Im August erschreckte eine Meldung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO): Die österreichische Wirtschaft geht von einer Stagnations- in eine Schrumpfungsphase über. Besonders betroffen sind Dienstleistungsbereiche, Bauwesen und Industrie. Während Schwellenländer eine deutliche Expansion erleben, stagnieren die Industrieländer. Heimische Unternehmen versuchen jetzt, die geringere Nachfrage mit Innovationen und Kostensenkungen auszugleichen.
Die Unternehmen in Österreich stellen sich in diesem Jahr auf eine durchwachsene Entwicklung ein. Führende Konjunkturforscher erwarten für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 0,3% bis 0,5%. Das wäre zwar mehr als in Deutschland, wo es um 0,4% schrumpfen soll, aber weniger als der EU-Durchschnitt von 0,6%.
Hohe Inflation bremst Kaufkraft
Die österreichische Wirtschaft kämpft mit ähnlichen Problemen wie ihr deutsches Pendant: Vor Ausbruch des Ukrainekriegs bestand eine hohe Abhängigkeit von russischen Rohstoffen im Energiebereich. Die Preise für Erdgas und Erdöl sind explodiert und haben die bereits galoppierende Inflation weiter angeheizt. „Die hohen Inflationsraten und das gestiegene Zinsniveau verringern die Kaufkraft und führen zu Absatzrückgängen in unseren Endmärkten Wohnungsneubau, Renovierung und Infrastruktur“, erläutert Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender von Wienerberger. „Wegen der hohen Hypothekarkredite war der Nachfragerückgang im Wohnungsneubau am prägnantesten, die gestiegenen Finanzierungskosten wirken sich zudem auf öffentliche Aufträge aus.“
Investitionen werden verschoben
Unternehmen sind eigentlich gezwungen, ihre sprunghaft gestiegenen Produktionspreise an die Kunden weiterzugeben, um kostendeckend zu arbeiten. Doch die Käufer müssen ebenfalls an ihren Ausgaben sparen – ein Teufelskreis. Häufig werden deshalb neue Investitionen und die Entwicklung innovativer Produkte verschoben. „Die Bereitschaft für risikoreiche Investments hat deutlich abgenommen“, beklagt Pascal Schmidt, Chief Financial Officer von Marinomed Biotech. Gerade Investitionen in Biotechunternehmen erfordern einiges an Geduld und Vertrauen, sind jedoch ebenfalls von dieser Tendenz betroffen. „Höhere Personalkosten und Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sind klar spürbar, aber Investitionen in unser Team und innovative Projekte machen uns gegenüber aktuellen und künftigen Herausforderungen resilienter“, beschreibt Schmidt die Marinomed-Strategie in der Krise.
Zahlreiche Fragezeichen am
Kapitalmarkt
Der Austrian Traded Index (ATX) ist ein Spiegelbild dieser Entwicklung: Seit einem halben Jahr pendelt er seitwärts zwischen 3.000 und 3.500 Punkten. „Das herausfordernde wirtschaftliche Umfeld bringt dem Kapitalmarkt Unsicherheit und Volatilität, Anleger könnten mehr in risikoärmere Anlageklassen investieren“, befürchtet Scheuch. Für Investoren ist deshalb die richtige Geldanlage ein essenzielles Thema. „Angesichts der Teuerung geht es vor allem darum, sich vor dem Realverlust der Spareinlagen zu schützen“, empfiehlt Michael Höllerer, Generaldirektor von Raiffeisen NÖ-Wien.
Mehr Dynamik im nächsten Jahr
„Erst zum Jahresende dürfte die Wirtschaft „auf einen moderaten Wachstumspfad zurückfinden“, so die führenden österreichischen Konjunkturforscher. Sie rechnen für 2024 mit einem Plus von 1,4%, was unter dem deutschen Wert von 1,8% bliebe. Pessimistischer ist die Einschätzung in den Unternehmen. „Für die verbleibenden Monate dieses Jahres sowie für 2024 gehen wir weiterhin von einem herausfordernden Marktumfeld mit hoher Inflation und steigenden Finanzierungskosten aus“, prognostiziert Scheuch. „Dies wird die Absätze in unseren Endmärkten dämpfen.“ Diesen Entwicklungen begegnet Wienerberger mit proaktivem Kostenmanagement. „Wir erwarten, dass die österreichische Wirtschaft im Jahr 2023 nur schwach um 0,2% zulegen wird, gehen aber von einer moderaten Beschleunigung auf 1,0% im Jahr 2024 aus“, ergänzt Friedrich Mostböck, Head of Group Research der Erste Group Bank.
ESG-Regeln werden ausgedehnt
Transparenz in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) ist für rund 2.000 Unternehmen in Österreich ab 2025 bindend. Jeder einzelne Buchstabe von ESG gewinnt deshalb in den Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Allerdings ist es bis zur Umstellung auf eine nachhaltige Warenproduktion noch ein weiter Weg, im Vordergrund stehen Berichterstattung und Anlegerinformation. „Wir haben für das Geschäftsjahr 2021 erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, unsere IR-Abteilung weiter ausgebaut und zeigen auch als kleines Unternehmen Präsenz bei Investorenkonferenzen“, erläutert Marinomed-CFO Schmidt.
Anleger nachhaltig informieren
Dabei steht der intensive Dialog mit Kapitalmarktakteuren, Kreditgebern und Aktionären im Mittelpunkt. „Wir sind bestrebt, ein möglichst vollständiges und transparentes Bild des Unternehmens zu schaffen“, erläutert Schmidt. Ein solches Vorgehen wirkt sich zudem meist positiv auf den Aktienkurs aus. Keinesfalls bedeutet ESG, dass durch Umstellung oder Verzicht mit Wachstumsausfällen zu rechnen ist. „Die Entscheidung dafür bedeutet nicht, dass Erträge wegfallen“, weiß Höllerer. „Ganz im Gegenteil: Nachhaltige Investments können bei der Wertentwicklung mit traditionellen Veranlagungen mithalten.“
Fazit
Österreichische Unternehmen kämpfen weiterhin mit den Folgen der Energiekrise. Sie haben sich in den vergangenen Jahren wichtige Absatzmärkte und Produktionsorte in Osteuropa aufgebaut – und damit auch in Russland. Seit Beginn des Ukrainekriegs sind diese Marktanteile und Lieferketten bedroht. Die nach wie vor hohe Inflation lässt die Produktionspreise weiter ansteigen. Im nächsten Jahr könnte die österreichische Wirtschaft aber wieder mehr Dynamik entwickeln. Neue Markt- und Wachstumschancen bieten die Themen ESG und Nachhaltigkeit. Vor allem Investoren interessieren sich immer mehr dafür, wie sich ihr eingesetztes Geld auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft auswirkt und wie nachhaltig Unternehmen mit den Ressourcen umgehen. Deshalb steht die Berichterstattung im Vordergrund.
Dieser Beitrag erschien in unserem Special “Kapitalmarkt Österreich 2023“.
Thomas Müncher
Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.