Laut dem aktuellen Report Unternehmensnachfolge 2025 der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) droht Deutschland eine strukturelle Krise bei der Übergabe von Betrieben. Noch nie wollten so viele Unternehmerinnen und Unternehmer ihr Lebenswerk abgeben oder – mangels Nachfolge – den Betrieb ganz schließen. Die Analyse basiert auf mehr als 50.000 persönlichen Kontakten sowie Beratungs- und Informationsgesprächen der IHKs. Seit dem Jahr 2019 hat sich die Lücke zwischen Altinhabern und potenziellen Nachfolgenden nahezu verdoppelt. Nach Angaben des DIHK besteht derzeit die Gefahr, dass mehr als die Hälfte aller Nachfolgesuchen erfolglos bleiben. Deutschlandweit stehen rund 9.600 fortführungswilligen Unternehmen lediglich etwa 4.000 Interessenten gegenüber. Über ein Viertel der betroffenen Unternehmerinnen und Unternehmer denkt laut IHK-Beratung bereits an eine vollständige Schließung. Hochgerechnet könnten somit in den kommenden zehn Jahren bis zu 250.000 Betriebe gefährdet sein.
Wirtschaftliche Substanz unter Druck
Peter Adrian, Präsident der DIHK, zeigte sich angesichts der Ergebnisse tief besorgt. „Dabei geht es auch um Tausende gesunde, erfolgreiche Unternehmen. Das macht mich besonders betroffen“, sagte Adrian bei der Vorstellung des Reports. Er warnte: „In Deutschland bricht uns damit immer mehr von unserer wirtschaftlichen Basis weg.“ Man verliere damit Innovationskraft und wirtschaftliches Potenzial. Das Unternehmertum müsse wieder attraktiver werden, forderte Adrian. Besonders kritisch stellt sich die Lage im Gastgewerbe und im Einzelhandel dar. Nach Angaben des DIHK übersteigt dort das Angebot an Unternehmen die Zahl der Interessenten um das Dreifache, in der Verkehrsbranche sogar um das Vierfache. Auch in der IT- und Dienstleistungsbranche ist die Nachfrage laut IHK-Angaben deutlich geringer als das Angebot.
Unternehmen müssen unabhängiger werden
„Wer einen reibungslosen und gewinnbringenden Unternehmensverkauf anstrebt, sollte die Nachfolge frühzeitig – idealerweise mehrere Jahre im Voraus – planen. Dazu gehören vor allem folgende Maßnahmen: frühzeitig konsequente Transformationsmaßnahmen ergreifen, Investitionsstaus in Digitalisierung und Modernisierung beheben sowie nach intensiven Risikoanalysen die Absatzmärkte optimieren, um die Resilienz gegenüber Marktschwankungen zu stärken“, sagt Georg von Verschuer, Partner bei Falkensteg und zuständig für den Bereich Unternehmensnachfolge. Zudem müssten viele Unternehmen unabhängiger vom Chef werden, damit der Betrieb nach der Übergabe auch ohne sie reibungslos weiterlaufen kann. „Unternehmer müssen dafür sorgen, dass ihr Know-how, ihre Schlüsselkontakte und ihre Entscheidungsprozesse auf ein breit aufgestelltes Team übertragen werden“, fährt er fort.
Regionale Folgen und strukturelle Risiken
Laut dem DIHK gehen die Folgen gescheiterter Nachfolgen häufig über die betroffenen Betriebe hinaus. Fällt etwa ein Industriebetrieb mit spezialisierten Angeboten weg, kann eine ganze regionale Wertschöpfungskette betroffen sein. IHKs sehen auch eine Zunahme von Leerständen in Innenstädten und verwaisten Lagen. Wenn etwa ein gut laufender Gasthof auf dem Land schließt, gehe laut DIHK auch ein Ort sozialer Begegnung verloren. Die Standortqualität ganzer Regionen könne dadurch beeinträchtigt werden.
Demografie und Konjunktur erschweren Übergaben
Die demografische Entwicklung sei laut DIHK zwar ein maßgeblicher Faktor, könne aber allein die wachsende Nachfolgelücke nicht erklären. Die wirtschaftliche Situation in Folge der langanhaltenden Rezession habe sich ebenfalls negativ auf das Interesse an Unternehmensübernahmen ausgewirkt. Laut dem Report erschweren höhere Energie- und Rohstoffpreise sowie steigende Personalkosten die Planbarkeit. Komplexe Regulierungen, hohe Bürokratiebelastung und Fachkräftemangel wirken zusätzlich abschreckend. Geeignete Nachfolgeinteressierte entscheiden sich oft für weniger risikobehaftete Anstellungen, da diese mit attraktiven Bedingungen verbunden sind. Laut dem DIHK stellt diese Entwicklung eine zusätzliche Hürde für die Betriebsübernahme dar.
IHK sieht erste positive Signale
Dennoch beobachtet die DIHK in jüngster Zeit eine leichte Belebung: Es gebe wieder mehr Beratungsanfragen zur Betriebsübernahme. Besonders in der Industrie suche eine wachsende Zahl von Kandidatinnen und Kandidaten nach Alternativen zur Festanstellung. Laut DIHK ist dies ein Hoffnungsschimmer, aber kein Ersatz für stabile wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Peter Adrian spricht sich für deutliche Vereinfachungen bei der Nachfolge aus. „Wer ein Unternehmen übernimmt, braucht Zeit für den Betrieb, Geschäftspartner und Kunden.“ Daher müssten Verwaltungsprozesse deutlich vereinfacht werden. Künftig solle laut Adrian die Übergabe nur noch bei einer staatlichen Stelle angezeigt werden müssen. Auch für bauliche Veränderungen und die Nutzung bestehender Kunden- und Lieferantendaten brauche es praxisnahe Lösungen. Ein befristeter Bestandsschutz für gerade übernommene Betriebe könne laut Adrian helfen, die Anfangsphase für Neuinhaber zu erleichtern. Die Konzentration auf das Geschäft müsse Vorrang vor aufwendigen Genehmigungsprozessen haben.