Anleiherestrukturierung – ein weites und komplexes Feld

Restrukturierungsmöglichkeiten nach SchVG, StaRUG und InsO

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Das Thema Anleiherestrukturierung hat wieder deutlich an Fahrt aufgenommen. Prominente Fälle der letzten Monate sind Eterna, Paragon und Ekosem sowie die in der Insolvenz befindlichen Fälle Deutsche Lichtmiete und Eyemaxx. Gerät ein Anleiheemittent in die Krise, kann eine Anleiherestrukturierung grundsätzlich nach drei Rechtsrahmen durchgeführt werden: das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG), die Regelungen des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) und die Insolvenzordnung (InsO). 

Das SchVG enthält die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung der Anleihegläubiger zur Änderung der Anleihebedingungen. Die mit den erforderlichen Mehrheiten gefassten Beschlüsse sind für alle Anleihegläubiger gleichermaßen verbindlich, unabhängig davon, ob sie an der Abstimmung teilgenommen, für oder gegen den Beschluss gestimmt haben. Sofern die Regelungen des SchVG in den Anleihebedingungen einer Anleihe wirksam einbezogen worden sind, können die Anleihegläubiger durch Änderungen der Anleihebedingungen weitreichende Maßnahmen beschließen. Allerdings dürfen die Beschlüsse der Gläubigerversammlung (i) nur für dieselbe Anleihe gelten, (ii) keine zusätzlichen Leistungspflichten der Anleihegläubiger begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG) und (iii) es muss grundsätzlich eine Gleichbehandlung der Gläubiger derselben Anleihe vorgesehen werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG).

Beschlussfassungen der Anleihegläubiger nach SchVG

Eine erste Anleihegläubigerversammlung ist gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG nur dann beschlussfähig, wenn die anwesenden beziehungsweise wirksam vertretenen Anleihegläubiger wertmäßig mindestens 50% der ausstehenden Schuldverschreibungen einer Anleihe vertreten. Die beschlussfähige Anleihegläubigerversammlung beschließt grundsätzlich mit der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte (§ 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG). Für Beschlüsse, durch die der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert wird – insbesondere durch Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 bis 9 SchVG – ist jedoch eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 75% der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte erforderlich.

In der Praxis wird das Beschlussfähigkeitsquorum einer ersten Anleihegläubigerversammlung in Höhe von 50% jedenfalls bei den breit gestreuten Publikumsanleihen in der Regel nicht erreicht. Es besteht dann nach § 15 Abs. 3 Satz 2 SchVG die Möglichkeit, eine zweite Anleihegläubigerversammlung zum Zwecke der erneuten Beschlussfassung einzuberufen, bei der geringere Beschlussfähigkeitsanforderungen gelten. Bei einfachen Beschlussgegenständen wie der reinen Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ist die Beschlussfähigkeit bereits dann gegeben, wenn nur ein Anleihegläubiger anwesend ist beziehungsweise wirksam vertreten wird. Für wesentliche Beschlussgegenstände, für die die qualifizierte Mehrheit gilt, was bei Anleiherestrukturierungen regelmäßig der Fall sein wird, besteht in der zweiten Anleihegläubigerversammlung ein reduziertes Beschlussfähigkeitsquorum in Höhe von 25% der ausstehenden Schuldverschreibungen.

In der Praxis ist es für das Unternehmen häufig eine große Herausforderung, dieses 25%-Beschlussfähigkeitsquorum zu erreichen, und es sollte alle Maßnahmen hierfür ergreifen. Hierzu gehören insbesondere eine offene, transparente Kommunikation und eine intensive Betreuung der bekannten Anleihegläubiger. Wie der Fall der Ekosem-Agrar AG zeigt, lohnt sich der Aufwand.

Anleiherestrukturierung im Zusammenhang mit dem StaRUG

Ist ein Unternehmen drohend zahlungsunfähig, nicht aber zahlungsunfähig oder überschuldet, kann es die Regelungen des StaRUG für seine (finanzielle) Restrukturierung nutzen. In Bezug auf eine Anleiherestrukturierung ist dafür nicht Voraussetzung, dass diese Möglichkeit bereits in den Anleihebedingungen vorgesehen ist.

Die Restrukturierungsmaßnahmen für die Rechte der Anleihegläubiger im Restrukturierungsplan ergeben sich aus §§ 2 und 3 StaRUG. Demnach können insbesondere die Restrukturierungsforderungen der Anleihegläubiger auf Rückzahlung und Zinsen gestaltet (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG), die Anleihebedingungen geändert (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StaRUG) und in gruppeninterne Drittsicherheiten eingegriffen werden. Damit können in einem Restrukturierungsplan nach den Regelungen des StaRUG alle in § 5 Abs. 3 SchVG aufgeführte Maßnahmen beschlossen werden, mit Ausnahme der Schuldnerersetzung gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 9 SchVG.

Zeigt die Schuldnerin dem Restrukturierungsgericht die Restrukturierungssache an, hat das Insolvenzgericht zum Zwecke der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters eine Gläubigerversammlung einzuberufen. Viele wichtige Fragen im Zusammenhang mit der entsprechenden Wahl eines gemeinsamen Vertreters sind noch ungeklärt.

Ein gemeinsamer Vertreter erstarkt nach den Regelungen des § 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 6 SchVG mit Einbeziehung von Forderungen aus Schuldverschreibungen in ein Instrument des Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes zum „starken“ gemeinsamen Vertreter und ist dann allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger geltend zu machen.

Wenn Anleihen mit restrukturiert werden müssen, wird es regelmäßig empfehlenswert sein, zuvor einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen. In der Praxis wird vor diesem Hintergrund der Trend unseres Erachtens dahin gehen, dass bereits in den Anleihebedingungen ein Vertragsvertreter bestellt werden wird.

Anleiherestrukturierung im Insolvenzverfahren

Ab Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Emittenten gehen die Regelungen der InsO den Vorschriften des SchVG vor, soweit nicht in § 19 Abs. 2 bis Abs. 5 SchVG etwas anderes geregelt ist.

Anleihegläubiger haben im Falle der Insolvenz des Emittenten eine Forderung gegen diesen aus den gehaltenen Schuldverschreibungen. Schuldverschreibungen einer Anleihe, deren Laufzeit noch nicht abgelaufen und deren Rückzahlung noch nicht fällig ist, werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 41 InsO fällig gestellt. Anleihegläubiger sind dementsprechend grundsätzlich Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO. Damit haben sie grundsätzlich die gleichen Rechte im Insolvenzverfahren wie andere Insolvenzgläubiger. Auch für die Anleihegläubiger gilt der Grundsatz des § 87 Abs. 1 InsO, dass die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen lediglich nach der InsO verfolgen können, also durch Anmeldung ihrer Forderungen zur Tabelle nach den §§ 174 ff. InsO.

Die Anleihegläubiger sind grundsätzlich darauf beschränkt, einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen (§ 19 Abs. 2 SchVG). Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist das Insolvenzgericht gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG verpflichtet, eine Gläubigerversammlung zum Zweck der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters für alle Anleihegläubiger einzuberufen, sofern nicht bereits ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist.

Restrukturierungsmöglichkeiten in der Insolvenz

In einem Regelinsolvenzverfahren mit dem Ziel der Abwicklung sind auch die Anleihegläubiger grundsätzlich darauf beschränkt, ihre Forderungen selbst oder gegebenenfalls durch einen gemeinsamen Vertreter zur Insolvenztabelle anzumelden. Lediglich wenn über einen Insolvenzplan abgestimmt werden soll, ist eine aktive Teilnahme der Anleihegläubiger – gegebenenfalls durch den gemeinsamen Vertreter – möglich. Dabei gelten die Mehrheitserfordernisse nach § 244 InsO. Bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan stimmt der gemeinsame Vertreter im Rahmen der insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen einheitlich für die gesamte Anleihe ab und vertritt betragsmäßig das Gesamtemissionsvolumen. Neben der Summenmehrheit ist bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan zugleich eine Kopfmehrheit erforderlich (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Diesbezüglich ist umstritten, ob der gemeinsame Vertreter ganz viele Kopfstimmen, das heißt für jeden Anleihegläubiger eine Stimme, oder insgesamt nur eine Kopfstimme hat.

FAZIT

Die Restrukturierungen von Anleihen nach dem SchVG, dem StaRUG und der InsO sind jeweils äußerst komplexe Prozesse, bei denen eine Vielzahl von rechtlichen, finanziellen und praktischen Themen zu berücksichtigen ist. Je nach operativer und finanzieller Situation des Unternehmens, Struktur der Anleihegläubiger und Ausgestaltung der Anleihebedingungen ist der beste Weg für eine Anleiherestrukturierung zu erarbeiten. Dies erfordert eine rechtzeitige und umfassende Vorbereitung mit einem Team, das über umfassende Restrukturierungsexpertise in diesem Bereich verfügt.

Dieser Beitrag ist in der Magazinausgabe der Unternehmeredition 2/2022 erschienen.

Autorenprofil
Dr. Christian Becker und Dr. Lutz Pospiech

Dr. Christian Becker (li.) ist Partner und Dr. Lutz Pospiech assoziierter Partner bei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

 

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