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„M&A ist gerade in Krisenzeiten ein unverzichtbares Werkzeug“

Foto: © Michael Traitov_AdobeStock

Vom Handwerk kann man eine ganze Menge lernen. Das weiß der leitende M&A-Berater Andre Waßmann sehr gut aus eigener Erfahrung. Sein Vater – ein Maler und Lackierermeister – hatte ein Handwerksunternehmen, und von ihm hat er als Junge einige wichtige Dinge gelernt, die er heute in seiner alltäglichen Beratungsarbeit und in Kundenprojekten anwenden kann. Wir sprachen mit ihm darüber.

Unternehmeredition: Herr Waßmann, was hat das Handwerk mit den Themen M&A und Transformation im Mittelstand zu tun?

Andre Waßmann: Ich habe in dem Handwerk meines Vaters fünf Dinge gelernt, die heute in meiner alltäglichen Arbeit als M&A-Berater nutzbringend zum Einsatz kommen. Erstens, es gibt für fast jeden Fall ein Werkzeug, mit dem das Handwerk optimal umgesetzt werden kann. Dabei geht es beispielsweise um Fragen, welche Art von Spachtel verwendet werden oder welche Form der Pinsel haben soll, welcher Schraubenschlüssel passt, welches Mischverhältnis bei Farben erforderlich ist, ob der Phasenprüfer für die Elektrik dabei ist, Einflüsse wie Lichteinstrahlung, Feuchtigkeit und Temperaturen zu berücksichtigen sind etc. Man konnte also viele Fehler machen und glauben Sie mir, ich habe jeden einzelnen davon ausprobiert.

Dann hat mich mein Vater so an die Hand genommen und gesagt, „Men Jung“, jetzt mach dir mal ein Bild davon im Kopf, wie das ganze nachher aussehen soll. Er hat mir also gezeigt, wie wichtig es ist, ein Bild vom Endergebnis im Kopf zu haben. Wir nennen das heute in der Managementsprache Vision.

Drittens, strategische Planung ist essenziell. Die Frage war, wann ist der richtige Zeitpunkt für den Start der Arbeit oder des Projekts, beispielsweise auch im Zusammenhang mit anderen Gewerken, aber so, dass wir in zeitlicher und kostentechnischer Hinsicht und bei gleichzeitiger Übererfüllung der Kundenerwartungen das Projekt abschlossen.

Viertens, die Umsetzung der richtigen Prozessschritte in der richtigen Abfolge ist elementar, damit das Handwerk anschließend besonders gut gelingt und unsere Kunden sich daran maximal erfreuen. Welchen Teil streiche ich beispielsweise zuerst und wie arbeite ich mich vor, damit die Farbe optimal verteilt ist, ob ich in einer Wand stemmen kann, wieviel Material ich wie verarbeite und ich möglichst Fehler vermeide. Bei der Überprüfung, ob noch Saft auf einer Stromleitung liegt, ist die richtige Reihenfolge der Schritte sogar lebenswichtig.

Und fünftens – Optimismus. Mein Vater hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, optimistisch zu sein. Er blieb zumindest äußerlich bei all seinen Herausforderungen immer ruhig.

Und wie lässt sich das auf Ihren heutigen Arbeitsfokus übertragen?

Wenn Sie dieses Bild des Handwerks in der Form übertragen, dass ihr Unternehmen das Haus ist, die Herausforderungen alle äußeren Einflüsse auf Ihr Haus wie das Wetter, Kälte, Hitze und Sturm und der Bau der Prozess, dann ist M&A für Sie und Ihr Unternehmen, was das Handwerkszeug für den Hausbau, für die Renovierung oder Sanierung des Hauses ist. M&A ist dann eines von mehreren gleichwertigen Werkzeugen in einem großen unternehmerischen Werkzeugkasten.

Wenn man sich für das große Werkzeug M&A entschieden hat, kann man noch eine Ebene tiefer gehen und das richtige Werkzeug innerhalb eines M&A-Prozesses suchen. Jetzt kommt es darauf an, was für ein Problem ich vor mir habe. Wenn es beispielsweise um eine Finanzierungsrunde geht, dann werden Kandidaten gesucht, die weniger den strategischen Investitionsansatz, sondern ein Finanzinvestment tätigen wollen. Beim Komplettverkauf ist die Vorgehensweise anders: Hier brauchen Sie jemanden, der fest davon überzeugt ist, dass er das Unternehmen komplett übernehmen und integrieren möchte, um damit sein eigenes Unternehmen zu vergrößern. Im Unterschied zum Minderheitsinvestment brauche ich hier jemanden, der über Synergien nachdenkt. Ich setze hier also das Werkzeug „Auswahl der richtigen Bieteruniversen“ an.

Ein anderes Werkzeug ist die Entscheidung, wer die Verhandlung führt und welche Rollen (z.B. Verhandlungsführer und -unterstützer oder die gern gewählte Rollenverteilung Bad Cop vs. Good Cop) bei der Verhandlung eingenommen werden. Das ist unter anderem wichtig, um den Bieter von unserem Vorschlag zu überzeugen und unsere Maximalforderung durchzusetzen.

Ein weiteres Werkzeug stellt die Wahl des passenden Vertrags dar. Bei einer Finanzierungsrunde brauche ich ein Investmentagreement, beim Verkauf ein Share Purchase Agreement. Beide haben Ähnlichkeiten, erweisen sich aber im Detail als sehr unterschiedlich.

Kleiner Exkurs: Wie entwickelt sich der M&A-Markt?

Wenn man bis zum Anfang des Jahrtausends zurückblickt, so gab es ungefähr fünf bis sechs Krisen und immer sind die M&A-Zahlen vorübergehend zurückgegangen. Das gilt jedoch eher für die großen Projekte. Betrachten Sie die mittelständischen Deals mit Volumina von unter 500 Mio. EUR, dann sehen Sie, dass die Anzahl der Transaktionen im Jahr 2021 je nach Statistik zwischen 2.500 und 2.900 lag. Im Jahr 2022 ist die Anzahl jedoch weitgehend konstant geblieben und lediglich um circa 200 eingebrochen (weniger als 10%). Größere Transaktionen verzeichnen hingegen stärkere Einbrüche zwischen 20 und 36%. Sie haben dann oft einige große Landmark-Deals, die nicht stattfinden und damit das Volumen enorm beeinflussen. Projekte zwischen 50 Mio. und 500 Mio. EUR sind hingegen relativ krisenfest und halten einigermaßen durch.

Warum ist das so?

Weil man sich schon lange darüber Gedanken gemacht hat. Der Verkauf des Unternehmens erfolgt für einen mittelständischen Unternehmer oft nur einmal im Leben und ist ein Riesending. Es existiert eine klare Vorstellung davon, wo man hinwill. Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, wird die Transaktion sehr gut vorbereitet. M&A, richtig gemacht, hat eine lange Vorbereitungsphase, inklusive Strategie und Planung der Umsetzung. Hinzu kommt eine lange Umsetzungsphase. Die gesamte Durchlaufzeit kann damit sehr lang sein und muss Krisenphasen überstehen. Die Entscheidung für das richtige Werkzeug, die Entwicklung der Vision und das Aufschreiben des strategischen Plans kann zwölf Monate dauern.

Wenn dann plötzlich eine Krise kommt, wird das Vorhaben nicht einfach gestoppt. Diejenigen, die als Unternehmen langfristig und strategisch denken, gucken sich das an und dann ist es vielleicht eine Frage des Kaufpreises. Natürlich spricht man dann auch von einem Abschlag. Aber es geht nicht um das Prinzip. Es muss also nicht Gott gegeben sein, dass es in der Krise immer zu einem Einbruch bei den M&A-Zahlen kommt.

Wir bekommen mehr Anfragen denn je. Ich sehe bei unseren eigenen Zahlen keinen Einbruch. Es kommt auf die Vorgehensweise an. Ob Sie etwas verkaufen, weil es schlecht läuft, oder ob Sie etwas kaufen, weil Sie sich weiterentwickeln wollen. Sie haben noch immer einen Markt für M&A.

Halten Sie es also für falsch, in Krisenzeiten Vorhaben aus Angst aufzuschieben oder gar zu stoppen?

Gehen wir doch mal zurück zu unserem Bild mit dem Haus und dem herannahenden Sturm. Was machen Sie, wenn es draußen anfängt zu regnen oder der Wind anfängt zu pfeifen? Stoppen Sie die Renovierung oder Sanierung? NEIN! Sie richten ihre Prozessschritte entsprechend aus und planen drum herum, aber Sie werden alles tun, um vor dem nächsten stärkeren Sturm ihr Haus auf Vordermann gebracht zu haben.

Eine Veränderung kann nur erfolgreich auf Basis der oben beschriebenen fünf Erfolgsfaktoren gelingen – das große Ziel muss klar vor Augen sein und eine optimistische Grundhaltung sollte eingenommen werden. Das betrifft daher alle Entscheider. Der wesentliche Grund für die Entscheidung gegen M&A ist vor allem die Annahme schlechten Timings und – für das Beispiel einer Sell-side – die damit einhergehende Erwartungshaltung, einen zu geringen Kaufpreis für das verkaufte Unternehmen zu erhalten. Das Timing ist jedoch nur ein Aspekt, um einen attraktiven Kaufpreis zu erzielen. Sie können alle Kriterien in ihrer Ausprägung gestalten, nämlich die Qualität des Assets, die Qualität des Prozesses, die richtige Strategie, die richtige Einbindung ihrer Kontrollgremien und anderer wesentlicher Stakeholder, die Auswahl der richtigen Investoren beziehungsweise Käufer.

Wie lässt sich M&A über einen langen Zeitraum als strategisches Werkzeug nutzen?

Wir können M&A strategisch nutzen, indem wir uns auf Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit oder Digitalisierung fokussieren. Beispielsweise können wir uns durch Zukäufe günstig mit neuen Prozessen und Systemen versorgen und dadurch entlang der europäischen Regulatorik ESG konformer werden. Wir können zukaufen, um unsere Lieferketten zu flicken oder zu optimieren. Wir können zu einem guten Preis verkaufen, um uns auf unser Kerngeschäft zu fokussieren und Managementkapazitäten in deutlichem Umfang produktiver zu allokieren, auf Dinge, in denen wir richtig gut sind.

Können Sie uns ein paar Beispiele schildern, in denen M&A als strategisches Werkzeug in Krisenzeiten funktioniert hat?

Ein gutes Beispiel ist das Spezial-Chemie-Unternehmen IPOX. Sie haben sich in der Krise für den Verkauf an Bruno Bock entschieden und eine attraktive Bewertung erzielt. Das Unternehmen hat bereits vorher durch Innovation nachhaltige Produkte entwickelt, damit auf eines der wichtigen Zukunftsthemen gesetzt und sich somit krisenfest aufgestellt. Innovative Produkte, die das Geschäft beflügelten, die Nutzung der richtigen Gelegenheit, zum richtigen Zeitpunkt zu verkaufen, eine kluge M&A-Strategie und eine strukturierte, sauber geplante Umsetzung haben hier zum Erfolg geführt. Und das passiert Unternehmen, die sich auf Zukunftsthemen ausrichten, sich das richtige Werkzeug wählen, organisch für die Entwicklung dieses Geschäftsbereichs, anorganisch für den Verkauf des Unternehmens, und sich für die Transaktion auch noch das richtige Zeitfenster aussuchen. Besser kann man es nicht machen.

Ein anderes positives Beispiel ist der Automobilzulieferer Schäffler. Die haben sich im letzten Jahr ihre eigene Energieproduktion hinzugekauft. Mit dieser Diversifizierung sind ehrgeizige Ziele verbunden gewesen: Klimaneutralität über die gesamte Lieferkette bis 2040 und Dekarbonisierung um 10% bis 2025 und um 25% bis 2035. Das vorläufige Ergebnis ist, dass immerhin schon 2% der deutschen Standorte mit der Anlage versorgt werden können. Ich finde, das ist eine sehr kluge und mutige Entscheidung etwas zu kaufen, das gar nicht zum Kerngeschäft zählt. Das ist der Mut, den wir brauchen!

Erfolgreich in der Krise agiert hat beispielsweise auch Kion, ein MDAX-gelisteter weltweit führender Produzent von Flurförderfahrzeugen, Gabelstaplern, Automatisierungstechnologien und Softwarelösungen. Sie haben eine 20-prozentige Minderheitsbeteiligung an ifesca übernommen und eine strategische Partnerschaft mit ifesca geschlossen, die eine KI-basierte Softwarelösung für Energieverbrauchsplanung anbieten. Auf diese Weise hat man sich wertvolles Know-how für die eigene Weiterentwicklung ins Unternehmen geholt. Ein besonderer Vorteil dieses sogenannten Leapfroggings ist, dass man Innovationen viel schneller umsetzen kann, als wenn man sich die gewünschten Bereiche selbst aufbauen würde.

Wie sieht Ihre abschließende Empfehlung aus?

Schieben Sie wichtige Dinge nicht auf. Unsere große Reise heißt Transformation, eine Transformation, um unsere Vision, zu erreichen. Denken Sie nicht nur in Zeit und Rendite, denken Sie an Ihr langfristiges Ziel und wie und auf welchem Weg Sie diese Ziel erreichen wollen. Wir müssen wie oben gesehen das große Ganze im Blick haben, eine passende Strategie schreiben, die Prozesse effektiv planen und ohne Angst umsetzen, Dinge unterwegs taktisch richten und Kurs halten. Ich halte es für überholt, M&A als Instrument guter Zeiten zu sehen (wenn die Sonne scheint) und es in sogenannten schlechten Zeiten zu stoppen. Und wenn wir uns das so vor Augen führen, dann gibt es für M&A kein falsches Timing. Dann darf M&A in unserem Werkzeugkasten nicht fehlen.


ZUR PERSON

Foto: © Helbling

Andre Waßmann ist Mitglied der Geschäftsleitung und Head of M&A | Corporate Finance bei Helbling Business Advisors. Zudem ist er Managing Partner bei Corporate Finance International (CFI) dem M&A-Netzwerkpartner, zu dessen Gründungsmitgliedern Helbling Business Advisors zählt. Er hat mehr als zwanzig Jahre Erfahrung als M&A-, Corporate-Finance- und Strategie-Berater für mittelständische Kunden aus der Industrie sowie Banken, Versicherungen und Kapitalmärkte.

www.helbling.de

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