die Zeit des medizinischen Fachpersonals auf die optimale Versorgung der Patienten richten, nicht auf administrative, manuelle Vorgänge.

Woran fehlt es in Deutschland am meisten? Wie schneiden wir mit unseren Rahmenbedingungen im Vergleich zu anderen Ländern ab?

In Deutschland hat jedes Bundesland eigene, teils voneinander abweichende Prozesse. Bürokratie spielt ebenfalls eine Rolle: Die Genehmigungsverfahren sind schwierig. Flächendeckendes schnelles Internet ist ein Thema. Im zentral regierten, aber natürlich auch wesentlich kleineren Finnland funktioniert das deutlich besser, da gibt es eine Digitalagenda und da wird dann zentral beschlossen, dass jeder ein schnelles Internet bekommt. Aber Finnland hat natürlich nur einen Bruchteil der deutschen Bevölkerung.

Hinzu kommt: Wir sind eben auch ein traditionelles Industrieland. Die Wandlung zur digitalen Kultur als Teil des täglichen Lebens zu begreifen, läuft ein bisschen schwerfälliger ab als beispielsweise in Schweden. Wir sind diesbezüglich skeptischer als die Menschen in den skandinavischen Ländern. Es dauert länger, bis wir uns dazu durchringen, mal ein Taxi per App zu bestellen. Die Schweden und Finnen sind da offener.

Man kann vielleicht auf die nächste Generation setzen.

Ja, wir stehen diesbezüglich vor einem radikalen Umbruch. Ich bin sicher, dass die Akzeptanz von Ineffizienzen bei der jüngeren Bevölkerung sinkt. Gerade wenn die jüngere Generation verstärkt in Schlüssel- oder Entscheidungspositionen kommt, werden sich die Veränderungen erdrutschartig durchsetzen.

Was sind Ihre Empfehlungen für Mittelständler?

Ich empfehle ihnen, sich aktiv mit den eigenen Kunden auseinandersetzen und Veränderungen im Kundenkreis zu beobachten. Man sollte  sich an den besten Wettbewerbern messen und  analysieren, was die anderen machen und was man selbst besser machen kann. Vielleicht gibt es auch Start-ups, die eine Lösung haben. Man sollte auf keinen Fall denken, dass man alles selbst machen muss. Wichtig ist, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, wo die großen Stellschrauben sind, und sich externe Hilfe holen. Allerdings sollte man eingehend prüfen, mit wem man zusammenarbeitet. Es empfiehlt sich, im Unternehmen zwei oder drei Mitarbeiter zu haben, für die das Thema eine Priorität hat. Sie sollten einerseits  über nachgewiesene Erfahrung verfügen, solche Projekte zu betreuen und andererseits genügend im Unternehmen verankert sein und die Unternehmensabläufe gut kennen.

Lieber Herr Klein, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.


ZUR PERSON

Andi Klein

Andi Klein ist Managing Partner und Head of TSM bei der deutsch-schwedischen Private-Equity-Gesellschaft Triton Partners. Bevor er 2009 zu Triton Partners wechselte, war der studierte Betriebswirt elf Jahre lang in führender Position bei Procter & Gamble beschäftigt. Seit der Gründung im Jahr 1997 hat Triton Partners zehn Fonds aufgelegt, darunter die beiden Mittelstandsfonds, und sich auf Unternehmen in den Sektoren Industrie & Technologie, Dienstleistungen, Konsumgüter und Gesundheitsweisen fokussiert. Die Triton-Fonds investieren in mittelständische Unternehmen mit Sitz in Europa und unterstützen deren positive Entwicklung.

www.triton-partners.de

Die mobile Version verlassen