Gerichte entscheiden unterschiedlich über Ladenschließungen

Ladenschließungen
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Während sich das Land gegen die fünfte Welle der Coronapandemie wappnet, sind viele Gerichte noch mit der Aufarbeitung der staatlichen Maßnahmen gegen die zweite und dritte Welle beschäftigt. Während im Frühjahr 2020 ein beinahe kompletter Lockdown das öffentliche Leben lahmlegte, erfolgte bei den folgenden Coronawellen eine Unterscheidung bei den Schließungsanordnungen und anderen Beschränkungen.

Manche Geschäfte durften öffnen – andere nicht. Und diese Regelungen waren oftmals in den Bundesländern unterschiedlich. So war es nicht weiter verwunderlich, dass sich Verbände und auch größere Firmen zum Gang vor ein Gericht entschlossen. Einige gingen dabei sogar noch einen Schritt weiter und zogen vor das Bundesverfassungsgericht.

Was ist „täglicher Bedarf“?

Im Wesentlichen geht es bei den meisten Klagen um die Frage der Gleichbehandlung – also warum das eine Geschäft öffnen darf und das andere wieder nicht. Zudem finden es viele Betreiber von Fachgeschäften ungerecht, dass große Supermärkte ein Vollsortiment anbieten können – beispielsweise Schreibwaren oder Elektroartikel – während die entsprechenden Fachgeschäfte geschlossen bleiben müssen. Auch die Frage einer Definition, was „Dinge des täglichen Bedarfs sind“, beschäftigt inzwischen die Justiz im Zuge der Auseinandersetzungen um die Coronaregeln. Dabei geht es sowohl um die nachträgliche Betrachtung der Schließungsmaßnahmen als auch aktuell um die Zugangsbeschränkungen für ungeimpfte Menschen (2G und 2G+ -Regeln).

Flickenteppich an Entscheidungen

Nach Ansicht des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes dienen Bekleidungsgeschäfte der „Deckung des täglichen Bedarfs“ und seien daher von den 2G-Regelungen auszunehmen.  Zu dieser Kategorie gehören in der entsprechenden Verordnung in Bayern übrigens auch Bücher, Schnittblumen und Gartengeräte. Ende des vergangenen Jahres hatte dieses Gericht auch Spielwaren zum „täglichen Bedarf“ erklärt und damit die entsprechenden Geschäfte von der 2G-Regel ausgenommen. In Berlin hingegen entscheid das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass Bekleidungsgeschäfte nicht von der 2G-Regelung ausgenommen werden dürfen. Ähnlich sieht das auch das Oberverwaltungsgericht Saarlouis – und gab trotzdem der Kette Woolworth recht und gestattete im Saarland eine Ausnahme von der 2G-Regelung.

Verfassungsgericht hat noch nicht entschieden

Michael Schmittmann, Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek

Beim Bundesverfassungsgericht sind auch viele Beschwerden anhängig. Zum Ende des Jahres gab es zwei Entscheidungen, bei denen viele staatliche Eingriffe als zulässig bewertet wurden. Bei den insgesamt 13 Beschwerden von Einzelhändlern liegen bisher aber noch keine Entscheidungen vor. Aber es stellt sich schon die Frage, ob die ersten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ein Fingerzeig für kommende Urteile sind. „Wir sind weiter guter Dinge und sehen die Lage optimistisch“ erklärt Michael Schmittmann, Partner bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek, der viele der Beschwerdeführer zusammen mit den Kollegen Michael Below und Professor Josef Franz Lindner, Verfassungsrechtler an der Universität Augsburg, betreut. Bei den aktuellen Entscheidungen sei es um Schulschließungen und die Ausgangsperren gegangen – die konkreten Fragen der Händler seien noch nicht behandelt worden. Das Gericht hat nach Schmittmanns Ansicht schon dargelegt, dass der Staat einen großen Ermessenspielraum beim Erlassen von Maßnahmen hat, auch wenn die Effekte nicht wissenschaftlich bewiesen sind. Allerdings sei die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht geklärt. Und dies sei aber der wesentliche Ansatzpunkt der noch anhängigen Klagen.

Weitere Klagen anhängig

Auf dem Schreibtisch von Schmittmann und seinen Kollegen liegt auch noch eine große Zahl von Normenkontrollanträgen aus dem Jahr 2020. Hier geht es um die Schließungen der Geschäfte zum Jahresende vor der sich anbahnenden zweiten Welle der Coronapandemie. Viele Betriebe mussten schließen und wurden um die Einnahmen aus dem Weihnachtsgeschäft gebracht. Bei diesen Klagen soll nach Schmittmanns Meinung der komplette Weg durch die Instanzen beschritten werden. Nur auf diese Weise lassen sich dann anschließend Ansprüche auf Entschädigung durchsetzen – und darum geht es den Klägern letztendlich.

Zwölf neue Klagen wegen 2G-Regel im Einzelhandel

Neben den laufenden Verfahren hat die Kanzlei von Schmittmann für die Handelskette Ernsting‘s familiy in zwölf Bundesländern neue Normenkontrollanträge gegen die neuen 2G-Regeln im Einzelhandel eingereicht. In der überwiegenden Zahl der Bundesländer wird von den Betreibern der Geschäfte verlangt, dass sie die Einhaltung der geltenden Regeln auch aktiv kontrollieren. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Geschäften übernehmen damit quasi hoheitliche Aufgaben, die eigentlich Aufgabe des Staates wären“, sagt Schmittmann zu den Klagen. Aus Gesprächen wisse er, dass die Beschäftigten immer wieder massiv bedroht werden. Sie seien damit eine Art „Blitzableiter“ für die Unzufriedenheit mit den Coronamaßnahmen. Und er habe dann auch Verständnis, wenn sich immer mehr Angst in der Belegschaft ausbreitet. Immerhin sei in der überwiegenden Zahl der Filialen von Ernsting‘s familiy nur eine Person anwesend. Mit einer Art „Stichprobenregelung“ könne man sich vielleicht arrangieren – aber die Pflicht zur Eingangskontrolle geht nach Schmittmanns Ansicht zu weit.

Bei Ernsting‘s familiy führt man seit Ende des Jahres eine Liste mit den Übergriffen gegen das Personal. Die Aufstellung liest sich beängstigend. Die Liste reicht über Tritte gegen das Schienbein und Herausreißen der Ware aus den Regalen über Vergleiche zum Dritten Reich und wüste Beschimpfungen bis hin dazu, dem Unternehmen die Pleite zu wünschen.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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