„Innovation muss einen Wert für den Kunden haben“

Ein Gespräch mit Daniel und Dr. Andreas Sennheiser, Co-CEOs, Sennheiser-Gruppe

Seit acht Jahrzehnten steht Sennheiser für exzellenten Klang, mutige Innovationen und unternehmerische Unabhängigkeit.
Produktion in Wedemark: Seit der Gründung 1945 entwickelt und produziert Sennheiser am Stammsitz bei Hannover Audiolösungen, die bis heute den Markenkern prägen. Foto: @ Sennheiser

Seit acht Jahrzehnten steht Sennheiser für exzellenten Klang, mutige Innovationen und unternehmerische Unabhängigkeit. 1945 von Fritz Sennheiser gegründet, entwickelte sich aus dem „Laboratorium Wennebostel“ eines der führenden Audiounternehmen der Welt. Zum 80-jährigen Jubiläum sprechen die Co-CEOs Daniel und Dr. Andreas Sennheiser über Rückschau und Aufbruch, die strategische Fokussierung auf den Profimarkt und die Chancen neuer Technologien – von KI bis immersivem Audio.

Unternehmeredition: Herr Dr. Andreas, Herr Daniel Sennheiser, Ihr Unternehmen feiert in diesem Jahr das 80. Jubiläum. Was verbinden Sie persönlich mit diesem Anlass?

Meilenstein der Audiowelt: 1957 entwickelte Sennheiser das erste drahtlose Mikrofon und 1968 den ersten offenen Kopfhörer − zwei Innovationen, die Klangaufnahme und
Wiedergabe nachhaltig verändert haben.    Foto: @ Sennheiser
Foto: @ Sennheiser

Dr. Andreas Sennheiser: Vor allem ist es eine Gelegenheit, auf die vielen Geschichten der letzten acht Jahrzehnte zurückzublicken. 80 Jahre können lang wirken oder kurz, je nachdem, was passiert. Bei uns waren es zahlreiche technologische Meilensteine: das erste drahtlose Mikrofon 1957, der erste offene Kopfhörer 1968, Innovationen im Filmgeschäft wie das Interferenzmikrofon – und aktuell Spectera, unsere jüngste Plattform. Dazwischen gab es aber auch Sackgassen, aus denen wir gelernt haben. Jede Herausforderung hat uns geformt.

Daniel Sennheiser: Für uns ist es eine Zäsur, die Dankbarkeit einschließt. Wir sind immer noch ein unabhängiges Familienunternehmen, mittlerweile in dritter Generation. Andreas und ich führen es gemeinsam mit Mut und hoffentlich auch Weitblick – und wir sind nur zwei von 2.200 Mitarbeitern, die weltweit für guten Klang sorgen.

Ein großer Wendepunkt war der Verkauf des Consumer-Geschäfts 2021. Seitdem konzentrieren Sie sich ausschließlich auf den professionellen Audiomarkt. Wie blicken Sie heute auf diese Entscheidung?

Foto: @ Sennheiser

Dr. Andreas Sennheiser: Sie war goldrichtig. Wir konnten Mittel und Organisation bündeln, die Innovationsgeschwindigkeit erhöhen und am Markt fokussierter auftreten. Zugleich haben wir uns wieder auf eine Welt konzentriert, statt zwei unterschiedlichen Logiken folgen zu müssen. Damit stehen unsere Differenzierungsmerkmale – Technologie, Zuverlässigkeit, Innovation und Klang – wieder voll im Mittelpunkt.

Daniel Sennheiser: Ergänzen möchte ich, dass wir sehr viel Zeit darauf verwendet haben, den passenden Partner für Consumer Audio zu finden. Mit Sonova haben wir jemanden, der die Marke in unserem Sinne weiterentwickelt. Für den Konsumenten selbst hat sich kaum etwas geändert – er merkt wahrscheinlich gar nicht, dass das Geschäft heute anders organisiert ist.

Sie haben auch durch Zukäufe Schlagzeilen gemacht. Welche Rolle spielen M&A-Prozesse in Ihrer Strategie?

Daniel Sennheiser: Wir betrachten das als Frage des „Make or Buy“. Manche Dinge entwickeln wir selbst; in anderen Bereichen ist es sinnvoll, gezielt zuzukaufen. Technologisch spannende Firmen sind für uns interessant, etwa Merging Technologies aus der Schweiz, die wir 2022 übernommen haben. Deren Expertise im Bereich Audio over IP und Digital-Analog-Wandler ist inzwischen ein wichtiger Teil unseres Portfolios. Oder SoundBase aus den USA – eine Softwarefirma mit einer starken Community von Audio Engineers, die Frequenzen koordinieren.

Dr. Andreas Sennheiser: Solche Akquisitionen geben uns nicht nur Technologie, sondern auch Zugang zu Communities. Am Times Square in New York etwa müssen viele Sender und Shows gleichzeitig ihre Frequenzen koordinieren, ohne sich zu stören. Über SoundBase sind wir mittendrin in dieser Welt und können Produkte noch näher am Kunden entwickeln. Und 2024 kam Show Code dazu, ein Softwarespezialist, mit dem wir SoundBase weiterentwickeln. Damit stärken wir unsere Position auch jenseits von klassischer Hardware.

Der Markt entwickelt sich rasant – Vernetzung, Software, KI. Welche Trends prägen Ihre Arbeit am stärksten?

Foto: @ Sennheiser

Dr. Andreas Sennheiser: Erstens Netzwerkfähigkeit: Produkte sind längst nicht mehr alleinstehend, sondern Teil größerer Systeme – etwa Konferenzmikrofone, die mit Kameras und Collaboration-Software wie Microsoft Teams kommunizieren. Zweitens „Ease of Use“: Hochkomplexe Technik muss einfach zu bedienen sein, weil weniger Fachpersonal verfügbar ist. Drittens KI: Für uns ist sie kein Selbstzweck, sondern ein Katalysator. In der Entwicklung steigert sie Produktivität, bei Produkten macht sie Systeme intelligenter. Ein Mikrofon, das erkennt, ob ein Mensch spricht oder ob eine Kaffeemaschine knarzt – und nur das Relevante überträgt –, zeigt das Potenzial.

Daniel Sennheiser: Entscheidend ist, dass KI nicht als Schlagwort gesehen wird, sondern am konkreten Kundennutzen gemessen wird – dann entfaltet sie enorme Kraft.

Wie behauptet man sich als Familienunternehmen in einem Markt, in dem Techgiganten dominieren?

Daniel Sennheiser: Indem wir wissen, wo unsere Stärken liegen – strategisch wie technologisch. Wir stellen uns immer die Frage: Entwickeln wir etwas selbst, kaufen wir es zu, oder ist vielleicht ein anderer Eigentümer für ein Segment besser geeignet, wie beim Consumer-Bereich? Diese unemotionale, datengetriebene Sichtweise und unsere Offenheit für Kooperationen helfen uns sehr.

Ihre Marke gilt weltweit als Ikone. Wie stellen Sie sicher, dass der Markenkern auch bei Veränderung und Wachstum erhalten bleibt?

Dr. Andreas Sennheiser: Wir wissen genau, wofür die Marke steht: Verlässlichkeit, Innovation und Audioerlebnisse, die Emotionen erzeugen. Verlässlichkeit bedeutet nicht nur, dass ein Mikrofon auf einer Bühne mit 80.000 Menschen garantiert funktioniert. Es bedeutet auch, dass wir als Organisation zuverlässig liefern – mit konservativer Supply-Chain-Strategie und hoher Fertigungstiefe. Innovation wiederum muss immer einen Wert für den Kunden haben. Und am Ende geht es darum, unvergessliche Klangerlebnisse zu schaffen.

Welche Erlebnisse wollen Sie den Kunden in naher Zukunft bieten?

Foto: @ Sennheiser

Daniel Sennheiser: Immersives Audio ist ein zentrales Feld. Wir hören als Menschen nicht in Kanälen, sondern im Raum. Mit unseren Technologien ermöglichen wir dieses natürliche Erleben – im Auto, bei Streamingdiensten, in Kinos. Automobilhersteller wie Cupra, Smart oder Morgan Motors integrieren unsere Systeme. Ziel sind Erlebnisse, die Gänsehaut erzeugen.

Wenn man an Sennheiser denkt, denkt man an große Konzerte und Musiklegenden auf der Bühne. Wie verändert sich dieses Umfeld – und welche Herausforderungen sehen Sie dabei?

Zuverlässige Funktechnik: Sennheiser Mikrofone sorgen auch bei Großveranstaltungen wie dem Glastonbury Festival 2025 für stabilen Klang. Foto: @ Sennheiser

Dr. Andreas Sennheiser: Die Reise begann im Fernsehen: 1957 haben wir das Kabel mit dem ersten drahtlosen Mikrofon eliminiert. Seitdem arbeiten Künstler wie Prince, die Scorpions, Adele, Beyoncé oder Ed Sheeran mit Funktechnik von Sennheiser. Die Herausforderungen sind heute andere: Die technologische Komplexität steigt, gleichzeitig schrumpft das verfügbare Frequenzspektrum. In einem Stadion mit 50.000 Handys muss unser Mikrofon trotzdem zuverlässig senden. Dazu kommt der Trend zu Ease of Use: Produktionen werden in wenigen Stunden auf- und abgebaut. Da muss alles sofort funktionieren.

Mit Spectera haben Sie gerade eine neue Wireless-Plattform eingeführt. Was macht sie aus?

Spectera ist das weltweit erste bidirektionale, drahtlose Breitbandsystem. Die Bodypacks
können gleichzeitig In-Ear-Monitor- und Mikrofon-/Line-Signale handhaben. Foto: @ Sennheiser

Daniel Sennheiser: Spectera ist ein Ökosystem, das den Standard im drahtlosen Audio neu setzt. Bisher gab es eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Sender und Empfänger. Heute reicht eine Rack-Einheit, um bis zu 64 Kanäle zu steuern – softwaredefiniert und flexibel. Für die Nutzer heißt das: weniger Hardware, weniger Aufwand, mehr Effizienz.

Dr. Andreas Sennheiser: Spectera ermöglicht zudem die gleichzeitige Übertragung von Audio- und Steuersignalen in Echtzeit und schafft Voraussetzungen für vernetzte Workflows in komplexen Produktionsumgebungen. Für uns ist es ein Quantensprung – vergleichbar mit der Einführung des ersten drahtlosen Mikrofons vor fast 70 Jahren.

Lassen Sie uns über Zahlen und Märkte sprechen. Wie hat sich das Geschäft zuletzt entwickelt?

Dr. Andreas Sennheiser: 2024 lag unser Umsatz bei 492,3 Mio. EUR, das EBIT bei 35,8 Mio. EUR. Insgesamt war es ein herausforderndes Jahr, mit einem Rückgang von 6,6 %. Aber wir haben in allen Regionen stabile Grundlagen. EMEA bleibt unser stärkster Markt, Deutschland ist sogar leicht gewachsen. In den USA hat uns das schwierige Konsumklima gebremst, während Asien – vor allem China und Indien – zugelegt hat.

Daniel Sennheiser: Besonders wichtig war, dass wir rund 10 % des Umsatzes in Forschung und Entwicklung sowie in nachhaltige Prozesse investiert haben. Innovation ist für uns keine Kür, sondern Pflicht – wir geben Jahr für Jahr überdurchschnittlich viel für F&E aus.

Viele Familienunternehmen nutzen heute externe Kapitalquellen für Wachstum. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Dr. Andreas Sennheiser: Unsere Unabhängigkeit ist für uns ein hohes Gut – auch im Interesse der Kunden. Deshalb finanzieren wir uns eigenständig und wollen das beibehalten. Partnerschaften sind möglich, aber die Eigenständigkeit steht nicht zur Disposition.

Wie blicken Sie auf die nächste Generation im Familienunternehmen?

Dr. Andreas Sennheiser: Sie ist noch jung. Wir führen sie langsam heran, damit sie versteht, dass Unternehmertum nicht nur „mit Rockstars abhängen“ bedeutet, sondern Verantwortung für Kunden und Mitarbeiter. Unser Ziel ist es, ein gesundes Unternehmen weiterzugeben – getragen von der gleichen Leidenschaft für Klang, die unser Großvater schon eingefordert hat.

Daniel Sennheiser: Unternehmer müssen rational sein, um die richtigen Entscheidungen zu treffen, und gleichzeitig emotional, um das alles auszuhalten und mit Leidenschaft zu füllen. Diese Kombination trägt uns – und hoffentlich auch unsere Mitarbeiter und Kunden.

Vielen Dank für das Gespräch!

👉 Dieses Interview ist auch in der Magazinausgabe der Unternehmeredition 3/2025 erschienen.

👉 Außerdem unbedingt reinhören in unsere aktuelle Podcastfolge vom Tech Talk der Unternehmeredition: www.unternehmeredition.de/techtalk


KURZPROFIL

Sennheiser electronic SE & Co. KG

Gründungsjahr: 1945

Branche: Audiotechnologie/professionelle Audiolösungen

Firmensitz: Wedemark (bei Hannover)

Beschäftigte: circa 2.200

Umsatz: 492,3 Mio. EUR (2024)

www.sennheiser.com


ZU DEN INTERVIEWPARTNERN

Dr. Andreas Sennheiser (Jg. 1974) promovierte nach dem Studium der Betriebs- und Produktionswissenschaften des Maschinenbaus an der ETH Zürich und sammelte internationale Erfahrung in der Industrie. 2010 trat er ins Familienunternehmen ein. Seit 2013 führt er gemeinsam mit seinem Bruder Daniel als Co-CEO die Sennheiser-Gruppe.

Daniel Sennheiser (Jg. 1973) studierte Produktdesign am Art Center College of Design im schweizerischen La-Tour-de-Peilz und in den USA. Nach Stationen in Markenführung und Design – unter anderem bei Procter & Gamble und in Kommunikationsagenturen – kam er 2008 zu Sennheiser. 2013 übernahm er gemeinsam mit seinem Bruder die Rolle des Co-CEO und prägt seither zusammen mit ihm die strategische Entwicklung des Unternehmens.

www.sennheiser.com

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen.

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