„ESG-Aspekte werden als Investitionskriterien immer relevanter“

Interview mit Natascha Grosser, Vorstandsvorsitzende des Private Equity Forum NRW (PEF)

„ESG-Aspekte werden als Investitionskriterien zunehmend relevant“
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Das Private Equity Forum NRW (PEF) ist ein Verein, der, basierend auf den Säulen Beratung, Finanzierung und Branchennetzwerk, mehrere Kompetenzen unter einem Dach vereint und sich als Multiplikator und Vordenker der Private-Equity-Szene versteht, weit über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinaus. Wir sprachen mit der Vorstandsvorsitzenden Natascha Grosser über aktuelle Entwicklungen.

Unternehmeredition: Frau Grosser, wie entwickelt sich der Private-Equity-Markt?

Natascha Grosser: Nachdem zu Beginn der Coronapandemie 2020 die Investitionen rückläufig waren, haben sich Tempo und Volumen 2021 noch einmal erhöht. 2021 war sogar ein Rekordjahr mit rund 18 Mrd. EUR Investitionsvolumen in Deutschland (laut BVK). Im ersten Halbjahr 2022 wurden bereits rund 8,4 Mrd. EUR investiert, und für das zweite Halbjahr rechne ich noch mit einem weiteren Anstieg.

Welche Veränderungen erkennen Sie aktuell?

Die Private-Equity-Unternehmen verfügen über recht hohe Investitionsvolumina, die investiert werden wollen. Zusätzliche, nicht unwesentliche Investitionsmittel dürften durch börsennotierte Akquisitionsgesellschaften, sogenannte SPACs (Special Purpose Acquisition Company), zur Verfügung stehen. Auch die zunehmende Digitalisierung beflügelt sicher die Investitionsbereitschaft.

Wie ist die Stimmung in der Branche allgemein? Wächst das Vertrauen mittelständischer und Familienunternehmen gegenüber Finanzinvestoren?

Ich glaube man muss differenzieren zwischen der Bereitschaft von KMUs, sich Investoren an Bord zu holen, und Vertrauen. Gerade vor dem Hintergrund, dass es eher die etablierten Familienunternehmen sind, die durch die Digitalisierung zunehmend Investitionsbedarf haben, um beispielsweise neue oder neuere Technologien ein- und umzusetzen, müssen diese zum Teil auf Private-Equity-Investoren setzen, wenn das Kapital nicht aus dem eigenen Gesellschafterkreis kommt. Meiner Wahrnehmung nach sind Vorbehalte gegenüber Beteiligungsgesellschaften aber gerade hier in Deutschland nach wie vor verbreitet. Allerdings stelle ich auch verstärkt fest, dass man sich mittlerweile eher oder lieber einen Investor als Partner an Bord holt, anstatt auf Fremdkapital durch Bankdarlehen zurückzugreifen. Einzelinvestoren sind dabei sogar oftmals gern gesehen, wenn es um kleinere Volumina bei KMU geht.

Wie stark sind die Auswirkungen der aktuellen Krisen?

Eigentlich wäre wohl zu erwarten gewesen, dass sich der Private-Equity-Markt dem globalen Abschwung der Wirtschaft nicht entziehen kann. Eine wirkliche Zurückhaltung auf Investorenseite habe ich aber im zweiten Halbjahr 2022 noch nicht bemerkt.

Auf Unternehmensseite kann ich mir allerdings vorstellen, dass der Druck in der Rezessionsphase weiter zunimmt. Lieferzeiten können zu großen Teilen nicht eingehalten werden, Ausweichmöglichkeiten auf den Transportwegen sind aufgrund der steigenden Energiepreise auch kaum gegeben und so greifen viele Zahnräder der wirtschaftlichen Unsicherheit ineinander, die eine valide Finanzplanung erschweren.

Aus der Rechtsberatung kann ich sagen, dass sich auf der Geschäftsführungsebene Unsicherheit breit macht, aktuell die richtigen strategischen Entscheidungen und Investitionen vorzunehmen, da keiner wirklich weiß, wie und mit welchen weitergehenden wirtschaftlichen Folgen sich der Ukrainekrieg weiter entwickelt und vor allem wie lange sich dies auf die deutsche Wirtschaft auswirkt. Daneben ist auch Corona ein Thema, das uns weiter begleitet, mit neuen Arbeitsmodellen (Teilzeit, Remote, Hybrid), die meines Erachtens auch die Digitalisierung befeuern. Die Unternehmensführung kann also aktuell vielerorts nur kurzfristig planen und muss flexibel bleiben, um sich auf ständig ändernde Marktsituationen einstellen zu können.

Welche Auswege sehen Sie für Mittelständler? Was empfehlen Sie diesen, um sich ihre Liquidität zu sichern?

Naja, was heißt Ausweg? Wir, und damit meine ich nicht nur Unternehmen, sondern jeden einzelnen Bürger, können nur versuchen, bestmöglich mit der sich ständig ändernden Wirtschaftssituation umzugehen. Aus meiner eigenen unternehmerischen Erfahrung würde ich vor allem empfehlen, sich niemals abhängig von einem Finanzpartner zu machen und auf eine gesunde Eigenkapitalbasis zu achten. Gesellschafterentnahmen sollten verhältnismäßig zur Liquiditätslage des Unternehmens bleiben, gegebenenfalls sollte mit mehreren Banken frühzeitig verhandelt werden, was hohe Darlehen oder Kontokorrentlinien anbelangt, und last but not least über die Hinzunahme eines Investors nachgedacht werden, der idealerweise nicht nur finanzielle Mittel mitbringt, sondern auch Know-how, und tatkräftig unterstützt. Spätestens dann, wenn ein externer Dritter hinzukommt, hat dieser auch einen anderen Blick auf das Unternehmen und wird interne Prozessabläufe und darin enthaltenes Kostensparpotenzial überprüfen. Letzteres kann und sollte natürlich schon zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt von der Unternehmensleitung auf den Prüfstand gestellt werden, was aber erfahrungsgemäß – gerade bei kleinen und mittelständischen Familienunternehmen – eher verpönt ist.

Rechnen Sie mit einer Zunahme von Insolvenzen?

Dem statistischen Bundesamt nach sind die Insolvenzen bei Unternehmen seit 2019 wider Erwarten zurückgegangen. Gleichwohl gehe ich davon aus, dass die Produktion in vielen Bereichen in den kommenden Monaten deutlich zurückgehen wird, zum einen wegen gestiegener Rohmaterial- und Energiepreise, zum anderen aus Vorsicht der Unternehmer gegenüber möglichen Auswirkungen des Ukrainekrieges auf ihr Geschäft. Aufgrund von unterbrochenen Lieferketten sind Unternehmen zudem gezwungen, mehr Material auf Vorrat einzulagern, was wiederum mehr Liquidität bindet. Auch durch die staatlichen Corona-Hilfen während der vergangenen zwei Jahre und das vorübergehende Aussetzen der Insolvenzantragspflicht von Unternehmen  schieben wir aller Wahrscheinlichkeit nach eine Insolvenzwelle vor uns her, die aktuell noch durch die erfolgten staatlichen Eingriffe verzögert wird. Allerdings schrecken aktuelle Insolvenzmeldungen großer Traditionsunternehmen natürlich auf und könnten durchaus ein Indikator sein.

Welche Bedeutung hat das Thema ESG für die Private-Equity-Branche?

Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (verantwortungsvolle Unternehmensführung) fristeten bislang eher ein Nischendasein, das Thema gewinnt aber zunehmend an Bedeutung, zumindest seit 2020 die EU-Taxonomie-Verordnung von der EU-Kommission eingeführt wurde. Umweltziele ebenso wie soziale Mindeststandards müssen zukünftig beachtet werden und werden daher auch als Investitionskriterium immer wichtiger. Es gibt jedoch noch keine ESG-Marktstandards und daher ist bei vielen Unternehmen das Thema noch nicht angekommen.

In unserem Mitgliederkreis gewinnt es aber zunehmend an Relevanz. Die Beteiligungsfirmen mit ihren Fonds sind hier zum Teil bereits tief im Thema und konnten bei der Akquisition ihrer Portfoliounternehmen auch schon einige Erfahrungen sammeln. Das Private Equity Forum sieht sich natürlich in der Verantwortung, Unternehmen, Finanzierer und alle Interessierten hier zusammenzubringen, um Erfahrungsaustausch zu betreiben und für die Zukunft daraus zu lernen. Aus diesem Grunde haben wir rund um das Thema ESG auch gerade eine Veranstaltung konzipiert, die am 23. November 2022 mit und bei der NRW.BANK stattfinden wird, zu der verschiedenste Marktteilnehmer berichten, sensibilisieren und im Rahmen eines Panels auch miteinander diskutieren werden.

Es gibt auf Unternehmensseite auf jeden Fall Handlungsbedarf in den nächsten Jahren. Allerdings müssen sich hier auch erst Standards etablieren. Bei zukünftigen Finanzierungsvorhaben sollten Unternehmen allerdings mit solchen Vorgaben rechnen und sich bereits jetzt mit dem Thema intensiv auseinandersetzen sowie diesbezüglich Strategien entwickeln und umsetzen.

Wie sieht Ihre Beratung im Bereich ESG aus? Steigt die Nachfrage? Worauf kommt es an? Wie gehen Sie vor, um bei den Unternehmen und ihren Beratern mehr ESG-Kompetenz zu entwickeln?

Das PEF selbst berät ja nicht, sondern ein Teil der Mitgliedsunternehmen. Ich selbst nehme in meiner Beratungspraxis bei KMU wahr, dass man sich zwar mit dem Thema beschäftigt, es aber meist noch nicht wirklich für relevant hält. Im Moment kann ich bei meiner eigenen Klientel nur sensibilisieren.

Deutschland leidet massiv unter Fachkräftemangel. Wie ist Ihre Einschätzung und wie sind die diesbezüglichen Erfahrungen unter ihren Mitgliedsunternehmen?

Aus dem Mitgliederkreis weiß ich, dass sowohl auf Investoren- als auch Beraterseite zum Teil  händeringend nach qualifiziertem Nachwuchs gesucht wird. Talente wiederum sind meines Erachtens  heutzutage aber nicht mehr allein mit gut bezahlten Jobs zufrieden. Themen wie Work-Life-Balance, Home-Office, das Arbeitsumfeld, klare Entwicklungsziele und der Umgang mit Diversity sind entscheidende Kriterien für wechselwillige Talente. Auf der anderen Seite werden von Arbeitgeberseite hohe Anforderungen gestellt. Die Anforderungen und Wünsche beider Parteien fallen oft erheblich auseinander.

Wie lässt sich die Situation verbessern? Mit welchen Maßnahmen kann eine Private-Equity-Gesellschaft unterstützen?

Eine allgemeinverbindliche Antwort gibt es darauf wohl nicht. Da unsere Mitglieder im PEF dieses Thema aber ebenfalls umtreibt, haben wir zunächst einmal (am 27. Oktober 2022)  – im Rahmen unseres Veranstaltungsformats NextGeneration –  einen kleinen Austausch der Associates und Juniors unserer Mitgliedsunternehmen sowie weiterer eingeladener junger Leute organisiert mit Anne Conelly als Gast, die Ideengeberin und Gründungsmitglied von Fondsfrauen, dem größten deutschsprachigen Karrierenetzwerk zur Förderung und Gleichstellung von Frauen in der Finanzindustrie ist. Bei dem NextGen-Format sind die Seniors und Vorgesetzten bewusst außen vor, damit die jungen Leute sich ungezwungen austauschen und diskutieren können.

Ich denke Mentoring und Nachwuchsförderung sind grundsätzlich in jedem Unternehmen wichtig und ich bin sehr gespannt, was sich bei der Diskussion der NextGeneration herauskristallisieren wird. Gegebenenfalls werden wir das Thema Fachkräftemangel zu einem späteren Zeitpunkt auch nochmals in einem größeren und breiteren Veranstaltungsformat aufgreifen.

Mit welcher Marktentwicklung rechnen Sie für 2023?

Ich gehe davon aus, dass die Finanzierungskosten weiter steigen werden. Dadurch könnte es auf Unternehmensseite zu einigen Notverkäufen kommen. Auf Käuferseite wird die Verfügbarkeit von unterbewerteten Unternehmen aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem weiteren Anstieg an Übernahmen und Beteiligungen führen. Und hierbei dürften auch ESG-Aspekte als Investitionskriterien zunehmend relevant werden.

Liebe Frau Grosser, wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke!


ZUR PERSON

Natascha Grosser ist Vorstandsvorsitzende des Private Equity Forum NRW e.V. und Rechtsanwältin/Inhaberin der Rechtsanwaltskanzlei GROSSER Corporate Law in Düsseldorf. Darüber hinaus ist sie Honorardozentin an der Frankfurt School of Finance and Management und Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, wo sie sich ehrenamtlich engagiert.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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