Die deutsche Industrie sieht sich laut einer aktuellen Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Unternehmensberatung FTI-Andersch mit einem tiefgreifenden Strukturbruch konfrontiert. Zahlreiche Unternehmen in den Schlüsselbranchen Maschinen- und Anlagenbau, Automobilzulieferung sowie energieintensive Industrie bezweifeln demnach ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Die Mehrheit der Befragten erwartet den Verlust der Technologieführerschaft, sieht sich von Protektionismus belastet und schränkt Investitionen aufgrund erschwerter Kreditvergabe massiv ein.
Glaube an Technologieführerschaft schwindet
Im Maschinen- und Anlagenbau gehen 51 % der Unternehmen davon aus, dass Deutschland seine Technologieführerschaft verlieren wird. 70 % wären davon nach eigenen Angaben stark oder sehr stark betroffen. 93 % rechnen mit einem verstärkten Markteintritt chinesischer Hersteller in Europa, zwei Drittel halten diesen bereits für vollzogen oder sehr wahrscheinlich. Die befragten Unternehmen setzen laut der Studie zwar auf klassische Gegenmaßnahmen: 86 % investieren in Softwarekompetenz, 73 % in schnellere Innovationszyklen, 66 % in Nischenstrategien.
Jedoch bleiben radikale Strategiewechsel die Ausnahme. Nur 20 % planen Beteiligungen an Start-ups. Rund ein Drittel erwägt, die eigene Produktion durch unabhängige Dienstleistungen zu ergänzen. Christian Säuberlich, Vorstandssprecher von FTI-Andersch, bezeichnet diese Entwicklung als „nicht zu ignorierendes Warnsignal“. Gleichzeitig erkenne man aber auch, dass viele Unternehmen bereit seien, sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen.
Kooperation mit China bleibt Randthema
In der Automobilzulieferindustrie zeichnen sich ähnliche Herausforderungen ab. 64 % der Unternehmen rechnen mit negativen Folgen durch den Rückgang des Verbrennermarkts. Über die Hälfte der Befragten hält dennoch an entsprechenden Produkten fest. Kooperationen mit chinesischen OEMs sind für 83 % schwierig, für 47 % sogar sehr schwierig. Nur 25 % bauen gezielt Vertriebsstrukturen zu chinesischen Herstellern auf, lediglich 19 % entwickeln entsprechende Produkte.
Statt in das bestehende Kerngeschäft zu investieren, orientieren sich 79 % der betroffenen Unternehmen um. Besonders häufig wird der Einstieg in die Rüstungsindustrie erwogen, gefolgt von Energie, Luftfahrt, Medizintechnik und Bahnindustrie. Christian Säuberlich sieht darin zwar teils sinnvolle strategische Optionen, warnt aber vor überhöhten Erwartungen an diese Transformationspfade.
Verlagerung und Schrumpfung als Reaktion
In der energieintensiven Industrie sehen 94 % der Unternehmen eine Abwanderung von Produktionskapazitäten aus Deutschland als wahrscheinlich, 56 % sogar als sehr wahrscheinlich. Hauptursache sind laut der Studie die hohen Energiepreise. Die Reaktionen darauf fallen deutlich aus: 93 % setzen auf Effizienzprogramme, 86 % auf eigene Energieerzeugung und 68 % auf langfristige Direktverträge. Trotzdem reduzieren 30 % der Unternehmen ihre Produktpalette und 22 % verlagern Produktionsprozesse ins Ausland.
Zusätzlich belastet der außereuropäische Wettbewerb. 56 % fühlen sich stark, 23 % sehr stark unter Druck. Unternehmen außerhalb Europas profitieren von günstigeren Energiepreisen, staatlicher Förderung und weniger Regulierung. Als Antwort investieren laut Allensbach-Studie 98 % der Unternehmen in Automatisierung und Digitalisierung. Weitere Maßnahmen sind Spezialisierung und Markenstrategien wie „Made in Europe“. Christian Säuberlich betont, dass viele Unternehmen aktuell keine weiteren Schritte zur Transformation planten – ein Fehler, der den Anschluss kosten könne.
Mangelnde Planbarkeit und KI-Nutzung
Neben branchenspezifischen Problemen verschärfen strukturelle Faktoren die Lage. 18 % der Industrieunternehmen berichten von erschwertem Kreditzugang. In der Automobilindustrie sind es 28 %, in energieintensiven Branchen 20 %. In diesen Fällen streichen 90 % Investitionen, 48 % haben bereits Stellen abgebaut, weitere 16 % planen dies. 83 % der befragten Unternehmen beklagen eine verschlechterte Planbarkeit. Dennoch verzichten viele auf strategische Instrumente wie Szenarioanalysen oder Frühwarnsysteme. Fast die Hälfte der Industrie sieht sich stark vom weltweiten Protektionismus betroffen, reagiert jedoch laut Studie unzureichend.
Künstliche Intelligenz ist in 90 % der Unternehmen im Einsatz, wird jedoch fast ausschließlich für generative Anwendungen wie Text- und Bilderstellung genutzt. Industrielle Anwendungen wie Qualitätssicherung oder Predictive Maintenance bleiben bisher die Ausnahme. Christian Säuberlich fasst die Erkenntnisse der Studie zusammen: „Was wir sehen, ist kein konjunkturelles Tief, sondern ein Strukturbruch.“ Ganze Industriezweige würden in den kommenden Jahren schrumpfen. Entscheidend sei es, jetzt aktiv zu handeln und nicht auf verbesserte Rahmenbedingungen zu warten.