„Die Internet-Szene wird unterschätzt“

Der Online T-Shirt-Versand Spreadshirt hat ihn und seine Mitstreiter berühmt gemacht, seitdem ist Lukasz Gadowski als Serial Entrepreneur in der deutschsprachigen Internet-Szene unterwegs. Mit seinem Inkubator Team Europe verfolgt er am Standort Berlin die neuesten Trends, Gründungen wie Delivery Hero oder SponsorPay gehen auf das Konto der bedeutenden Internet-Schmiede in Berlin-Mitte. Als Exits können Gadowski und Co. (ehemalige) Branchengrößen wie studiVZ oder brands4friends vorweisen. Im Interview gibt Gadowski Einblicke in die florierende Internet-Szene Berlins und beschreibt, wie mittelständische Unternehmen von ihr profitieren könnten.

Unternehmeredition: Als sog. Inkubator spürt Team Europe junge Internet-Start-ups auf und hilft ihnen mit Startkapital und Know-how bei den ersten Schritten in die Selbstständigkeit. Was macht den Reiz des Geschäfts aus?

Gadowski: Der Reiz ist, von Anfang an dabei zu sein, teilweise investieren wir noch vor der Gründung und bauen die Unternehmen gemeinsam mit den Unternehmern auf. Teilweise kommen die Ideen von uns und wir suchen interessierte Mitunternehmer, teilweise kommen Teams von außen mit Vorschlägen auf uns zu. Wir investieren nicht nur Kapital sondern auch Execution Power, also Know-how und Umsetzungsressourcen. Intern haben wir rund 40 Spezialisten, die interimsmäßig Positionen in den Neugründungen übernehmen können oder dafür sorgen, dass die entsprechenden Bereiche mit geeignetem Personal besetzt werden.

Unternehmeredition: Wie genau sieht diese Unterstützung aus? Auf was legt Ihr besonderen Wert?


Gadowski:
Da wir auch mit Gründern zusammenarbeiten, die nicht aus dem Online-Bereich kommen, können sie sich das technische Verständnis für webbasierte Geschäfte dank unseres Netzwerkes innerhalb eines halben Jahres aneignen. Bei der Auswahl unserer Teams sind Erfahrungen im Online-Bereich auch nicht zwingend; uns ist wichtig, dass jemand eine Unternehmerpersönlichkeit ist und Qualitäten wie Führungstalent, Schnelligkeit und eine hohe Auffassungsgabe besitzt. Außerdem sind die Unternehmen, die wir gründen, sehr schnell wachsend, so dass wir Unterstützung nicht nur im Hinblick von Fähigkeiten sondern auch bezüglich der Kapazitäten bieten können. Wenn man als Gründerpersönlichkeit theoretisch dazu in der Lage ist, virale Bereiche sehr schnell aufzubauen, ist das allein nur begrenzt möglich, denn der Tag hat nur 24 Stunden.

Unternehmeredition: Die Internet-Szene gilt als schnelllebig und volatil, viele Deiner Gründungen würden jedoch mit Preisen ausgezeichnet. Worauf kommt es im Internetbereich an und was macht Euch so erfolgreich?

Gadowski: Das Wichtigste ist das richtige Geschäftsmodell und ein gutes Team. Gemeinsam mit Kapital, Distribution und Produkttechnik bilden sie das 5-Bausteine-Modell, das wir zum Aufsetzen von erfolgreichen Unternehmen entwickelt haben. Durchsetzen kann man sich, indem man in jeder Unternehmensphase effizient, d.h. mit möglichst geringem Einsatz von Mitteln möglichst viel erreicht und so eine positive Dynamik in das Unternehmen bringt. Bei unseren Companies versuchen wir das z.B. durch die Einbeziehung von Distribution Deals. Bei den Firmen Mister Spex und brands4friends hatten wir von vornherein Vertriebsdeals mit studiVZ, bei Sponsor Pay hatten wir noch vor der Gründung mit GameForge unseren größten Kooperationspartner überhaupt. Bei Lieferheld beschleunigte eine Kooperation mit der Pro Sieben Sat. 1 Media AG die Entwicklung. Die Produkttechnik wird oft unterschätzt, ist nach unserer Erfahrung aber ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil und wird durch unser eigenes In House-Technik-Team abgedeckt. Je nach Geschäftsmodell ist natürlich auch Kapital wichtig, zu viel davon kann aber auch schädlich sein und von der eigentlichen Fokussierung auf die solide Unternehmensentwicklung ablenken – wenn man z.B. nur noch mit dem Einstellen neuer Mitarbeiter beschäftigt ist. In anderen Fällen ist es aber der entscheidende Erfolgsfaktor und verhilft zur Durchsetzung am Markt.

Unternehmeredition: Die Internet-Szene ist hart umkämpft, die Geschäftsmodelle vieler Neugründungen ähneln sich. Von außen betrachtet geht es scheinbar oft nur darum, als erster möglichst viel Kapital an Land zu ziehen – allein im Bereich des Online-Brillenversands gibt es in Deutschland vier Unternehmen, u.a. Eure Gründung Mister Spex. Wie kann man hier – auch mit gutem Geschäftsmodell – dauerhaft bestehen?

Gadowski: Vielleicht sieht die Szene von außen derart wettbewerbsintensiv aus, nach innen ist sie das aber gar nicht. M&A ist auf jeden Fall interessant, mit SponsorPay haben wir z.B. GratisPay übernommen, auch bei Hitfox gab es wesentliche Transaktionen. Beim Brillenversand gibt es vielleicht vier Hauptakteure, bei genauerer Betrachtung sind deren Geschäftsmodelle aber gar nicht so ähnlich. Brille24 konzentriert sich auf einen extrem rabattierten Handel durch billige Eigenmarken und Direktexport aus China, während Mister Spex Markenbrillen vertreibt und sich als Retail Channel definiert. Direkter Wettbewerb findet oft also gar nicht statt.

Unternehmeredition: Dennoch wird oft Kapital in Höhe von mittelständischen Jahresumsätzen in Unternehmen investiert, deren Geschäftsmodell dann doch hinter den Erwartungen zurückbleibt. Inwieweit ist im Web-Bereich das Aufsetzen nachhaltiger und langfristiger Geschäftsmodelle möglich? Inwieweit ist alles „nur Hype“?

Gadowski: Ich glaube, nachhaltiges Wirtschaften ist eher die Regel als die Ausnahme, man muss eben genau differenzieren, was in den Medien ankommt. Für einen Mittelständler mag die Szene und die Summen, die in sie investiert werden, skurril erscheinen, ich denke aber, dass sie unterschätzt wird. Natürlich gibt es spektakuläre Geschichten von Internet-Gründungen, die zu groß aufgebläht wurden und am Ende Gewinnerwartungen nicht erfüllen konnten. Groupon ist hier das beste Beispiel: ein Unternehmen, das drei Jahre alt und 1 Mrd. EUR wert ist, nach knapp einem Jahr an der Börse jedoch bei unter 10% der ursprünglichen Bewertung angekommen ist. Natürlich ist hier viel Kapital reingeflossen, die Verluste sind aber nicht durch Mängel im Geschäftsmodell oder Fehler im operativen Geschäft, sondern durch Spekulation entstanden. Es handelt sich also um keine operativen Verluste. Daneben gibt es viele Firmen mit Substanz, die nach drei oder vier Jahren Umsätze von 40 Mio. EUR erzielen, aber eben nicht täglich in der Presse erscheinen.

Unternehmeredition: Wo würdest du am ehesten Symbiosen zwischen Mittelstand und der aufstrebenden Internet-Industrie Berlins sehen?

Gadowski: Auf jeden Fall bieten sich Internet-Start-ups immer auch als Investitionsziele an. Wenn mittelständische Unternehmen also Cashflows übrig haben, lohnt sich immer auch ein Blick über den Tellerrand und die Überlegung, wo man diese sonst noch überall investieren kann. Hier leidet die Szene zugegebenermaßen immer noch unter dem Platzen der Blase 2000 und konnte ihren Ruf seither nicht wesentlich verbessern. Die Bedenken sind momentan aber völlig unbegründet. Eine weitere Möglichkeit ist das Einbringen von Inhalten und Know-how. Ein Mittelständler kann aus seiner Perspektive vielleicht Geschäftsmodelle erkennen oder Probleme mithilfe von IT lösen, die uns verborgen bleiben. Zu guter Letzt bieten sich natürlich auch Kooperationen an, z.B. im E-Commerce.

Unternehmeredition: Welche Rolle spielt der Standort Berlin? Wie siehst Du ihn im Vergleich zur weltweit bekanntesten Gründungsregion für Technologieunternehmen, dem Silicon Valley?

Gadowski: Ich glaube, Berlin ist sehr aufstrebend und hat sich als Gründer- und Unternehmermetropole etabliert. In dieser Hinsicht ist die Hauptstadt über eine kritische Masse hinweg, d.h. die Dynamik wird sich sicher selbst verstärken
. Auch im Silicon Valley und in New York ist der Ruf Berlins sehr gut, die Dynamik und die Entwicklungen der letzten Jahre werden durchaus registriert.

Unternehmeredition: Danke für das Gespräch, Lukasz!

Das Interview führte Verena Wenzelis.
verena.wenzelis@unternehmeredition.de

Zur Person: Lukasz Gadowski
Lukasz Gadowski ist Serial Entrepreneur und Mitgründer des Berliner Inkubators Team Europe (www.teameurope.net), der ausschließlich webbasierte Geschäftsmodelle aufsetzt und verfolgt. Momentan gehört der Online-Lieferservice Delivery Hero (www.deliveryhero.com), das Online-Branchenverzeichnis Digitale Seiten (www.digitaleseiten.de) sowie der Mobile-Werbedienstleister madvertise (www.madvertise.de) zum Portfolio der Talentschmiede.

Autorenprofil

Verena Wenzelis war bis Juli 2016 Redakteurin bei der Unternehmeredition.

Vorheriger ArtikelVIB Vermögen platziert Pflichtwandelanleihe
Nächster ArtikelMarcus Brüning wird Senior Director Deutschland