Der Fünf-Stunden-Business-Tag

Eine konkrete Utopie für Nachfolge- und Zukunftsunternehmer

Foto: © jirsak_Adobe_Stock

Einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ein Familienunternehmen zu finden, ist heute nicht mehr so einfach wie es noch vor zehn Jahren war. Ein Hauptgrund: Die nachwachsende Generation Y, geboren in den 1980er und 90er Jahren, ist zahlenmäßig eine kleinere Gruppe. Und sie hat ganz andere Vorstellungen von einem Arbeitsethos und einem erfüllten (Arbeits-)Leben als die Generation der in den 1950er und 1960er Jahren geborenen Babyboomer.

Die Kinder der Babyboomer-Unternehmensleitungen haben heute zwar sehr wohl Interesse daran, Verantwortung für die Familienfirma zu übernehmen. Aber eine 60- oder 70-Stundenwoche, wie sie ihre Eltern lange praktizierten, möchten sie sich nicht antun.

Schon seit einigen Jahren stellen sich Nachfolgerinnen verstärkt die Frage, wie es funktionieren kann, Beruf und Familie gut zu verbinden, also erfolgreiche Unternehmerin und liebevolle Mutter zu sein. Inzwischen sind es auch immer mehr männliche Nachfolger, die umdenken, weil sie gerne intensive Zeit mit ihren Kindern verbringen oder ein aufwändiges Hobby pflegen wollen. Oder beides.

Um ihren Betrieb für die Nachfolge attraktiv zu gestalten, müssen die „alten“ Unternehmer beginnen, sich im Arbeitsalltag entbehrlicher zu machen. Zum Beispiel, indem sie den Fünf-Stunden Business-Tag etablieren. Dieses Konzept „zwingt“ Unternehmer, mit alten Mustern und Gewohnheiten zu brechen und ihr Unternehmen anders, nämlich zeitgemäß zu führen. Es macht sich den „drei Tage vor dem Urlaub-Effekt” beziehungsweise die Parkinsonschen Gesetze zunutze, die besagen: „Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“

Kein Mensch kann acht oder mehr Stunden am Tag auf Dauer hochproduktiv arbeiten. Das professionelle, konzentrierte Arbeiten ist nur für ein paar Stunden am Tag möglich. Deshalb ist der Fünf-Stunden-Business-Tag ein so realistisches und attraktives Konzept. Es sorgt – sofern ernst genommen und konsequent umgesetzt – für eine gute Balance von Familie, Freizeit und Arbeit.

Die fünf Säulen des Fünf-Stunden-Business-Tags

Das Konzept des Fünf-Stunden Business-Tags, von dem beide Unternehmergenerationen profitieren können, braucht Entschiedenheit, Commitment und den Willen, ein paar entscheidende Dinge ganz anders als bisher zu organisieren.

Es hat fünf Säulen:

  1. Ein produktiver persönlicher Arbeitsstil
  2. Klarheit über delegierbare Kernaufgaben
  3. Zeitgemäße Formen der Team- und Mitarbeiterführung
  4. Eine Unternehmenskultur, die keine Angst vor einer Vision hat
  5. Die räumliche Trennung von „Familie“ und „Unternehmung“

Säule 1: Ein produktiver persönlicher Arbeitsstil

Um im Arbeitsalltag sinnvolle Entscheidungen treffen zu können, ist es wichtig, das große Ziel zu kennen und im Blick zu haben: Was sind die Perspektiven für zirka in einem Jahr – und darüber hinaus? Wenn das Ziel klar ist, geht es darum, fokussiert und konzentriert Wesentliches auf dem Weg dahin abarbeiten zu können. Was einen dabei hemmen und stark belasten kann, sind permanente Ablenkungen und Unterbrechungen.

Der wichtigste Hebel, um zufrieden Feierabend machen zu können, weil man auch in fünf Stunden immens viel geschafft hat, ist: die Premiumarbeitszeit für die wichtigen Aufgaben. Premiumarbeitszeit ist die Zeit am Tag, an der man am produktivsten ist – wach und entspannt, mit freiem Kopf. Beim Einen liegt sie tendenziell eher am frühen Morgen, bei der Anderen eher am Nachmittag oder Abend. Es ist jedenfalls die Zeit, in der man das Doppelte vom Üblichen erledigt bekommt. Diese Zeit extremer Produktivität sollte man sich unbedingt reservieren beziehungsweise den Tag entsprechend organisieren.

Säule 2: Klarheit über nicht delegierbare Kernaufgaben

Neben einer optimierten Selbstführung (z.B. über einen produktiven persönlichen Arbeitsstil) ist es für Unternehmer fundamental wichtig, Klarheit über nicht delegierbare Kernaufgaben zu haben. Kernaufgaben sind die Aufgaben, die wirklich nur der Unternehmer/die Unternehmerin selbst erledigen kann, damit er/sie jederzeit den Überblick hat und weiß, wo die Firma steht und wohin sie sich entwickelt. Nur mit Kernaufgabenklarheit kann ein Unternehmen souverän gesteuert werden. Je nach Art und Größe eines Unternehmens unterscheiden sich diese Kernaufgaben im Detail – allen gemein sind jedoch folgende Überthemen:

  • die Gestaltung der Unternehmenskultur
  • eine kooperative Teamführung
  • intelligente Strategiearbeit (inkl. Treffen von Richtungsentscheidungen)
  • regelmäßiger gemeinsamer strategischer Review und Soll-Ist-Vergleich mit anderen Führungs-Verantwortlichen.

Säule 3: Zeitgemäße Formen der Team- und Mitarbeiterführung

Die Aufgaben, die delegiert werden können, müssen delegiert werden. Zur Erinnerung: Delegieren bedeutet, dass der Mensch dafür mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattet wird und für das Ergebnis Verantwortung trägt. Der Mitarbeitende kann an dieser Aufgabe wachsen.

Das Gegenteil dazu ist es, eine Aufgabe zu übertragen. Dies bedeutet, dass der Mitarbeitende nur ein Puzzlestück, einen Assistenzjob auszuführen hat und keinen Blick für das Gesamtgefüge entwickelt.

Die komplexen Herausforderungen heute brauchen eine entsprechende Form der Entscheidungsfindung und der Zusammenarbeit. Das bedeutet, dass zum einen für nachhaltige Lösungen das Know-how aller gefragt ist. Und zum anderen, dass schnelle Entscheidungen Klarheit über die eigenen Kompetenzen brauchen. Und vor allem ist ein angstfreies Betriebsklima entscheidend, das das Übernehmen von Verantwortlichkeiten fördert.

Einer der Gamechanger im Zusammenhang mit dem 5 Stunden Business-Tag ist die Frage, ob höchste Priorität die Anwesenheit oder das Ergebnis hat. Konsequent zu Ende gedacht bedeutet dies, dass Vertrauensarbeitszeit die entsprechende Lösung ist.

Zu einer zeitgemäßen, zukunftsorientierten Team- und Mitarbeiterführung gehören diese Aspekte:

  • Professionelles Delegieren mit Zutrauen in Mitarbeitende
  • Smarte Teamführung, sodass es mit Freude eigenständig arbeitet und Herausforderungen meistert.
  • Eine Meetingkultur und Kommunikation mit den Mitarbeitenden, die Ergebnisse und Ziele unterstützen und nicht in erster Linie Zeit fressen.

Säule 4: Eine Unternehmenskultur, die keine Angst vor einer Vision hat

Unerlässlich ist, eine klare, gemeinsame Vorstellung, eine Leitidee oder Vision zu entwickeln: Wo soll die Firma in drei bis fünf Jahren stehen? Und entscheidend ist, dieser Leitidee dann zusammen konsequent zu folgen. Denn davon leiten sich die Strategie und die Jahresziele ab.

Die Unternehmensvision gemeinsam zu erarbeiten, ist einfacher als viele denken: Eine zweitägige Klausurtagung mit einer Zukunftswerkstatt ist eine exzellente Möglichkeit, sich im Führungsteam oder -kreis gemeinsam auszurichten. Eine solche Veranstaltung setzt viel Motivation frei, sich der großen Transformationsherausforderung zu stellen. Und das zusammen entwickelte Bild von der Zukunft in verbindliche Absprachen und Maßnahmen zu gießen, macht aufreibende Diskussionen oder Grabenkämpfe im Alltag überflüssig.

Ein Teil der Vision sollte immer die Ausrichtung auf eine produktivere Arbeitsweise hin zu einem Fünf-Stunden-Business-Tag im Unternehmen sein. Denn schließlich geht es im Kern um Motivation, Engagement, Flexibilität und Produktivität der Mitarbeitenden.

Säule 5: Die räumliche Trennung von „Familie“ und „Unternehmung“

Das ist die große Gefahr in Unternehmerfamilien: Der permanente Austausch über immer dieselben Probleme mit immer denselben Menschen führt dazu, dass man sich ständig in denselben ureigenen Denkschleifen bewegt. Die – vor allem angesichts einer sich immer schneller drehenden und innovationsgetriebenen Geschäftswelt – zukunftsentscheidende Frage ist: Wie kommen neue Ideen und Anregungen ins Unternehmens- und Familiensystem? Dafür ist es nötig, Haltung und Kommunikation zu verändern und Grenzen zwischen privat und beruflich zu ziehen. Zum Beispiel so:

  • Der Esstisch ist der Ort für die Themen der Kernfamilie. Keine Firmenthemen, keine Business-Anrufe oder E-Mails!
  • Das Wohnzimmer ist der Ort für die gemeinsamen Familienfeiern. Kein Meeting, keine Gesellschafterversammlung mal eben nebenbei! Dafür gibt es Besprechungsräume in Hotel
  • Das Schlafzimmer ist der Ort für die Entspannung und Paarbeziehung – vor dem Einschlafen werden keine E-Mails gecheckt!
  • Das Büro ist der Ort für die Arbeit, für E-Mails und Absprachen.

Fazit

Der Fünf-Stunden-Business-Tag ist möglich, aber natürlich nicht auf Knopfdruck.

Die Entscheidung für einen solchen Prozess der Transformation verändert das Leben von Menschen – und das Unternehmen. Es ist allerdings empfehlenswert, sich in diesem komplexen Prozess professionell unterstützen zu lassen. Denn wie bei allem Neuen, das wir erlernen (müssen), ist die Selbst- und Fremdirritation massiv.

Aber sie lohnt sich. Denn sie sichert die unternehmerische Zukunft.

Autorenprofil
Lioba Heinzler
Supervisorin DGSv und Business Coach at DGSv | Website

Lioba Heinzler ist Supervisorin und Coach DGSv. Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv) hat sie eine zertifizierte Weiterbildung nach den höchsten Standards in Europa durchlaufen. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist der Prozess der Unternehmensnachfolge. Sie arbeitet sehr erfolgreich mit der Dynamik von Unternehmerfamilien.  www.liobaheinzler.de

Vorheriger ArtikelGute Zeiten für Finanzentscheider sind vorbei
Nächster ArtikelNachhaltige Unternehmenssanierung mit Hilfe des Insolvenzrechts