Die Charaktereigenschaft „Gewissenhaftigkeit“ stellt nach Untersuchungen von Dr. Petrik Runst (Thünen-Institut) und Dr. Jörg Thomä (ifh Göttingen) eine gute Voraussetzung für die Aufnahme einer Selbstständigkeit im Handwerk dar. Sie empfehlen daher, diesen Aspekt bei Angeboten der Berufsorientierung und bei der Gründungsberatung im Blick zu behalten. Dies zeigt der Beitrag „Handwerkliches Unternehmertum: Ein neuer Blick auf die Rolle des Big-Five-Merkmals ‚Gewissenhaftigkeit'“, der in der Policy Brief-Reihe von Forschungsnetzwerk Entrepreneurship, Innovation und Mittelstand e.V. und IfM Bonn erschienen ist. Der Beitrag beschreibt am Beispiel der Selbstständigkeit im Handwerk neue Erkenntnisse zur Rolle des Big-Five-Merkmals „Gewissenhaftigkeit“. Im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen zeigt sich nur in der Handwerkswirtschaft ein Zusammenhang zwischen dieser Persönlichkeitseigenschaft und unternehmerischem Handeln. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer berufs- oder sektorspezifischen Analyse von Persönlichkeitseffekten auf Unternehmertum.
Neuer Blick auf die Rolle des Big-Five-Merkmals „Gewissenhaftigkeit
Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und Unternehmertum sei bereits vielfach untersucht worden (z.B. Brandstätter 2011; Caliendo et al. 2014). Hierbei habe sich wiederholt bestätigt, dass Big-Five-Merkmale wie Offenheit und Extraversion sowie konkretere Eigenschaften wie Kontrollüberzeugung und Risikobereitschaft Gründungsentscheidungen positiv beeinflussen.
Demgegenüber könnte die Big-Five-Eigenschaft „Gewissenhaftigkeit“ zum einen positiv wirken, da sie im Zusammenhang mit Zielstrebigkeit und Selbstdisziplin steht. Sie könnte die Gründungswahrscheinlichkeit aber auch verringern, wenn damit übertriebener Perfektionismus und zu starkes Festhalten an bewährten Routinen einhergehen würden. Dies erkläre, warum die empirische Evidenz hierzu alles andere als eindeutig sei (vgl. z. B. Brandstätter 2011; Runst & Thomä 2023). Eine mögliche Erklärung sei, dass sich der Einfluss von Persönlichkeit auf unternehmerische Entscheidungen je nach Wirtschaftsbereich oder Berufsgruppe unterschiedlich darstelle – anders also als in der Literatur bislang angenommen. Vor diesem Hintergrund werfen Runst & Thomä (2025) einen neuen Blick auf die Rolle des Persönlichkeitsmerkmals „Gewissenhaftigkeit“ am Beispiel der Selbstständigkeit im Handwerk.
Der „Crafts Entrepreneur“ in der Theorie
Gemäß etablierter Typologie stelle der „Crafts Entrepreneur“ einen eigenständigen Unternehmertyp dar, der eng mit handwerklich geprägter Tätigkeit verknüpft sei (z.B. Miner et al. 1992; Solomon & Mathias 2020). Dessen Motivation für die Ausübung der Selbstständigkeit sei demnach nicht ausschließlich wirtschaftlicher Erfolg oder der Aufbau einer Unternehmensorganisation. Wichtiger sei oft der Wunsch nach Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Freude am eigenen (handwerklichen) Tun oder auch persönliche Ziele wie der Erwerb fachlich-technischer Könnerschaft und die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung von Produkten und Prozessen. Innovationen würden dabei inkrementell im Betriebsalltag durch kundennahe Problemlösungen entstehen, während radikale Neuerungen oder Marktumwälzungen die Ausnahme wären.
Unternehmertypologische Einordnung

Der „Crafts Entrepreneur“ handle dabei meist reaktiv mit kurzem Planungshorizont. Administrative und verwaltende Aufgaben würden als notwendiges Übel gelten, da sie vom eigentlichen Tun ablenken. Marketing wird selten systematisch betrieben und konzentriere sich, wenn vorhanden, auf Qualität und Reputation. Die meist kleinen Betriebe zeichnen sich durch hohe persönliche Identifikation und familiäre Prägung aus, was zu ihrer langfristigen Stabilität beitrage. Es würden bewährte Routinen und etablierte Geschäftsmodelle dominieren. So werde unternehmerisches Risiko minimiert. Der „Crafts Entrepreneur“ stehe somit für eine Form des Unternehmertums, die stärker auf Beständigkeit, fachlich-technisches Können und persönliche Erfüllung ausgerichtet sei. Er grenze sich damit von wachstums- und gewinnorientierten Unternehmerformen ab. Als Unternehmertyp sei der „Crafts Entrepreneur“ zwar prinzipiell in allen Wirtschafts- und Berufsbereichen anzutreffen, dürfte jedoch besonders typisch für das Handwerk sein.
Gewissenhaftigkeit und Unternehmertum
Gewissenhaftigkeit sei ein Persönlichkeitsmerkmal, das Eigenschaften wie Leistungsstreben, Selbstdisziplin, Sorgfalt und Pflichtbewusstsein umfasse. All dies sind Faktoren, die im Rahmen einer unternehmerischen Tätigkeit von Vorteil sein können. Besonders relevant seien dabei Aspekte wie Ausdauer, Arbeitsmotivation und Zielorientierung. Da Menschen tendenziell Berufe wählen würden, die zu ihrer Persönlichkeit passen, kann angenommen werden, dass sich gewissenhafte Personen zum Unternehmertum hingezogen fühlen würden. Andererseits würden sehr gewissenhafte Menschen zu übertriebenem Perfektionismus neigen und hätten ein starkes Bedürfnis nach Stabilität und klaren, bewährten Routinen. Deshalb würden sie die mit einer Selbstständigkeit verbundenen Unsicherheiten und Unvorhersehbarkeiten meiden und sicherere berufliche Wege einschlagen könnten.
Gerade im Handwerk kann es sich noch einmal anders darstellen: Personen mit hoher Gewissenhaftigkeit würden nach Arbeitsumgebungen streben, in denen sie persönliche Kontrolle über die Ergebnisse ihres Tuns haben, das Risiko des Scheiterns moderat ist und sie zeitnahes Feedback über ihre Leistung erhalten. Dies stehe im Einklang mit dem „Crafts Entrepreneur“-Typ. Gleiches gelte für den Umstand, dass sich Gewissenhaftigkeit positiv auf die kontinuierliche Ausübung und Perfektionierung beruflicher Fähigkeiten auswirke. Der Wunsch, ein erlerntes Handwerk selbstbestimmt auszuüben, sowie das Streben nach persönlicher Könnerschaft in diesem Bereich würde ein hohes Maß an Genauigkeit, Qualität und Sorgfalt im fachlichtechnischen Tun erfordern – typische Merkmale sowohl gewissenhafter Personen als auch des „Craft Entrepreneurs“. Gewissenhaftigkeit und handwerkliches Unternehmertum sollten also positiv miteinander verbunden sein.
Empirische Ergebnisse zum Handwerk
Basierend auf dem Sozio-oekonomischen Panel für die Jahre 2005 bis 2019 würden die Ergebnisse von Runst & Thomä (2025) zunächst die bekannte Wirkung von Extraversion, Offenheit, Kontrollüberzeugung und Risikobereitschaft bestätigen. Diese würden sich sowohl in handwerklichen als auch in nicht-handwerklichen Berufen positiv auf Gründungsentscheidungen auswirken. Die Analyse basiere auf einer Reihe von Regressionsmodellen (multinominales Logit, Random-Effects-Modell, ordinales Logit), wobei verschiedene Indikatoren für Selbstständigkeit und den diesbezüglichen Erfolg zum Einsatz kommen. In den Hauptspezifikationen liege die Stichprobengröße im Bereich von N = 100.000. Tatsächlich lasse sich nur im Handwerk ein konsequent positiver Effekt von „Gewissenhaftigkeit“ auf die Selbstständigkeit beobachten. Die Analyse zeige auch, dass dabei ein Zusammenhang zur Unternehmensgröße bestehe. Denn der Gewissenhaftigkeit-Effekt sei insbesondere im Segment der handwerklichen Ein-Personen-Unternehmen stark ausgeprägt. Handwerksunternehmer/-innen mit höheren Gewissenhaftigkeitswerten würden also wie erwartet eine geringere Wachstumsorientierung zeigen. Gleichzeitig bestehe vor allem bei Selbstständigen im Handwerk ein positiver Zusammenhang zwischen Gewissenhaftigkeit und dem Grad der Arbeitszufriedenheit. Dies stütze ebenfalls die „Crafts Entrepreneur“-Typologie, wonach entsprechende Personen eher auf Selbsterfüllung im eigenen fachlich-technischen Tun als auf Unternehmenswachstum aus seien.
Implikationen
Persönlichkeit beeinflusse Unternehmertum folglich je nach Wirtschafts- und Berufsbereich auf unterschiedliche Weise. Gründungsberatung und Berufsorientierung könnten daher gezielter auf die jeweils relevanten Persönlichkeitsmerkmale abgestimmt werden – etwa indem man gewissenhafte, nach Selbstverwirklichung strebende Menschen für eine Selbstständigkeit im Handwerk begeistern würde. In der Entrepreneurship-Forschung sollte künftig stärker zwischen allgemeinen und spezifisch auftretenden Persönlichkeitswirkungen unterschieden werden. Dabei würden weitere Differenzierungskriterien wie Geschlecht, kultureller Hintergrund oder Region herangezogen werden können.
Dr. Petrik Runst forscht am Thünen-Institut. Dr. Jörg Thomä ist am ifh Göttingen tätig.





