Karl Geiger: „Und dann fliege ich“

Interview mit Karl Geiger, deutscher Skispringer

Foto: © peplies consult

Karl Geiger ist einer der erfolgreichsten deutschen Skispringer. Wir haben mit dem 30-Jährigen aus Oberstdorf gesprochen.

Unternehmeredition: Herr Geiger, Sie haben bereits unzählige Medaillen gewonnen. Gibt es etwas, das Sie im Skisport noch erreichen möchten?

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Karl Geiger: Ich bin Leistungssportler durch und durch. Das bedeutet, das in mir Wille und Motivation besteht. Vor allem dominiert der Wille, persönliche Leistungsgrenzen zu verschieben, zu sehen, was aus einem selbst rauszuholen ist, durch Körperkraft und Technik. Konkrete Ziele stehen nicht so sehr im Vordergrund. Natürlich ist es ein deutscher Wunsch, die Vierschanzentournee zu gewinnen oder den Gesamtweltcup zu holen. Doch auf ein spezielles Event bin ich nicht fixiert. Ich möchte meine beste Leistung zur richtigen Zeit abrufen können und wenn alles zusammenpasst, ist es auch möglich, bei einem Highlight etwas zu gewinnen.

Es gibt im Sport immer auch Momente, in denen es mal nicht so gut läuft. Wie motivieren Sie sich, um durchzuhalten bzw. wie gehen Sie mit Rückschlägen um?

Zum Leistungssport gehört auch das Scheitern. Aber auch hier versuche ich mich nicht zu lange mit dem Scheitern selbst zu beschäftigen. Ich analysiere den Fehler, überlege mir einen Plan, wie ich das Problem lösen kann, und versuche den Rückschlag emotional nicht zu nahe an mich heranzulassen. Das funktioniert mal besser und mal schlechter, aber indem ich die Sache einordne und mir dann ein neues Ziel formuliere, habe ich in den vergangenen Jahren die besten Erfahrungen gemacht.

Welche Erfahrung/welches Ereignis Ihrer Laufbahn hat Sie am meisten geprägt?

Bei den olympischen Spielen in Pyeon Chang stand ich nach dem ersten Training auf der Großschanze mit dem Rücken zur Wand – es war nicht gut gelaufen. Am nächsten Tag sollte es ein internes Ausscheidungsspringen geben. Ich war schon bei einigen Großereignissen der sogenannte fünfte Mann. Ich wollte das hier nicht sein, ich wollte den Wettkampf! Also habe ich mich mental und physisch auf die Ausscheidung vorbereitet, von Minute zu Minute das Mindset hierfür aufgebaut. Das Ergebnis war, dass ich sehr gut sprang und das Ziel erreichte. Ich habe an diesem Ereignis gemerkt, dass man bewusst über sich hinauswachsen kann. Das war eine unglaubliche Erfahrung!

Auf der Schanze ist man auf sich allein gestellt. Welche Rolle spielt die Mannschaft für Sie?

Sicherlich springt man immer allein von der Schanze, aber das gesamte Setting ist sehr wichtig. Ich möchte sagen: ohne die Mannschaft geht gar nichts! Man ist auf engstem Raum zusammen, man reist zusammen, man isst miteinander, man trainiert miteinander… Wenn es da Unstimmigkeiten gäbe, hätte das Auswirkungen auf die Leistung. Deshalb bin ich froh, dass wir seit Jahren ein stimmiges Mannschaftsgefüge haben. Wir ziehen alle an einem Strang, Athleten, Trainer, andere Betreuer, wir haben alle das gleiche Ziel und sind, obwohl wir Einzelsport betreiben, Teil eines Ganzen. Wenn einer von uns, etwas erreicht, freuen wir uns alle.

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Wie fühlt sich der Moment kurz vor dem Absprung an?

Man könnte meinen, das sei alles Routine, aber trotz aller Automatismen ist es immer wieder ein besonderer Moment, der die Aufmerksamkeit und Achtsamkeit benötigt. Vor dem Absprung ist der Kopf leer, ich bin fokussiert auf die Punkte, die ich ansteuern möchte, merke die Radiuskompression, bei der ich muskulär dagegenhalten muss und dann fliege ich.

In Ihrer Freizeit betreiben Sie das Gleitschirmfliegen. Ist Fliegen generell Ihre große Leidenschaft? Worin liegt für Sie der Zauber des Fliegens?

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Wir sind Menschen und wir leben auf dem Boden. Ich glaube, jeder Mensch hat so ein bisschen den Wunsch in sich, schweben, gleiten und fliegen zu können. Es ist ein Gefühl von Freiheit, das dabei im Vordergrund steht, sowohl beim Gleitschirmfliegen als auch beim Skispringen. Es funktioniert und es ist in dem Moment ein unglaubliches Gefühl.

Sie haben ein Studium der Energie- und Umwelttechnik als Bachelor of Engineering abgeschlossen. Warum und was haben Sie damit vor?

Nach dem Abitur war diese sportliche Karriere, wie ich sie dann erleben durfte, noch nicht absehbar. Ich wollte den Sport weiter versuchen, aber es war klar, dass ich mir darüber Gedanken machen musste, was ich tue, falls es mit dem Sport nicht klappt. Schule und Sport konnte ich parallel immer gut koordinieren, also dachte ich, dass dies mit Sport und Studium auch funktionieren würde. Da ich ein gutes mathematische Verständnis habe und gerne etwas im technischen Bereich machen wollte, habe ich mich für ein Ingenieursstudium entschieden. Diese Entscheidung habe ich bis heute nicht bereut!

Was machen Sie mit Ihren Preisgeldern? Haben Sie für uns ein paar Tipps für die Geldanlage?

Da bin ich glaube nicht der richtige Ratgeber. Ich bin ein sparsamer Mensch und in Geldangelegenheiten wohl konservativ. Meine Anlagen habe ich gestreut, um Risiken zu minimieren.

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Was genau planen Sie für die Zeit danach? Können Sie sich vorstellen, unternehmerisch tätig zu sein?

Meine Energie ist gegenwärtig vollkommen auf den Sport ausgerichtet. Gedanken über die Zeit nach dem Sport mache ich mir dann konkret, wenn es so weit ist. Bis dahin lasse ich mir meine Optionen offen. Ich kann mir grundsätzlich aber viele Richtungen vorstellen, auch im Unternehmertum.

Sehen Sie in Ihrem Sport Parallelen zum Unternehmertum? Was ließe sich aus Ihren Erfahrungen für einen Unternehmer ableiten?

Sport ist gut vergleichbar mit dem Unternehmertum in der freien Wirtschaft. Es geht um Leistung, Erfolge, es geht um Wege, auf denen Leistung erreichbar ist. Im Sport wie in der Wirtschaft geht es daher auch um die gleichen Grundtugenden: Verständnis für die Aufgabe, Disziplin, Motivation, die Fähigkeit, Rückschläge zu verarbeiten. Im Sport wie im Unternehmertum bin ich selbst an den Dingen und das eben ständig.


Kurzprofil

Geboren: 11. Februar 1993 in Oberstdorf, verheiratet eine Tochter

Beruf: Skispringer

Hobbys: Gleitschirmfliegen

Größte Erfolge:

  • Weltmeister im Skifliegen 2020 in Planica
  • Weltmeister im Mannschaftswettbewerb und im Mixed-Wettbewerb bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 2019
  • Silbermedaille im Mannschaftswettbewerb bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang
  • Zweiter auf der Normalschanze bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 2021 in Oberstdorf, Dritter auf der Großschanze und Weltmeister im Mixed-Team
  • Bei der Vierschanzentournee 2019/20 Dritter und 2020/21 Zweiter
  • Bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking Bronzemedaille im Einzelwettbewerb und Teamwettbewerb von der Großschanze
  • Bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften 2023 in Planica Bronzemedaille auf der Normalschanze und Gold im Mixed-Team

Webseite: www.karl-geiger.de

 

Der Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2023 erschienen.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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