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Von der Konzernabteilung zum agilen Mittelständler

Ausgangslage: Hohe Verluste im Konzernverbund
Für Aurelius ist Blaupunkt “ein typischer Fall”, sagt Fritz Seemann. Der Beteiligungsmanager der 2006 gegründeten Münchner Beteiligungsgesellschaft Aurelius fungiert auch als Sprecher der Geschäftsführung bei Blaupunkt. Die Münchner suchen Unternehmen mit “Optimierungsbedarf”. In der Regel sind deren Renditen zum Übernahmezeitpunkt negativ. Im Fall von Blaupunkt war viel zu tun: “In den 30 Jahren unter Bosch hat der Geschäftsbereich, den wir übernommen haben, 28 Jahre lang Verlust gemacht”, sagt Seemann. Dr. Lars Placke, heute bei Blaupunkt neben Seemann als Geschäftsführer der zentrale Mann, erklärt das rückblickend so: “Für Bosch ist es wichtig, die gesamte Kette abzubilden, bei den Kunden ein großes Spektrum abzudecken, und in der Erstausrüstung ist Car-Multimedia für den Konzern extrem wichtig.” Placke hatte bereits dem Strategieteam des Bosch-Konzerns für die Vorbereitung des Carve-out angehört. Bei “Blaupunkt neu” war er vom ersten Tag an dabei.

Innovativer Neuaufbau auf historischem Fundament
Unter Bosch war Blaupunkt eine Konzernabteilung unter dem Dach der Car-Multimedia-Division. Die Übernahme war ein Asset Deal, in dem Teile herausgekauft wurden. Dann wurde massiv durchgegriffen. Ganze Sparten wurden abgegeben – Logistik an Schenker, Antennen an Kathrein. Auch aus der mobilen Navigation zog man sich zurück, ein Werk in Tunesien wurde geschlossen. Auf dem Weg in die unternehmerische Freiheit ging es dann an den Aufbau komplett neuer Strukturen. Die zuvor in einem Konzernverbund integrierten Prozessabläufe wurden “stand-alone”-fähig gemacht, Sortimente wurden gekürzt und Plattformen für neue Produkte entwickelt. Aber der Abbau wurde auch schnell von neuem Aufbau begleitet. So wurde die Elektronikfirma KWest in Schlitz bei Fulda übernommen. Sie ist inzwischen das Entwicklungszentrum des Unternehmens. Autoradios, bei denen Blaupunkt einst Pionier war, steuern immer noch den größten Umsatzanteil bei. Doch mit großen Innovationsanstrengungen machen sich die Hildesheimer nun auf neue Weise einen Namen in der von rasantem Wandel geprägten elektronischen Welt: von der Telematik über Internetradio, DAB-Radios und Docking Stations für iPads und iPods bis hin zu Verstärkern, Lautsprechern oder Freisprecheinrichtungen. “Das passt”, sagt Seemann im Hinblick auf das hohe Ansehen, das die Marke in der Unterhaltungselektronik nach wie vor genießt.

Ausblick: Auslandsgeschäft spielt zentrale Rolle
Inzwischen gilt der Turnaround als geschafft, und das trotz des besonders in Europa und den USA ausgeprägten Margenverfalls. Im Jahr 2011 wurde die “schwarze Null” auch operativ erreicht. Zudem haben einige Sondereffekte das Ergebnis noch positiv beeinflusst. Für das Jahr 2012 wird ein Gewinn angepeilt und dauerhaft eine Umsatzrendite von 8% angestrebt. 3 bis 3,5% des Umsatzes werden für Investitionen aufgewendet. Große Erwartungen werden mit den Wachstumsmärkten in Asien verbunden. Ein bedeutender Produktionsstandort mit 430 Mitarbeitern wird in Malaysia betrieben, ein neues Werk dort wird gerade bezogen. Zwei Joint Ventures mit Partnern in China und Indien sollen weiter gestärkt werden – auch mit eigener Produktion, wegen des dort geforderten Local Content. Der Anteil des Auslandsgeschäfts, heute schon mehr als 60% des Umsatzes, dürfte so weiter zunehmen. Der Eigentümer Aurelius scheint das alles noch für längere Zeit begleiten zu wollen: Ein Ausstieg innerhalb eines vorher bestimmten Zeitraums, wie bei vielen anderen Private Equity-Gesellschaften, wird ausdrücklich nicht angestrebt. “Wir kaufen aus unserer eigenen Bilanz und nutzen kein Fremdkapital”, sagt Seemann: “Deshalb haben wir keinen Exit-Druck.”“Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht”
Interview mit Dr. Lars Placke, Geschäftsführer der Blaupunkt Group

Unternehmeredition: Sie waren beim Bosch-Konzern und sind mit Blaupunkt in den Mittelstand gewechselt. Wo fühlen Sie sich wohler?
Placke: Im Großkonzern war Blaupunkt eine Business Unit. Heute können wir selbstständig agieren. Natürlich müssen wir uns mit unserem Gesellschafter abstimmen, aber wir müssen uns nicht mehr in große Konzernstrukturen einpassen. So ein starrer Rahmen kann auch eine Belastung sein. Unter Bosch hätten wir zum Beispiel nicht einfach ein Produktfeld aufgeben können, und auch ein Lizenzgeschäft hätten wir damals schwer durchbekommen. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich fühle mich in dieser Konstellation heute sehr wohl.

Unternehmeredition: Gibt es bei so einem tiefgreifenden Wandel nicht auch gravierende Umstellungsprobleme?
Placke: In der Einstellung der Menschen und im Arbeitsklima ist das schon ein beträchtlicher Wandel. Das ist eine ganz andere Welt. Einzelne haben damit immer noch zu kämpfen, aber alles in allem trägt das Team die Umstellung gut mit. Eine Rolle spielt dabei auch die Verkleinerung unserer Belegschaft, gerade weil wir Bereiche abgegeben haben. Aber seit die Talsohle durchschritten ist, werden wieder neue Kapazitäten aufgebaut, so mit der übernommenen Entwicklungsfirma KWest. Dadurch kommen Menschen mit “frischer Historie” in unser Unternehmen, es sind längst nicht mehr nur “Boschler” bei uns. Das gibt eine ganz neue Sicht auf die Dinge. Wir versuchen, die positiven Elemente aus einem Konzern mit der Flexibilität des Mittelstands zu verheiraten. So etwas ist natürlich immer ein Kompromiss.

Unternehmeredition: Würden Sie sagen, Blaupunkt ist nicht wiederzuerkennen?
Placke: Das kommt auf die Sichtweise an. Was unsere Kunden wiedererkennen, ist unsere Kundenorientierung, unsere Innovationsstärke, die Qualität unserer Produkte und die Strahlkraft der Marke. Wo sie uns, wie ich hoffe, nicht wiedererkennen: Wir sind deutlich agiler und flexibler geworden, gehen schnell auf Kunden ein und reagieren konsequent auf ihre Bedürfnisse. Unsere Entscheidungsstrukturen sind deutlich flacher geworden, was zu erheblich schnellerem Support als in einem Großkonzern führt.

Unternehmeredition: Was empfehlen Sie Unternehmen mit Restrukturierungsbedarf?
Placke: Eine Restrukturierung, auch wenn sie schmerzhaft ist, ist am Ende für alle Beteiligten immer besser als eine sich ewig hinziehende Schwächephase. Deshalb würde ich in solchen Fällen zur Restrukturierung raten. Natürlich ist das immer vom Einzelfall abhängig, und es ist wichtig, den richtigen Partner zu finden. Während unserer Restrukturierung gab es nicht nur eitel Sonnenschein. Aber es gab auch viele Momente, in denen wir sehr motiviert und glücklich waren.

Artikel und Interview: Lorenz Goslich
redaktion@unternehmeredition.de

Kurzprofil: Blaupunkt Group
Gründungsjahr: 1923
Branche: Unterhaltungselektronik
Unternehmenssitz: Hildesheim
Mitarbeiterzahl: 550
Umsatz 2011: ca. 100 Mio. EUR
Internet: www.blaupunkt.de

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