Die Überschuldungslage der Verbraucher hat sich auf den ersten Blick 2023 nochmals leicht verbessert. Die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen in Deutschland, sinkt 8,15%. „Die vermeintlich guten Werte trügen leider“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. „Ohne statistische Sondereffekte messen wir erstmals seit 2019 wieder einen Überschuldungszuwachs.“ Hintergrund der vermeintlich sinkenden Zahlen sei eine Verkürzung der Speicherfristen für Restschuldbefreiungen von bisher drei Jahren auf nun sechs Monate. Nach alter Lesart mit einer dreijährigen Sperrfrist gäbe es nach den Zahlen der Creditreform rund 17.000 Fälle mehr als 2022. Die Überschuldungsquote läge demnach eigentlich bei 8,51% und damit leicht über dem Vorjahr. „Die multiplen Krisen, insbesondere die anhaltende Inflation und die hohen Zinsen, verteuern das Leben der Verbraucher stetig“, so Hantzsch weiter. Da die Folgen einer Überschuldung, Stichwort Privatinsolvenz, erst zeitverzögert auftreten, rechnen die Analysten der Creditreform mit steigenden Fallzahlen in den kommenden Monaten.
Stabile Lage, gemischte Aussichten
„Wir beobachten, dass nun erstmals seit 2020 die sogenannte „weiche“ Überschuldung, also nachhaltige Zahlungsstörungen, wieder ansteigt“, erläutert Michael Goy-Yun, Geschäftsführer von Creditreform Boniversum und microm. „Drastisch gestiegene Lebenshaltungs- und Energiekosten haben im letzten Jahr die finanziellen Spielräume der Verbraucher deutlich eingeschränkt. Die steigende Nachfrage nach Ratenkrediten und ´Buy now, pay later´-Angeboten, die vor allem auf Jüngere und Frauen abzielen, bestätigenden Konsumtrend“, so Goy-Yun weiter. Auffällig sei zudem, dass einkommensschwache Haushalte weiterhin am meisten von Überschuldung betroffen seien. “Blicken wir aber auf die Krisenjahre seit 2019, stellen wir fest, dass diese Gruppe offensichtlich sehr von den Stützungsmaßnahmen des Staates profitiert hat“, fährt er fort. Deren Anteil am Überschuldungsgeschehen habe abgenommen, während mehr Normal- und Gutverdiener in eine Überschuldungsspirale geraten seien und teils eine Schuldnerberatung in Anspruch genommen haben. „Ganz konkret können das Menschen sein, deren Immobilienfinanzierung in diesem Zinsumfeld ausläuft, die eine Anschlussfinanzierung brauchen und plötzlich mit enormen finanziellen Mehrbelastungen zurechtkommen müssen“, erläutert Goy-Yun. Die Überschuldung von Verbrauchern sei eng an die konjunkturelle Entwicklung geknüpft. „Bei den Unternehmensinsolvenzen hat eine Trendumkehr bereits eingesetzt.“ Das Durchschlagen auf die Verbraucher sei nur eine Frage der Zeit, da sich zum Beispiel auch die Lage am Arbeitsmarkt trotz demographischen Wandels wieder verschärfe und Deutschland sich beim Wachstum auf den letzten Plätzen befindet.
Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.