Ukrainekrieg und der dadurch ausgelöste Preisschock für Energie, weltweite Probleme mit Lieferketten, eine galoppierende Inflation und stark steigende Zinsen − zahlreiche Unternehmen wurden im vergangenen Jahr durch diese Entwicklungen getroffen, manche sogar hart. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch das Volumen bei den Investitionen im deutschen Beteiligungskapitalmarkt 2022 rückläufig gewesen ist. Laut der aktuellen Statistik des Bundesverbands Beteiligungskapital (BVK) ging das Gesamtvolumen der Investitionen auf 13,9 Mrd. EUR und damit um fast 30% zurück. Wir haben mit Private-Equity-Investoren und -Beratern gesprochen, um uns ein Stimmungsbild zur aktuellen Lage zu verschaffen.
„Im letzten Jahr herrschte allgemein starke Verunsicherung durch den Ukrainekrieg, die damit einhergehenden steigenden Energiepreise, Probleme mit Lieferketten, allgemein steigende Zinsen und Inflation. Da ist es nur verständlich, dass in nahezu allen Bereichen weniger Investitionen getätigt werden“, sagt Natascha Grosser, Vorstandsvorsitzende des Private Equity Forum NRW e.V. und Rechtsanwältin/Inhaberin der Rechtsanwaltskanzlei Grosser Corporate Law in Düsseldorf.
„Die höheren Zinsaufwendungen bei teilweise weiterhin hoher Erwartungshaltung seitens der Verkäufer belasten den Markt. Für uns hat die Zinsentwicklung aber wenig Auswirkung, da wir Akquisitionen vornehmlich mit Eigenkapital tätigen“, sagt Martin Pfletschinger, Geschäftsführer von Serafin. Zudem bestünden Unsicherheiten und negative Sondereffekte durch den Krieg und die hohe Inflation. Im operativen Geschäft blieben die Unsicherheiten in den Lieferketten und bei der Preisentwicklung bestehen; dadurch gäbe es kürzere Vorlaufzeiten bei Kunden und Lieferanten und ein Stück weit weniger Planbarkeit.
Auch Julia Taylor, Investment Professional bei Syngroh Advisory, sieht das ähnlich: „Die Konjunktur, steigende Zinsen und geopolitische Krisen haben 2022 geprägt und tun es noch heute. Durch die Zinsveränderung ist die Anlageklasse der festverzinslichen Anlagen wieder verfügbar. Das ist besonders für jene institutionellen Investoren attraktiv, die zuletzt mangels Alternativen in Buy-Out-Fonds investiert haben.“ Unsicherheiten hätten auf eine Vielzahl an Stakeholdern Auswirkungen: Kunden, Lieferanten, Unternehmer, Arbeitnehmer, Banken, Käufer. Das führe beispielsweise dazu, dass durch Zinssteigerungen Finanzierungen unattraktiver werden, unterschiedliche Preisvorstellungen zum Abbruch der Gespräche führen und sich Prozesse länger ziehen, um vermeintlich die Unsicherheit besser einschätzen zu können. Viele Investoren würden derzeit noch „auf Sicht“ fahren, sodass weniger Abschlüsse zustande gekommen seien. „Alles in allem sehen wir auch im aktuellen Umfeld, dass sich Direktbeteiligungen durch die noch immer überdurchschnittlichen Renditen und den Schutz vor Inflation als attraktive Anlageklasse bewiesen haben und weiter Zulauf haben. Den erheblichen Mittelabfluss in festverzinsliche Anlagen durch institutionelle Anleger kann dies in der Gesamtbetrachtung jedoch kurzfristig nicht kompensieren“, betonte Taylor.
Nachholeffekte spätestens 2024 und 2025 zu erwarten
Für die bestehenden Portfolien bedeutet die Marktunsicherheit, dass sich Haltedauern verlängern und Exits wegen zu niedriger Bewertungsniveaus verschoben und Läger künstlich hochgehalten werden. Das Gros der Befragten sieht diese Entwicklung jedoch als vorübergehend an und ist überzeugt vom nahenden Aufschwung, wenn nicht kurzfristig noch in diesem, so doch auf jeden Fall ab dem nächsten oder übernächsten Jahr.
„Im für uns relevanten Segment von Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen 20 und 200 Mio. EUR ist erhöhte Aktivität spürbar“, sagt Pfletschinger. Im vergangenen Jahr seien oft Verkaufsabsichten aufgrund bestehender Unsicherheiten „on hold“ gesetzt worden. „Wir gehen davon aus, dass ab dem zweiten Halbjahr 2023 die Zahl der Transaktionen wieder steigen wird.“
„Das ist eine temporäre, keine strukturelle Entwicklung“, betont Joachim von Lohr, Partner bei Hannover Finanz. Natürlich könne das Jahr 2022 nicht so stark sein wie das Rekordjahr 2021. Es hätte zwar schon Sequenzen gegeben, wo ein Rekordjahr das andere abgelöst habe. Aber aufgrund der Unsicherheiten wegen des Ukrainekriegs und der Inflation sowie der Entwicklung der Energiekosten würden die Unternehmen lieber abwarten, wie sich die Langfristperspektive entwickelt, wenn sie nicht unbedingt verkaufen müssten. „Spätestens 2024 und 2025 wird es Nachholeffekte geben, da bin ich mir ganz sicher“, sagt von Lohr.
Auch aus Sicht von Christoph Dubber, Partner bei Silver Investment Partners, bleibt der Markt weiter stabil. Es würden nach wie vor Fonds aufgelegt. „Wir sehen in unserem Marktsegment weiter das Eintreten und Etablieren neuer Spieler“, so Dubber. „Für gute Deals ist Kapital weiter verfügbar.“
Dr. Christian Näther, Managing Partner bei Emeram Capital Partners blickt ebenfalls optimistisch in die Zukunft: „Kapital ging zuletzt verstärkt in Mega-Buy-out-Fonds. Sobald sich Bewertungen den neuen Fremdkapitalkosten entsprechend angepasst haben, werden wir dort wieder höhere Aktivität sehen. Wenn 2023 zusätzlich – im Vergleich zu den Covid- und Ukrainejahren – ein Jahr mit eher stabilen Rahmenbedingungen für die Unternehmen wird, könnten Preisfindungen 2024 wieder etwas einfacher fallen.
Julia Taylor: „In Deutschland haben wir zahlreiche ungeklärte Nachfolgesituationen und durch die Krisenjahre tragen sich einige Unternehmer mit dem Gedanken, einen starken Partner an Ihrer Seite haben zu wollen. Trotz der aktuellen Unsicherheiten sind wir zuversichtlich, dass der Markt in den kommenden Jahren weiter wachsen wird. Dies gilt vor allem für solche Investoren, die Unternehmen mehr als nur liquide Mittel bereitstellen können. Mein Ausblick ist daher optimistisch, dass es auch in Zukunft eine starke Nachfrage nach Beteiligungskapital, insbesondere von langfristigen familiengeprägten Investoren, gibt.“
Talsohle bereits Ende 2022 durchschritten
„Während der Markt 2022 leicht rückläufig war, dürften wir die Talsohle bereits zum Ende letzten Jahres durchschritten haben“, sagt Natascha Grosser. „Meines Erachtens zieht der Beteiligungsmarkt bereits wieder an, was auch kongruent mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland ist. Bis Ende des Jahres gehe ich von einem weiteren Anstieg aus. Ich hoffe, dass die leichte Zurückhaltung Ende letzten Jahres sich legt und wir noch viele Investments in diesem Jahr sehen. Der Wettbewerb unter den Finanzinvestoren ist hoch und deutsche KMUs attraktiv. Möglicherweise sehen wir auch eine leichte Verschiebung im Kreis der Investoren, da auch wohlhabende private Investoren PE für sich entdeckt haben.“
Joachim von Lohr: „Wir sind bereits seit 44 Jahren im Markt. Dieser Markt ist stetig gewachsen und wird auch weiter wachsen. Wir führen viele Gespräche mit Unternehmern, Beratern und Banken. Der Ausblick für 2023 ist schon mal leicht positiv und die Stimmung für die Jahre danach ist bisher positiv. Die Sorge aus 2022, dass wir in eine tiefe Rezession fallen werden, hat sich nicht bestätigt. Die kommenden Jahre werden möglicherweise sogar aufregend positiv, weil wir Transformationsthemen haben wie Mobilität und Energie. Wir leben in einer sich sehr verändernden Welt.“ Wer beim Thema Transformation nicht mitgehe, werde es zunehmend schwieriger haben.
Nearshoring und Transformationsthemen im Trend
Auch bei der Einschätzung, welche Branchen das größte Potenzial bieten, herrscht große Einigkeit. Zum einen läge der Fokus auf Unternehmen, die eher lokal als global etabliert seien. Branchenübergreifend mache sich ein Re-Shoring bemerkbar.
Natascha Grosser: „IT-Technologie und Softwareunternehmen werden nach wie vor gehypt. Dauerbrenner sind aber Maschinenbau und Automobilzulieferer. Tendenziell sind auch wieder inflationssicherere Branchen wie Medizin und Pharma in den Fokus von Investoren geraten, was wohl auf die noch immer bestehende Inflations- und Lieferkettenproblematik zurückzuführen sein dürfte.“
Julia Taylor: „Potenzial sieht man bei Unternehmen, die sich in den letzten Jahren gut aufgestellt und ein nachhaltiges Geschäftsmodel entwickelt haben. Die Unternehmen, die sich klar von Wettbewerbern differenzieren, werden langfristig strategische Vorteile haben.“
Joachim von Lohr, Partner Hannover Finanz: „Sehr stark entwickeln sich Unternehmen, die Teil der Transformation sind. Dazu zählen Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Energiewende und E-Mobilität.“ Auch die Bereiche Healthcare, Medizintechnik und Chemie/Pharma seien konstant stabil und hätten eher profitiert. Negativ betroffen seien hingegen Unternehmen im E-Commerce und B2C. Hier herrsche eine größere Kaufzurückhaltung.
Entscheidungen treffen trotz Unsicherheit
Worin derzeit die größte Herausforderung liegt, haben wir noch gefragt. Die größte Herausforderung sieht Christoph Dubber darin, Einschätzungen bei stark erhöhter Unsicherheit treffen zu müssen. Viele institutionelle Investoren würden aktuell unter dem sogenannten denominator Effekt und/oder zu wenig Rückflüssen leiden und so weniger Kapital für Private Equity (Funds oder Co-Investments) bereitstellen können. Insofern navigieren alle Marktteilnehmer vorsichtiger und konzentrieren sich auf die vermeintlich attraktivsten Investments, sagt Dr. Christian Näther.
Martin Pfletschinger: „Unsere Unternehmen sind gut aufgestellt. Die größte Herausforderung ist der Umgang mit den aktuell bestehenden Unsicherheiten im makroökonomischen Umfeld. Auf der Akquiseseite ist eine große Herausforderung weiterhin die Identifizierung von passenden Unternehmen, bei denen wir uns engagieren und einbringen können; hier sind wir sehr zuversichtlich, was die nächsten Monate angeht.
Julia Taylor: „Die größte Herausforderung in diesem Geschäft ist die Identifikation und das Verständnis der langfristigen Stärkung nachhaltiger Geschäftsmodelle. Darüber hinaus ist es von hoher Bedeutung im aktuellen Umfeld Chancen zu erkennen und den Mut zu haben, diese konsequent wahrzunehmen. Ein gesundes starkes Unternehmen trotzt auch einem Sturm.“
Natascha Grosser: „In der Rechtsberatung ist die größte Herausforderung eigentlich immer, Gesellschafter und Geschäftsführung dahingehend zu sensibilisieren, dass Investoren einen ganz anderen Blickwinkel haben. KMUs öffnen sich zwar grundsätzlich immer mehr für Investoren, aber was es beispielsweise mit ESG auf sich hat und dass Nachhaltigkeitskriterien immer mehr in den Fokus von Investoren rücken, dafür besteht noch kein hinreichendes Verständnis.“
Joachim von Lohr, Partner bei Hannover Finanz: „Die größte Herausforderung im Private-Equity-Geschäft liegt darin, die Balance zu halten zwischen Chance und Risiko. Bei einem zu hohen Kaufpreis leidet die Rendite, bei einem zu niedrigen Kaufpreis fliegen wir aus dem Prozess, dazwischen liegt nur ein schmaler Grad. Das wird in Zeiten gestiegener Unsicherheit leider nicht einfacher.“
FAZIT
Auch wenn die Zahlen im vergangenen leicht rückläufig waren, ist die Grundstimmung unter den befragten Investoren positiv. Zum Teil werden schon in diesem, spätestens aber für 2024/2025 mit Nachholeffekten und anhaltendem Wachstum gerechnet. Langfristig gesehen bleibt der Markt stabil, für gute Deals ist nach wie vor Kapital vorhanden. Besonders gut stehen die Aussichten für Unternehmen, die mit Transformationsthemen unterwegs sind wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Energiewende und E-Mobilität. Daneben behaupten sich der IT-Sektor, Maschinenbau und Automobilzulieferer sowie Medizintechnik und Pharma als Dauerbrenner. Die größte Herausforderung liegt aktuell darin, seine Einschätzungen und Entscheidungen in der Unsicherheit zu treffen.
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.