„Meine Idee wurde von der Familie abgelehnt“

Interview mit Galahad Clark, Gründer und Chief Ecosystem Officer (CEO), Vivobarefoot

Entstehung der Vivobarefoot wird beleuchtet. Themen wie Familienunternehmertum oder nachhaltige Produktion werden angebracht.
Foto: © Vivobarefoot

Mit den Barfußschuhen von Vivobarefoot hat der britische Unternehmer Galahad Clark aus dem Familienverbund heraus eine neue, weltweit erfolgreiche Schuhmarke etabliert. Wir sprachen mit dem Unternehmer über die weltweite Krise der Schuhindustrie, über nachhaltige Produktion von Schuhen und die Vorteilen eines Familienunternehmens. 

Unternehmeredition: Herr Clark, Sie sind Schuhmacher in siebter Generation. Die Schuhmarke Clarks ist rund um den Globus bekannt. Wie waren die Anfänge des Unternehmens?

Das Unternehmen wurde 1825 durch Cyrus und James Clark in der südwestenglischen Grafschaft Somerset gegründet. Die Familie gehörte den Quäkern an und war eine von vielen Quäkergemeinschaften, die Unternehmen gründeten, um das Gemeinwohl zu stärken; heute würde man Social Entrepreneurship dazu sagen. In diesen Kreisen ist nicht nur die Schuhfirma, sondern auch die Barclays Bank oder Cadburys Schokoladen entstanden. Für die ersten Clarks-Schuhe wurde Schafhaut verarbeitet. Das Handwerk stand bei den Clarks immer im Mittelpunkt.

Heute hat das Unternehmen mit der Viva China Holding Ltd. einen chinesischen Mehrheitsgesellschafter. Wie kam es dazu?

Anfang der 1990er-Jahre hatte die britische Schuhindustrie Mühe, mit ausländischen Importen zu konkurrieren – deshalb wurden erstmals externe Manager ins Unternehmen geholt. Nach langjährigem Missmanagement, bei dem der Produktinnovation wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, war im Jahr 2021 eine chinesische Mehrheitsinvestition erforderlich und die Anteile der Familie wurden verwässert. Heute halten Familienmitglieder, darunter auch ich, immer noch Anteile am Unternehmen. Aber diese Anteile sind in der Minderheit und jede nennenswerte Kontrolle wurde aufgegeben. Während all dies geschah, gründete und entwickelte ich Vivobarefoot unabhängig.

Warum das?

Ich habe mein Konzept eines modernen Barfußschuhs den Managern und Familienmitgliedern bei Clarks vorgestellt. Den Schuh hatte ich mit einem Jugendfreund entwickelt, einem begeisterten Tennisspieler, der über Fußschmerzen beim Sport klagte. Die Idee wurde jedoch abgelehnt.

So etwas führt in Familienunternehmen schon mal zum Konflikt unter den Generationen und zur völligen Abkehr von einer unternehmerischen Tätigkeit.

Mir gefällt der Gedanke, dass Unternehmen eine Kraft für das Gute sein können, und ich bin sehr gerne ein Schuhmacher. So habe ich dann mit meinem Cousin Asher Vivobarefoot gegründet – einen Schuh, der die Mission verfolgt, die Menschen mit der Natur zu verbinden; von Grund auf, Person für Person. Die Philosophie basiert auf einfachen Barfußdesignprinzipien, nämlich breit, dünn und flexibel, für optimale Fußgesundheit und natürliche Bewegung. Und es sollte im Sinne meiner Vorfahren nachhaltig für die Gesellschaft sein, was die Gesundheit von Mensch und Planeten angeht. Im Rahmen einer Studie unter Barfußschuhträgern haben wir festgestellt, dass die Füße nach sechsmonatigem Tragen um 60% gestärkt wurden und der Gleichgewichtssinn um 40%.

Ihr Konzept scheint aufzugehen: Während sich immer mehr Schuheinzelhandelsgeschäfte mit rückläufigen Umsätzen konfrontiert sehen und die Anzahl der Schuhläden in Deutschland laut Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren (BTE) seit Jahresbeginn um 5% zurückgegangen ist, konnten Sie seit Jahren kontinuierlich wachsen.

Ja – wir produzieren mittlerweile 1,5 Mio. Paar Schuhe pro Jahr, davon 45% in Europa und davon wiederum 20% auf dem deutschen Markt. Wir freuen uns, dass gerade in Deutschland das Verständnis für gesunde Füße wächst und auch vermehrt auf gesunde Ernährung sowie eine natürliche Gesundheit im Allgemeinen geachtet wird. Und auch nach der Coronapandemie ist das Gesundheitsbewusstsein der Deutschen noch einmal gestärkt worden. In den kommenden Jahren wollen wir jährlich um 40% wachsen – wir wissen aber auch, dass Deutschland ein herausfordernder Markt ist.

Inwiefern?

Deutschland ist Spitzenreiter bei den Retouren und wir verkaufen derzeit 80% über unsere Onlineshops. Weltweit liegen die Retouren bei 22%, in Deutschland kommen sie auf das Doppelte.

Weil es gerade in Deutschland heutzutage schick ist, sich Schuhe online zu bestellen, diese dann stolz auf einer Party zu präsentieren und dann wieder an den Hersteller zurückzusenden. Das kratzt nicht nur bei Zalando an der Marge …

… und deswegen gehen wir neue Wege. Wir wollen in Deutschland drei neue Läden eröffnen, das könnten reine Vivobarefoot-Shops sein. Diese können aber auch in andere Shops integriert werden. Wir wollen dazu das Franchisesystem nutzen, wobei wir keine Lizenzgebühr erheben, sondern sogar einen Teil der Ladeneinrichtung zur Verfügung stellen und gute Einkaufspreise bieten. Natürlich ist das auch eine Option für die Zukunft. In einigen Jahren sollen die Füße biometrisch im Geschäft gescannt und die Schuhe individuell angepasst und hergestellt werden. Es gibt derzeit einen Versuch in Großbritannien mit unserer Community. Das Projekt heißt Vivobiome.

Warum kriselt die Schuhbranche so stark?

Die Industrie steht sich selbst im Weg und ist zu wenig innovativ. Jährlich werden 22 Mrd. Paar Schuhe hergestellt. Es geht mehr um das Design als um den Fuß, der das alles aushalten muss. Die meisten Menschen leiden unter diesen Schuhen, die uns von unserer natürlichen Bewegung und Natur abschneiden.

Sie sprechen viel von Nachhaltigkeit, geben sich aber durchaus selbstkritisch im Umgang mit derselben. Ihr Jahresbericht mit dem Titel „Unfinished Business“ legt offen, wo das Unternehmen scheitert, und Sie bezichtigen sich darin des Greenwashings.

Dieser Bericht zeichnet unsere Reise zu mehr Ressourcenschonung und Innovation in den letzten Jahren nach und skizziert gleichzeitig unsere laufenden Bemühungen, die zukünftige Ausrichtung unseres Unternehmens zu gestalten. Die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA) hat Greenwashing-Richtlinien aufgestellt, um Unternehmen daran zu hindern, vage Aussagen zu treffen. Behauptungen wie „aus ethisch einwandfreien, natürlichem Material hergestellt“ müssen laut Experten durch transparente Aussagen ersetzt werden wie „für das Obermaterial wird Leder von auf Kleinbauernhöfen in Thailand aufgezogenen Rindern verwendet“. Alte Gewohnheiten lassen sich aber nur schwer ablegen. Wir verwenden auch noch unbeabsichtigt Behauptungen, die wir nicht verwenden sollten. Auch wenn wir darauf bauen, Pioniere im Bereich des regenerativen Wirtschaftens zu sein, sind wir noch lange nicht am Ziel – deshalb auch das Wort Unfinished. Wir müssen noch nachhaltiger werden, und das können wir auch.

Wo lassen Sie produzieren und mit welchen Materialien?

Die meisten unserer Schuhe werden in Vietnam, ungefähr 20% in Portugal und in kleinen Produktionsstätten in China und Äthiopien hergestellt. In den dortigen Betrieben gibt es separate Bereiche, die nur für uns produzieren. Der Großteil des Leders kommt aus einer thailändischen Gerberei. Die Farmer leben im Mekongdelta. Wir stellen auf unserer Homepage fest, dass die Kunden dies mehr und mehr nachfragen. Wir haben zu 40% natürliche Rohstoffe und zu 60% Rohstoffe aus Polymeren. Hier streben wir an, dass wir bis spätestens 2030 zu 100% nur noch natürliche Rohstoffe bei 50% der Produktion oder 100% recycelte Polymere ebenfalls zu 50% in der Produktion bei unseren Schuhen zu verwenden.

Worin bestehen die Herausforderungen, um diese Ziele zu erreichen?

Es ist beispielsweise schwierig, Leder ohne den Einsatz von Schwermetallen zu gerben. Auch der Klebstoff für die Naturfasern enthält Chemie. Aber wir haben mit unserem Livebarefoot Fund einen internen Impact Hub, der missionsorientierte Innovations-, Forschungs- und Advocacy-Programme vermittelt. Wir haben Studenten in der ganzen Welt, wie an der Universität Liverpool, der Universität Gent oder der Universität Harvard, die zu diesen Themen forschen. Auf diese Weise ist auch ReVivo entstanden, der erste Sekundärmarkt für professionell wiederaufbereitete Schuhe, damit diese ein zweites Leben bekommen.

Sie sind in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich geworden. Gab oder gibt es Übernahmeangebote?

Ich bekomme nahezu jede Woche ein Angebot zum Verkauf des Unternehmens.

Würden Sie verkaufen?

Wir sind konsequent gegen einen Verkauf und wollen ein Familienunternehmen bleiben. Wir denken darüber nach, noch einmal 5% bis 10% der Anteile zu verkaufen, um Kapital für das weitere Wachstum zu generieren. Wir sehen, dass der Mittelstand in den USA und im UK immer mehr verschwindet. Deutschland ist ein gutes Beispiel für einen aktiven Mittelstand. Es sollten mehr Unternehmen im Familienbesitz bleiben. Ich jedenfalls freue mich über jeden Austausch mit einem Familienunternehmer.

Herr Clark, vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Informationen!


ZUR PERSON

Galahad Clark
Foto: © Vivobarefoot

Galahad Clark, 46, ist Schuhmacher in der siebten Generation. Als Gründer und Chief Ecosystem Officer (CEO) von Vivobarefoot sieht er sich als Pionier im Bereich des „regenerativen Wirtschaftens“. Galahad Clark und sein Cousin Asher Clark halten 75% der Anteile, 15% eine Schuhfabrik aus Taiwan, die restlichen 10% wurden im Rahmen eines Crowdfunding-Investments zusammen mit Aktienoptionen an die Mitarbeiter vergeben.

 

 

 


KURZPROFIL Vivobarefoot Ltd.

Leitung: Galahad Clark

Gründungsjahr: 2012

Branche: Schuhindustrie

Unternehmenssitz: London (UK)

Umsatz 2022: 88 Mio. EUR

Mitarbeiter: 400

Website: www.vivobarefoot.com

 

Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 4/2023 mit Schwerpunkt “Unternehmervermögen” erschienen. Zum E-Paper geht es hier. 

Autorenprofil
Torsten Holler

Der Wirtschaftsjournalist Torsten Holler schreibt seit 1987 regelmäßig für renommierte Wirtschaftsmedien über verschiedenste Themen.

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