Deutschland hat im Kern kein Gerechtigkeitsproblem. Das zeigt eine neue Studie der Stiftung Familienunternehmen. Hinter den skandinavischen Wohlfahrtstaaten, Benelux und Österreich landet Deutschland auf Platz 10 von 34 untersuchten Staaten. Vor allem bei der Dimension Bedarfsgerechtigkeit und Generationengerechtigkeit hat die Bundesrepublik hervorragende Werte. Bei der Chancengerechtigkeit besteht dagegen Nachholbedarf.
Methodik der Studie: Internationale Daten und Umfrage
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat den Internationalen Gerechtigkeitsindex mit Zahlen der OECD, der Weltbank und Eurostat ermittelt, und zwar anhand von 43 Indikatoren. Dazu trat eine eigens durchgeführte repräsentative Umfrage bei 3300 Menschen.
Mit der Umfrage hat das Forscherteam ermittelt, welche Formen von Gerechtigkeit der Bevölkerung in Deutschland besonders wichtig sind. An erster Stelle landete die Regelgerechtigkeit mit 87 Prozent Zustimmung, also gleiche Regeln und Rechte für alle. Gerade die Beispiele staatlicher Willkür oder Vetternwirtschaft, wie sie derzeit aus vielen Staaten gemeldet werden (auch aus befreundeten), scheint die Menschen zu erschrecken. Jobs, Bildung oder Wohnungen nur für Verwandte von Autokraten oder Oligarchen – so möchte in Deutschland niemand leben.
Verteilungsgerechtigkeit weniger entscheidend
Die Verteilungsgerechtigkeit kam in der Umfrage nach ihrer Bedeutung nur auf Platz sechs. Dem Satz „Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Einkommen und Vermögen möglichst gleich verteilt sind“ stimmte lediglich knapp die Hälfte der Befragten zu. 74 Prozent Zustimmung bekam dagegen der Satz: „Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Personen, die im Beruf viel leisten, mehr verdienen als andere.“
Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit im internationalen Vergleich
Die Studie zeigt: Bei der Einkommensgerechtigkeit bewegt sich Deutschland stabil im Mittelfeld. Bezieht man die verfügbaren Daten zur Vermögensverteilung in diese Dimension mit ein (dies geschieht für das Jahr 2022), so rutscht Deutschland bei der kombinierten Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit von Rang 21 auf Rang 24. Am zehnten Rang im internationalen Gesamtindex ändert sich trotzdem nichts. Ähnlich wie etwa in Schweden gilt: Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Struktur bietet für viele Menschen eine hohe Lebensqualität – trotz bestehender Vermögensunterschiede.
Politische Empfehlungen für mehr Gerechtigkeit
Dennoch sollte die Politik sich nicht zurücklehnen, so das Forscherteam des IW: Bildung sei der Schlüssel zu beruflichem Erfolg und gerechter Einkommensverteilung, weshalb das Angebot verbessert werden müsse. Der Ausgleich der kalten Progression im Steuersystem sowie Anreize für Mehrarbeit und privaten Vermögensaufbau könnten die Gerechtigkeit bei Einkommen und Vermögen verbessern. Für Transferleistungen müsse stets das Lohnabstandsgebot gelten. Überschießende verteilungspolitische Maßnahmen lähmten das Wirtschaftswachstum und erzeugten Widersprüche zu anderen gleichwertigen Gerechtigkeitsnormen.
„Es ist gut, von Wissenschaftlern zu hören, dass es in Deutschland im Kern gerecht zugeht”, kommentierte Prof. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen die Ergebnisse. Dies sei auch für den gesellschaftlichen Frieden essenziell. Dafür stünden unsere soziale Marktwirtschaft und der Rechtsstaat. Eine gewisse Ungleichheit auf dem Feld der Einkommens- und Vermögensverteilung sei jedoch per se nicht negativ, sondern liefere notwendige Anreize, mehr zu leisten und sich weiterzubilden. Ohne diese Anreize könne eine Volkswirtschaft nicht prosperieren und wäre auch nicht leistungsgerecht, so Kirchdörfer.