Lamy: „Wir glauben fest an die Zukunft des Schreibens von Hand“

© C. Josef Lamy GmbH

Lamy hat im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte geschrieben: Jeder kennt die Schreibgeräte des Familienunternehmens, und die meisten von uns besaßen zu ihrer Schulzeit selbst einen Lamy-Füller oder -Kugelschreiber. Dank innovativer Weiterentwicklungen und eines unverwechselbaren Designs ist der Schreibgerätehersteller heute nicht nur Marktführer in Deutschland, sondern genießt sogar einen Ruf als weltweite Designmarke. Die Unternehmeredition sprach mit Beate Oblau, Geschäftsführerin und Leiterin für Marketing/Kommunikation sowie Produktentwicklung, über diese einzigartige Erfolgsgeschichte und aktuelle Herausforderungen. INTERVIEW EVA RATHGEBER

Unternehmeredition: Wenn Sie sich Lamy im Gründungsjahr 1930 und im Vergleich dazu heute ansehen, wie würden Sie die Entwicklung beschreiben?

Der Stammsitz von Lamy in Heidelberg-Wieblingen © C. Josef Lamy GmbH

Beate Oblau: Auch wenn das Unternehmen früher entstanden ist, hat Dr. Manfred Lamy als Sohn des Unternehmensgründers Lamy noch einmal neu erfunden: Mit dem Modell Lamy 2000 begründete er 1966 die klare, unverwechselbare Formensprache, die bis heute stilprägend für alle Produkte der Marke ist – das Lamy-Design. Der unnachahmliche und beeindruckende Wandel, den die Marke dann in den vergangenen 15 Jahren noch vollzogen hat, basiert zum größten Teil auf ihrer Weiterentwicklung im internationalen Markt. So ist der Sprung von einem renommierten Anbieter für Schreibgeräte zu einer begehrten Lifestylemarke gelungen.

Unternehmeredition: Worin liegt für Sie das Erfolgsgeheimnis von Lamy und wie behaupten Sie sich gegenüber innerdeutschen Konkurrenten wie Faber-Castell, Schwan-Stabilo und Staedtler oder internationalen Luxusmarken wie Parker und Montblanc?
Oblau: Alle genannten Firmen unterscheiden sich in ihrer Positionierung, einige verfolgen eine traditionellere Ausrichtung, gerade im gehobenen Schreibgerätesegment. Für Lamy zählt Premium statt Luxus, Innovation und Konsequenz im Design – damit erschaffen wir moderne Klassiker. Aber nicht nur unsere Schreibgeräte erfreuen sich größter Beliebtheit: Auch die Verlässlichkeit der Marke bedeutet den Menschen sehr viel. Konstant und authentisch in der Qualität und im Design, abwechslungsreich mit Sondereditionen beliebter Modelle wie dem Lamy safari, AL-star, tipo, aion oder studio als Highlights.

Unternehmeredition: 100 Designpreise, darunter der renommierte Designpreis der Bundesrepublik Deutschland wie erreicht man solch eine Exzellenz?
Oblau: Die erste und fundamentale Voraussetzung für den Designprozess bei Lamy ist es, eine Haltung zu den Dingen zu entwickeln. Sie sollen schön, funktional, langlebig und möglichst für alle zu erwerben sein. Lamy hat für seinen Entwurfsprozess Leitplanken entwickelt, auch Designkorridore genannt: keine Ornamente oder modischen Verzierungen – das Wichtigste ist eine lange physikalische und vor allem auch visuelle Haltbarkeit. Vorbilder waren das Bauhaus und Unternehmen wie Olivetti, WMF, Rosenthal oder Braun.

Unternehmeredition: Kann man in Zeiten des Internets mit Schreibgeräten noch Geld verdienen?
Oblau: Die Frage ist ganz klar mit „Ja“ zu beantworten. Handschrift ist und bleibt eines der wichtigsten Kulturgüter des Menschen, höchst individuell und faszinierend vielfältig. Das geschriebene Wort auf Papier, ein von Hand verfasster Brief, eine Einladung oder Glückwunschkarte, unsere Unterschrift signalisieren eine ganz besondere Wertschätzung. Außerdem begreifen wir Schreibgeräte inzwischen als „Thinking Tools“. Wir beschäftigen uns also mit der Frage, wie wir heute und in Zukunft Gedanken mit einem Instrument sichtbar machen, das wir in der Hand halten, vom Text zur Skizze bis hin zur Mindmap. Wir glauben fest an die Zukunft des Schreibens von Hand. Nicht nur wird durch das Erlernen der Handschrift die Feinmotorik geschult, was für Kinder in ihrer Entwicklung, aber auch für uns Erwachsene in vielen Lebenslagen unerlässlich ist: Das Schreiben von Hand führt außerdem zu ganz anderen Verknüpfungen im Gehirn, zu einer besseren Verarbeitungstiefe. Wir lernen Wörter, Sätze und Sprache als Ganzes zu verstehen, nicht als einzelne Zeichen. Es ist erwiesen, dass sich Inhalte viel besser einprägen, wenn wir sie mit der Hand zu Papier bringen.

Unternehmeredition: Welche Funktionen bietet der Lamy AL-Star black EMR? Wie reagieren Sie sonst noch auf die Anforderungen der Digitalisierung?

Das erste digitale Schreibgerät von Lamy, der AL-star black EMR © C. Josef Lamy GmbH

Oblau: Es entspricht dem Pioniergeist bei Lamy, mit Innovationen die Zukunft des Schreibens zu gestalten. Analoge und digitale Arbeitsweisen bilden dabei keinen Gegensatz, sondern ergänzen sich produktiv. Wir schlagen damit eine Brücke zwischen dem analogen und dem digitalen Schreiben, mit einer Vielzahl von Möglichkeiten zur Textverarbeitung – ohne Abstriche beim Schreibgefühl machen zu müssen. Mit unserem ersten digitalen Schreibgerät, dem Lamy AL-star black EMR, ist es uns gelungen, ein ebenso flüssiges wie komfortables Schreibgefühl zu erzeugen. Es wurde auf Basis des Gehäuses des Tintenrollers Lamy AL-star entwickelt, funktioniert stromlos und eignet sich für alle kompatiblen Tablets, Smartphones und Notebooks. Seine austauschbare, 0,7 Millimeter feine Kontaktspitze erkennt über 4.096 Druckstufen und reagiert damit besonders sensibel und reaktionsschnell auf den Schreiber. So steht das Schriftbild der analogen Handschrift in nichts nach.

Unternehmeredition: Welche Auswirkungen hat(te) die Coronakrise auf Ihre Geschäftsentwicklung?
Oblau: Der Lockdown hat den stationären Handel weltweit und damit natürlich auch Lamy getroffen. Ohne die Folgen verklären zu wollen, stellen wir fest, dass dieser Umstand auch neue Kräfte freigesetzt hat. Viele unserer Händler, die bislang nur stationär aufgestellt waren, haben ihre Onlineaktivitäten innerhalb kürzester Zeit stark ausgebaut. Seit April 2021 ist unser neuer Markenauftritt auf lamy.com mit integrierter Shopfunktion online, um das bestmögliche Marken- und Einkaufserlebnis aus einer Hand zu garantieren. Unsere Auslandsvertretungen und Fachhändler konnten seit Beginn der Krise auf eine zuverlässige Lieferkette vertrauen. Wir hatten bei Lamy zu keinem Zeitpunkt Lieferengpässe, was vor allem der Tatsache zu verdanken ist, dass wir vollständig in Heidelberg fertigen und auch unsere Logistik von hier aus abwickeln. Zudem arbeiten wir überwiegend mit regionalen Zulieferern.

Lamy produziert ausschließlich in Deutschland. © C. Josef Lamy GmbH

Unternehmeredition: Sie legen als Unternehmen erheblichen Wert auf Qualität „made in Germany“. Ist das heutzutage noch finanzierbar?
Oblau: Als unabhängiges mittelständisches Familienunternehmen bekennt sich Lamy seit der Gründung 1930 konsequent zum einzigen Produktionsstandort Heidelberg. Durch eine Fertigungstiefe von über 95% ist die beständig höchste Qualität „made in Germany“ garantiert und gleichzeitig auch die Einhaltung höchster Umwelt- und Arbeitsschutzstandards. Der ganzheitliche Qualitätsanspruch an jedes einzelne Produkt und die Arbeit, die darin steckt, ist spürbar in der Wertschätzung, die Lamy-Schreibgeräte weltweit erfahren. Die konsequente Steuerung und Kontrolle der Produktqualität aus einer Hand bei kontinuierlicher Erhöhung der Produktivität im Zuge der Internationalisierung der Marke zahlt sich für Lamy aus: So sichern wir den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens – und machen es möglich, unabhängig zu bleiben.

Unternehmeredition: Hat die Lamy-Führung jemals darüber nachgedacht, mit dem Unternehmen an die Börse zu gehen?
Oblau: Nein.

Unternehmeredition: Zu Ihren größten Märkten zählen Japan, China und die USA. Warum ist dem so und wo sehen Sie langfristig die größten Marktperspektiven?Oblau: Die Marke Lamy ist inzwischen in mehr als 80 Ländern vertreten. Unsere Schreibgeräte erfreuen sich gerade auch in asiatischen Ländern großer Beliebtheit, die traditionell einen besonderen Zugang zur Schriftkultur haben. Dem Claim „Design. Made in Germany.“ wird dort besondere Wertschätzung entgegengebracht. In China ist Lamy unter den Top Five, in Korea sogar Marktführer im hochwertigen Schreibgerätesegment. In ganz Asien haben wir rund 150 Monobrand Concept Stores.

Anfang 2020 haben wir unsere erste und einzige Tochtergesellschaft – Lamy Inc. –gegründet. Ab sofort steuern wir damit den Markenaufbau und Verkauf in den USA selbst. Dabei unterstützt uns ein branchenerfahrenes USA-Team. Im Fokus für ein physisches Markenerlebnis stehen die beiden Flagship-Stores, die bereits 2018 in San Francisco sowie im New Yorker Trendviertel SoHo eröffnet haben. Im April kam gerade als weiterer Standort ein Concept Store in der begehrten Aventura Mall in Miami, Florida hinzu. Mit der Wahl der Standorte und einem modernen Shop-Design setzen wir so mit Lamy ein klares Zeichen für Internationalität und schärfen das Profil als globale Lifestylemarke. Im Juni 2021 geht auch in den USA der neue E-Shop an den Start.

Unternehmeredition: Sie führen als langjährige Mitarbeitende das Unternehmen Lamy seit 2018 in einem Führungstrio. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Oblau: Entsprechend unseren Kompetenzbereichen teilen wir uns als Geschäftsführer die Verantwortlichkeiten untereinander auf. Ich bin zuständig für Marketing/PR sowie Produktentwicklung, Thomas Trapp leitet den Vertrieb weltweit und Peter Utsch übernahm zusätzlich zur Leitung des kaufmännischen Bereichs die Verantwortung für Fertigung und Logistik. Wir haben bereits vieles auf den Weg gebracht, um die Marke fit für die Zukunft zu machen. Dazu zählen die Stärkung unserer Präsenz in den sozialen Netzwerken und der Ausbau im E-Commerce. An diesen Themen arbeiten wir auch weiterhin mit besonderer Priorität, genau wie an der Positionierung der Marke in Richtung Lifestyle. Neben dem konsequenten Internationalisierungskurs der letzten Jahre ist es uns genauso wichtig, in Zeiten des Wandels Kontinuität und Sicherheit zu vermitteln. Im Bereich der Fertigung und Logistik gilt es, Prozesse in Zukunft noch effizienter zu gestalten, um die stark gestiegene Nachfrage zu bedienen. Ein wichtiges Anliegen ist die Unternehmenskultur, das Wir-Gefühl, das im Familienunternehmen Lamy stets eine große Rolle spielte. Dies ist ganz im Sinne der Familie Lamy, die nach wie vor die Mehrheit am Unternehmen hält.

Unternehmeredition: Unternehmen stehen heutzutage unter dem Druck, eine nachhaltige Unternehmenskultur tatsächlich zu leben. Wie stehen Sie zu diesem Anspruch?
Oblau: Die zeitlos moderne Ästhetik des Lamy-Designs in Verbindung mit höchster Qualität garantiert seit jeher die effektivste Form der Nachhaltigkeit: anhaltende Freude an unseren Produkten und daher deren langfristige Nutzung. Die Befreiung von modischer Verzierung und der konsequente Verzicht auf sämtliche Details, die nicht der Funktion dienen, stellen sicher: Lamy-Schreibgeräte sind keine Wegwerfprodukte. Sie begleiten Menschen über Jahre und Jahrzehnte ihres Lebens. Nachhaltigkeit bei Lamy verstehen wir als ständigen Prozess und klare Verpflichtung zur fortwährenden Weiterentwicklung des Unternehmens und der Marke, sowohl auf ökonomisch-ökologischem als auch auf sozial-gesellschaftlichem Fundament.

Unternehmeredition: Wo sehen Sie Lamy in zehn oder 20 Jahren?
Oblau: Lamy arbeitet kontinuierlich an den wichtigen Themen der Zukunft. Durch die zunehmende Digitalisierung im beruflichen, schulischen und auch privaten Umfeld bieten sich neben dem klassischen, analogen Schreibgeräteangebot im neuen Bereich Digital Writing große Chancen für eine Zielgruppenerweiterung. Mit unseren Thinking Tools inspirieren wir Menschen auf der ganzen Welt, ihre intellektuellen, gestalterischen und kommunikativen Fähigkeiten weiterzuentwickeln: Thinking Tools sind Werkzeuge zum Schreiben, Malen und Zeichnen, die Menschen dabei helfen, ihre Gedanken zu formen und greifbar zu machen. Mit Thinking Tools 2.0 wollen wir darüber hinaus vollkommen neue Ausdrucks-, Reflexions- und Interaktionsformen schaffen.


ZUR PERSON

Beate Oblau ist eine von drei Geschäftsführern, die seit 2018 die Geschäfte der C. Josef Lamy Gmbh leiten. Neben Thomas Trapp (weltweiter Vertrieb) und Peter Utsch (kaufmännische Bereich/ Fertigung und Logistik) ist sie zuständig für die Bereiche Marketing/Kommunikation und Produktentwicklung.

 

 


ZUM UNTERNEHMEN

C. Josef Lamy GmbH
Sitz des Unternehmens: Heidelberg-Wieblingen
Gründungsjahr: 1930
Branche: Schreibgeräte
Produktionsstandorte: Heidelberg
Umsatz: 108,2 Mio. EUR (2019)
Mitarbeiterzahl: 380
Inhaber: Familie Lamy
Geschäftsführer: Beate Oblau, Thomas Trapp, Peter Utsch

Dieser Beitrag erscheint in der Unternehmeredition 2/2021 in der Rubrik “Entscheider im Gespräch”.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

Vorheriger ArtikelDigitalisierung als holistischen Ansatz begreifen
Nächster ArtikelMaximilian Fink wird Chief Operating Officer bei Edelman Deutschland