Overboarding im Aufsichtsrat zunehmend in der Kritik

Die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Arbeit von Aufsichtsräten und Beiräten haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen.
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Die noch laufende Hauptversammlungssaison hat insbesondere bei einigen DAX30-Unternehmen bei der Neubesetzung des Aufsichtsrats zu intensiven, auch öffentlichen Diskussionen geführt. Es ging darum, ob die zur Wahl vorgeschlagenen Personen als Vorstandsvorsitzende anderer DAX30-Unternehmen die für das zusätzliche Aufsichtsratsmandat erforderliche Zeit erübrigen könnten. VON DR. KLAUS WEIGEL

Die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Arbeit von Aufsichtsräten und Beiräten haben in den vergangenen Jahren nämlich deutlich zugenommen. Das gilt insbesondere auch in der aktuellen Covid-19-Pandemie. Das hat Auswirkungen auf die Zahl der Mandate, die einzelne Aufsichtsräte übernehmen sollten. Dieser jüngst als „Overboarding“ beschriebene Sachverhalt hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Anlass zu Präzisierungen insbesondere im Deutschen Corporate Governance Kodex gegeben. So spricht sich der im Mai 2020 in Kraft getretene überarbeitete Kodex in den Empfehlungen C.4 und C.5 dafür aus, dass Aufsichtsratsmitglieder maximal fünf Mandate bei konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen sollten, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt gezählt wird. Darüber hinaus sollen amtierende Vorstandsmitglieder von börsennotierten Unternehmen nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder ähnliche Funktionen und keinen Vorsitz im Aufsichtsrat eines konzernexternen börsennotierten Unternehmens wahrnehmen.

Institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater haben schon vor einigen Jahren deutlich schärfere Grenzen eingeführt. So lässt etwa der internationale Stimmrechtsberater ISS maximal fünf Mandate in börsennotierten Gesellschaften zu, wobei ein Aufsichtsratsvorsitz doppelt und ein Vorstandsmandat sogar dreifach angerechnet wird. Hingegen lässt Glass Lewis zwar ebenfalls maximal fünf Aufsichtsratsmandate zu (Vorsitz wird doppelt angerechnet), aber Vorstandsmitglieder börsennotierter Gesellschaften sollen nicht mehr als zwei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder vergleichbaren Gremien wahrnehmen. Der BVI Bundesverband Investment und Asset Management e. V. wiederum befürwortet für ein noch operativ tätiges Aufsichtsratsmitglied insgesamt maximal drei Mandate und insgesamt maximal fünf Mandate für ein nicht-operativ tätiges Mitglied. Dabei werden mehrere Aufsichtsratsmandate innerhalb eines Konzerns nur dann als ein Mandat gezählt, wenn dies deutlich gekennzeichnet wird. Insofern holt die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex hier nur eine längst eingetretene Entwicklung nach.

Hintergrund dieser über bisherige Regelungen des Aktiengesetzes und des Deutschen Corporate Governance Kodex hinausgehenden Begrenzungen der Mandatsobergrenzen sind die in den vergangenen Jahren deutlich gestiegenen zeitlichen Anforderungen an die Aufsichtsratsmitglieder. Die zeitliche Inanspruchnahme von Aufsichtsratsmitgliedern umfasst eben nicht nur die Teilnahme an den Sitzungen von Aufsichtsratsplenum und gegebenenfalls Ausschüssen. Es bedarf auch einer gewissen Zeit für eine professionelle Vor- und Nachbereitung der Sitzungen, Reisezeiten sowie einer regelmäßigen Befassung mit aktuellen Unternehmens- und Branchenentwicklungen sowie des regulatorischen Umfelds im Rahmen von inzwischen auch für Aufsichtsräte verpflichtenden Fortbildungen.

Trotzdem erscheint die reine Mandatszählweise nicht ausreichend zu sein. Qualitative Kriterien fehlen sowohl in den gesetzlichen Vorgaben, in den Anforderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex als auch in den Empfehlungen der Stimmrechtsberater und den Vorgaben institutioneller Investoren.

Außerdem sah der Deutsche Corporate Governance Kodex bisher lediglich Mandatsobergrenzen für aktive Vorstände vor. Dies wurde zwar durch die Kodex-Neufassung auf nicht-operative Aufsichtsratsmitglieder erweitert. Aber auch hier wird nur die Quantität und nicht zugleich auch die Qualität der Mandate und damit der tatsächliche Zeitaufwand für ein Mandat gezählt. Hier bedarf es zusätzlicher operationaler Kriterien, um von einer zu schematischen Ermittlung eines möglichen Overboardings wegzukommen.

Darüber hinaus sollte jedes Aufsichtsratsmitglied in einer kritischen Selbstanalyse überprüfen, ob es unter Berücksichtigung aller derzeitigen Tätigkeiten und Mandate wirklich in der Lage ist, die zusätzlichen zeitlichen Anforderungen aus einem weiteren Mandat zu bewältigen. Für den Fall, dass ein Aufsichtsratsmitglied nicht ausreichend zeitliche (und inhaltliche) Ressourcen bereitstellt beziehungsweise bereitstellen kann, sollten auch ein vorzeitiges Mandatsende oder eine Begrenzung der Mandatstätigkeit, zum Beispiel Wegfall der Mitwirkung in Ausschüssen, erwogen werden. Bei all diesen Überlegungen sollte aber nicht vergessen werden, dass externe Mandate den eigenen Horizont erweitern und Einblicke in andere Unternehmen erlauben, die dann für die eigene operative Tätigkeit von Nutzen sein können.


ZUM AUTOR

Dr. Klaus Weigel, Board Xperts

Dr. Klaus Weigel ist seit 2007 Geschäftsführender Gesellschafter der Board Xperts GmbH, Frankfurt am Main. Er war 25 Jahre für verschiedene Banken im Corporate-Finance- und Private-Equity-Geschäft in leitender Funktion und als Mitglied in Beiräten und Aufsichtsräten tätig. Die Board Xperts GmbH ist spezialisiert auf die Vermittlung qualifizierter Aufsichtsräte und Beiräte. Dr. Weigel ist zugleich Mitgründer und Vorstandsmitglied der Vereinigung Aufsichtsräte Mittelstand in Deutschland e.V. (ArMiD). klaus.weigel@board-experts.de

Autorenprofil

Dr. Klaus Weigel ist Gastautor.

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