„Im Versicherungsgeschäft wird eine Internationalisierung stattfinden“

Interview mit Florian Karle von SÜDVERS

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Der Versicherungsmarkt befindet sich im Umbruch. Das bekommt auch der international tätige Versicherungs- und Risikoexperte SÜDVERS zu spüren. Wir sprachen mit Florian Karle, der seit über 20 Jahren die Geschicke des Familienunternehmens gemeinsam mit seinem Vater Manfred Karle leitet, über aktuelle Herausforderungen der Internationalisierung und Digitalisierung sowie Besonderheiten der Buy-and-Build-Strategie. INTERVIEW EVA RATHGEBER

Unternehmeredition: Herr Karle, seit über zwanzig Jahren leiten Sie gemeinsam mit Ihrem Vater Manfred Karle die Geschicke von SÜDVERS. Wie ist die Unternehmensnachfolge gelaufen und was war ausschlaggebend für deren Erfolg?

Florian Karle leitet seit über 20 Jahren die Geschicke des Familienunternehmens SÜDVERS gemeinsam mit seinem Vater Manfred Karle; Foto: SÜDVERS

Florian Karle: Am 1. Oktober dieses Jahres bin ich 25 Jahre im Unternehmen tätig. Ich habe mit 16 Jahren beschlossen, dass ich die Nachfolge meines Vaters antreten werde, allerdings war es mir sehr wichtig, dabei meinen eigenen Weg zu beschreiten und nicht – wie ursprünglich vorgesehen – eine vorgezeichnete Laufbahn einzuschlagen, bestehend aus Abitur, Bundeswehr, Banklehre und BWL-Studium sowie zwei Jahren Auslandsaufenthalt. So habe ich nach meinem eigenen Willen ein BA-Studium bei einem Wettbewerber (RVM) absolviert. Danach kehrte ich für eine zweijährige Trainee-Station ins eigene Familienunternehmen zurück, wo ich 1998 zum Niederlassungsleiter in Freiburg und 2001 zum kaufmännischen Geschäftsführer ernannt wurde. Wichtig für den Erfolg unserer Nachfolgeregelung war, dass mein Vater und ich uns immer eigene Themenfelder gesucht haben. So konnten wir gut nebeneinander koexistieren. Während ich meinen Schwerpunkt auf Komposit, Finanzen und das internationale Geschäft legte, fokussierte er sich auf Leben, Bilanzen und nationale Belange. Dieses harmonische Nebeneinander zählt auch heute noch zu den größten Stärken unseres Hauses.

Unternehmeredition: Seit 2019 unterstützt Ralf Bender als CEO die weitere Entwicklung von SÜDVERS. Mit welchen Zielen wurde die Geschäftsführung erweitert?

Ralf Bender (links im Bild) ist seit September 2019 CEO von SÜDVERS und verantwortet das operative Geschäft;. Foto: SÜDVERS

Karle: Es gibt bei uns zwei Gesellschafter, das sind mein Vater und ich. Und der Gesellschafterausschuss entscheidet, wie sich das Haus weiterentwickelt. Darüber hinaus gibt es angestellte Manager, zu denen auch ich als Geschäftsführender Gesellschafter zähle. Wir haben dabei eine klare Aufgabenteilung: das gesamte operative Geschäft wird von Herrn Bender verantwortet. Ich selbst verantworte die strategische Weiterentwicklung des Hauses.
Wir hatten bereits seit der Jahrtausendwende immer mal wieder einen Fremdmanager. Das Fremdmanagement läuft bei uns unter der Überschrift „Professionalisierung des Hauses, Wachstum organisieren und Operationalisierungsmanagement“.  Wir werden Ende dieses Jahres 500 Mitarbeiter haben. Wenn wir so weiterwachsen, werden wir im Jahr 2029 ca. 800 Mitarbeiter sein und ein Prämienvolumen von 1 Mrd. EUR realisieren. Das ist dann schon eine recht große Hausnummer. Hier greifen wir gerne auf den Erfahrungsschatz von Herrn Bender zurück, der bereits größere Organisationen geführt hat. Die Hauptmotivation, sich auf ein Fremdmanagement einzulassen, war für mich und meinen Vater aber immer, die nötige Zeit zu gewinnen, um uns um die strategische Weiterentwicklung des Familienunternehmens kümmern zu können.

Unternehmeredition: Strategische Weiterentwicklung − das ist ein guter Stichpunkt. SÜDVERS hat in den vergangenen Jahren regelmäßig entlang strategischer Schwerpunktthemen in andere Maklerfirmen und neuerdings auch in digitale Start-ups investiert. Was sind die Gründe dafür?

Karle: Das ist richtig. Wir haben in unserer Historie eine Reihe von Unternehmen übernommen und dort die Nachfolgen geregelt. Mein erstes unternehmerisches Investment habe ich 2001 getätigt. Das war der Erwerb des Assekuranzmaklers Eiffe&Moos in Hamburg. 2003 wurde die SÜDVERS Kredit ausgegliedert, 2004 die Profion GmbH in München gegründet, 2006 IVM Kiefaber in Österreich gekauft und 2010 in KOBAN SÜDVERS eingebracht. 2014 haben wir den Versicherungsmakler FiMO in Sachsen, 2016 die hvv Hannoversche Versicherungsmakler GmbH und erst kürzlich in 2021 die PBG Pensions-Beratungs-Gesellschaft mbH übernommen.

Karles erster Zukauf war der Erwerb des Assekuranzmaklers Eiffe&Moos in Hamburg. Foto: iStock

Bei diesen Zukäufen haben wir immer die strategische Weiterentwicklung vor Augen. Die genauen Gründe können im Einzelnen variieren. Entweder geht es darum, neue Nischen für uns aufzutun oder unser Dienstleistungsportfolio mit Leistungen zu arrondieren, die wir bislang noch nicht im Angebot haben. Auch regional kann eine Expansion Sinn machen, und auch die Erweiterung des Teams um neue Fachkräfte spielt eine entscheidende Rolle.


Unternehmeredition:
Erst kürzlich haben Sie den bereits erwähnten Spezialisten für betriebliche Altersvorsorge und Zeitwertkonten PBG Pensions-Beratungs-Gesellschaft mbH übernommen. Können Sie uns anhand dieses Beispiels aufzeigen, wie Ihre Buy-and-Build-Strategie genau funktioniert?

Karle: Wie immer ergibt sich bei einem solchen Zukauf eine Win-win-Situation. Die PBG sucht für sich die Internationalisierung, welche wir bieten können. Sie betreuen nämlich aktuell schon große internationale Konzerngesellschaften. Die zentrale Frage, die sich hier stellt, ist, inwieweit man diese Leistungen auch global anbieten kann. Auf der anderen Seite lief bei SÜDVERS das nicht vermittlungsbezogene Geschäft mit der betrieblichen Altersvorsorge bislang über einen Kooperationspartner. Künftig hätten wir das gerne im eigenen Haus abgebildet. Die PBG verfügt über hochqualifizierte Spezialisten (u.a. Juristen und Mathematiker), die wir bei uns Stand heute gar nicht haben. Hierdurch ergeben sich vollkommen neue Chancen.

Ich bin überzeugt, dass sich die Durchführung der betrieblichen Altersversorgung, die versicherungsförmig begleitet wird, in Zukunft verändern wird. Der Garantiezins ist mittlerweile so weit abgesunken, dass die Kosten die Rendite verschlingt. Das geht so nicht mehr weiter. Die einzige Lösung liegt für mich darin, in den Aktienmarkt zu gehen, allerdings nicht im versicherungsförmigen Bereich, weil Versicherungen auf 30% Aktienquote limitiert sind und diese nicht ansatzweise ausschöpfen (<10% Aktienquote). Die Produkte werden meines Erachtens einen bankenähnlichen Charakter in Form von Trusts annehmen. Und die PBG kann das alles schon jetzt abbilden. Wir sind deshalb sehr euphorisch, unseren Kunden diese und weitere neuen Produkte schon bald weltweit anbieten zu können.

Unternehmeredition: Wie entwickelt sich das Unternehmen SÜDVERS in Kennzahlen ausgedrückt? Und welche Rolle spielen die Zukäufe dabei?

Karle: Wir sind in den letzten Jahren immer zweistellig gewachsen, im Durchschnitt um etwa 11,7 Prozent, und das auch während Corona. Davon sind immer zwischen sieben und neun Prozent reines organisches Wachstum und nur circa zwei bis drei Prozent Zukäufe.

Im Vordergrund unserer Strategie steht, dass wir uns in allem selbst weiterentwickeln und aus eigener Kraft wachsen wollen. Dabei sind wir ein sehr personalgetriebenes Unternehmen. Wir suchen in diesem Jahr beispielsweise 50 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im eigenen Haus, ganz ohne Zukäufe. Zukäufe nehmen wir dann noch mit hinzu. Sie helfen uns, unser Wachstum zu beschleunigen.

Unternehmeredition: Jedes Jahr zweistellige Wachstumsraten – worin liegen die entscheidenden Erfolgsfaktoren?

Karle: Das Familienunternehmen mit geregelter Nachfolge ist sicherlich der Nukleus von allem, also dass die Stabilität des Hauses auf Dauer ausgelegt ist. Außerdem sind wir schuldenfrei. Wir kaufen nur, was wir uns selbst leisten können und investieren nur in Dinge, in denen wir einen Sinn sehen. Wir wollen keine Fremdverbindlichkeiten und keine Schulden aufbauen. Sowohl bei Versicherern, als auch bei den Kunden hinterlassen wir einen authentischen Eindruck nach dem Motto: „We do what we say.“

Unternehmeredition: Wie beurteilen Sie den Versicherungsmarkt aktuell und welche Auswirkungen ergeben sich für Ihr Geschäft?

Karle: Die Preise ziehen an und die Kapazitäten gehen zurück. Das versicherungstechnische Geschäft ist schon eine ganze Weile defizitär. Das heißt, die Einnahmen des Risikoträgers reichen nicht aus, um die Schäden zu bezahlen. Gleichzeitig ist das Ausgleichsgeschäft dazu, nämlich der Kapitalmarkt, so abgesunken, dass kein Ausgleich mehr stattfinden kann. Sprich: Man kann das Geld nicht mehr über Zinsen oder Kapitalanlage reinholen. Daraus folgt, dass sich der Risikoträger auf sein Kerngeschäft besinnen und sich sein Geld wieder über Versicherungen verdienen muss.

Die Internationalisierung des Versicherungsmarktes schreitet weiter voran. Foto: iSTock

Jetzt wird natürlich weltweit nach besseren Preisen Ausschau gehalten. Unser Vermittlungseinsatz ist dabei sehr gefragt. Wir haben wesentlich mehr als früher damit zu tun, für den Kunden zu verhandeln und die richtigen Märkte zu finden. Bislang wickeln wir 99,9% des deutschen Geschäftes in Deutschland ab mit internationalen, aber deutschansässigen Risikoträgern und mit deutschsprachigen Policen. Deutschland ist der drittgrößte Versicherungsmarkt der Welt und bisher ging das alles auch auf. Aber jetzt sind die Preise so gestiegen, dass wir in Zukunft auch über unsere Landesgrenzen hinausschauen müssen. Eine solche Internationalisierung wird stattfinden, davon sind wir überzeugt.

Unternehmeredition: Wie stark sind Sie derzeit im Ausland aufgestellt?

Karle: Wir sind international seit Jahrzehnten sehr breit aufgestellt und Mitgründer von WBN – Worldwide Broker Network, dem größten unabhängigen Maklerverbund weltweit. Wenn die Fusion von Willis Tower Watson mit Aon klappt, dann sind wir mit unserem eigenen Netzwerk der drittgrößte Maklerverbund weltweit. Wir sind mit WBN in über 100 Ländern der Welt aktiv, erwirtschaften gemeinsam über 60 Mrd. USD Prämienvolumen. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir Policen in jedem Land selbst platzieren, sondern wir lassen diese in der Regel über die Unternehmen im Netzwerk platzieren.

Schwenken wir einmal in die Welt der Kreditversicherung. Die findet aktuell noch sehr national statt. Auch die Altersversorgung ist nach wie vor national geregelt. Und auch da wird es unserer Einschätzung nach eine Internationalisierung sowie Globalisierung geben, für die wir uns jetzt schon positionieren. Das ist auch ein Grund für die Übernahmen von PBG und Profion.

Unternehmeredition: Ihre Buy-and-Build-Strategie erstreckt sich inzwischen nicht mehr nur auf andere Maklerunternehmen, sondern auch auf Start-ups. Inwieweit können Familienunternehmen wie SÜDVERS von einem Zusammenschluss mit einem Start-up profitieren?

Karle: Ich werde den ganzen Tag gefragt, warum es uns überhaupt noch gibt, wenn im Versicherungswesen doch die Digitalisierung stattfindet. Und natürlich ist es sehr wichtig, das eigene Geschäftsmodell immer zu hinterfragen. Die Versicherungsbranche ist nach wie vor vollkommen papiergesteuert. Wir prüfen jede Klausel noch mit der Hand und sind meilenweit entfernt von irgendwelchen disruptiven Digitalisierungsansätzen.

Ich sage immer, je mehr Digitalisierung wir haben, desto mehr wünscht sich der Kunde eine persönliche Ansprache. Stellen Sie sich einmal vor, Sie stehen knietief im Wasser, wählen die Schadensnummer und eine elektronische Stimme sagt, dass sie die 1 wählen sollen, wenn der Schaden kleiner als 500 EUR ist. So etwas ist doch undenkbar. Neugeschäft, Bestandsgeschäft und Schaden – dafür braucht es nun mal die persönliche Ansprache.

Was wir aktuell suchen, sind Insurtechs und Fintechs, die uns mit ihren disruptiven Ansätzen helfen, unser Geschäftsmodell zu verbessern, und zwar mit einer Digitalisierung der Prozesse hintendran zur Erleichterung des operativen Geschäfts. Wir haben uns dafür bereits über 200 Start-ups angeschaut. Die meisten starten mit B to C. Eine Hausratversicherung über Handy oder Reisegepäckversicherung über iPad abzuschließen – das entspricht aber nicht unserem Geschäftsmodell. Wir suchen Unternehmen, die uns die Schnittstelle zum Versicherer in einer Dunkelverarbeitung liefern.

Unternehmeredition: In welche digitalen Start-ups wurde bereits investiert?

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Karle: Wir haben über zwei VC-Fonds und einen PE-Fonds investiert, und wir sind direkt in das digitale Start-up Ninebarc in Berlin investiert, das sich mit digitaler Nachlassverwaltung beschäftigt. Jüngst haben wir noch in ein amerikanisches Insurtech investiert, das gerade diese kleineren disruptiven Themen für das Gewerbegeschäft abdeckt. Außerdem gründen wir gerade ein eigenes Start-up zur Entwicklung eines eigenen Produkts, um zu lernen, wie dieser Markt überhaupt funktioniert und Ideen zu entwickeln. Ergänzend dazu gründen wir gerade einen Tech Venture Fonds in Europa, bei dem wir etwas breiter gehen und uns nicht nur auf Deutschland fokussieren.

Unternehmeredition: Wie weit wollen Sie denn in Richtung Digitalisierung gehen?

Karle: Wir sind hochdigital in der Außenwirkung. Sie bekommen weltweit jeden Versicherungsvertrag digital angezeigt, aber die Verarbeitung hintendran und die Schnittstelle zum Risikoträger läuft noch ausschließlich analog ab. Da kann also ganz viel passieren. Da darf der Schalter gerne um 180 Grad umgelegt werden. Allerdings müssen Sie den erst einmal finden. Das ist noch ein langer Weg für alle Beteiligten. An sich gilt für uns: „The sky is the limit.“ Es sind überhaupt keine Grenzen gesetzt.

Unternehmeredition: Gibt es Wettbewerber, die Ihnen in Sachen Digitalisierung voraus sind?

Karle: Nicht, dass ich wüsste. Wir sind schon ganz weit vorne. Ich glaube zwar nicht, dass die Großen alles verschlafen. Aber es gibt für uns schon lange keine Vorbilder mehr.

Unternehmeredition: Haben Sie eine Vision für den digitalen Workflow der Zukunft?

Karle: Ich stelle mir das alles ziemlich dunkel vor. Die Risikoerfassung des Kunden erfolgt einmal in einem digitalen Fragebogen. Dann erfolgt daraus die Angebotsfindung für den Kunden, und aus diesem Angebotsprozess kommt der Deckungsauftrag des Kunden. Alles dunkel. Dann wird dieser Deckungsauftrag an den Risikoträger geschickt oder geht in die Eigenpolicierung. Anschließend wird die Police digital erstellt. Das Ganze erfolgt in einem Ablauf von maximal einer Woche. Sie gewinnen dadurch enorm an Geschwindigkeit und Präzision. So stelle ich mir das vor. Das ist keine Rocket Science. Das kommt mit Sicherheit. Da bin ich mir ganz sicher.

Sehr geehrter Herr Karle, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.


ZUR PERSON

Florian Karle ist der Geschäftsführende Gesellschafter von SÜDVERS und führt das Unternehmen in zweiter Generation. Mit einem betreuten Prämienvolumen von über 480 Mio. Euro im Jahr 2020 gehört SÜDVERS zu den Top 10 Brokern der Branche. SÜDVERS ist der Versicherungs- und Risikoexperte für Mittelstand und Industrie, beschäftigt 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und verfügt über 18 Niederlassungen – neun in Deutschland, acht in Österreich und eine in der Schweiz. Unternehmenssitz ist Au bei Freiburg.


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Die Welt von SÜDVERS: SÜDVERS – Zukunft sichern – YouTube

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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