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Beatrice Rodenstock: „Es ist fantastisch, dass es immer mehr Nachfolgerinnen gibt“

Beatrice Rodenstock

Beatrice Rodenstock Foto: © Rodenstock-Gesellschaft für Familienunternehmen

Seit 20 Jahren ist Beatrice Rodenstock beratend für Familienunternehmen tätig, seit 15 Jahren für die Rodenstock Gesellschaft für Familienunternehmen. Auch die Unternehmeredition feiert in diesem Jahr ihr 15-jähriges Jubiläum. Damals wie heute haben wir die erstgeborene Tochter des Brillenimperiums Rodenstock als Expertin für Unternehmensnachfolge interviewt.

Unternehmeredition: Frau Rodenstock, Sie haben mittlerweile 20 Jahre Unternehmensberatung auf dem Buckel. Was sind Ihre Highlights?

Beatrice Rodenstock: Nachdem ich zunächst geschäftsführende Gesellschafterin der NaviGet GmbH war, habe ich vor 15 Jahren nochmal ausgegründet und die Rodenstock Gesellschaft für Familienunternehmen gegründet. Dieser Schritt war für mich etwas ganz Besonderes, meinen eigenen Namen drauf zu schreiben und etwas ganz Eigenes zu signalisieren. Das war für mich ein sehr schöner Moment.

Sie stammen selbst aus einem Familienunternehmen. Inwieweit nehmen Sie diese Erfahrungen in ihre tägliche Arbeit bei der Familienunternehmerberatung mit?

Man weiß um die Komplexität, die sich ergibt, wenn man Teil einer Unternehmerfamilie ist. Diese Komplexität bringt es mit sich, dass man gleichzeitig unterschiedliche Hüte aufhat. So hat man beispielsweise die Gesellschafterrolle inne und vielleicht auch noch eine operative Rolle im Unternehmen, und alles immer vor dem großen Thema der Familie. Mit jeder Rolle sind eigene Interessen und Verantwortlichkeiten verbunden und es steht sehr viel auf dem Spiel, wenn man diese nicht unter einen Hut bringen kann. Im Fall ungelöster Konflikte ist nicht nur der Familienfrieden gefährdet, sondern auch die eigene existenzielle Grundlage und die der Mitarbeiter. Gleichzeitig muss man in der Beratung natürlich auch immer wieder abstrahieren und darf nicht mit zu viel eigenen Annahmen auf Grund der eigenen Historie in die Beratungsmandate gehen.

Fällt Ihnen dazu ein Beispiel aus ihrer eigenen Familienhistorie ein?

Bei der Unternehmensübergabe kam es zwischen meinem Großvater und meinem Vater zu Misskommunikation und Konflikten. Die richtige Übergabe fand lange nicht statt, obwohl mein Vater diesbezüglich andere Erwartungen hatte. Das hat nicht nur die Entwicklung des Unternehmens, sondern auch den Familienfrieden bedroht. Es hieß dann: „Mit dem Opa feiern wir nicht Weihnachten“. Diese Themen wirken sich auf alle Lebensbereiche aus und man geht dann nach der Arbeit eben nicht nach Hause und schließt die Tür hinter sich.

Wäre es dann nicht sogar einfacher, die Nachfolge von vorneherein extern zu lösen, also mit einer Person ohne solche Bindungen?

So einfach kann man das natürlich nicht sehen. Aber es ist tatsächlich manchmal gut, eine fremde dritte Person mit dabei zu haben. Eine solche Person ist wie ein Bindeglied, sie hat eine objektivere Perspektive und kann dann auch bei Bedarf Mittler oder Moderator sein und die Übergabe von einer zur nächsten Generation überleiten. Dadurch werden solche schwierigen Themen objektivierbarer und besprechbarer.

Zeichnet sich diesbezüglich ein Wandel hin zu mehr Offenheit gegenüber Dritten ab?

Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass sich in den letzten Jahren diesbezüglich viel gewandelt hat. Themen rund um Familienunternehmen werden mittlerweile von Wissenschaft und Medien besser in die Öffentlichkeit gebracht. Der Bereich war früher eher tabuisiert. So wie man nicht über Geld spricht, wurde auch nicht über Familiennachfolge in der Öffentlichkeit gesprochen.

So hat auch die Offenheit gegenüber externen Dritten im Unternehmen als mögliche Nachfolgeoption zugenommen. Fremdgeschäftsführer und externe Berater werden immer häufiger mit dazu genommen, ohne dass es als Verletzung der Familienehre empfunden wird. Es gilt vielmehr als Professionalisierung, die beste Option für Unternehmen und Familie zu finden. Auch die Zahlen belegen, dass zunehmend mehr Fremdgeschäftsführer in Familienunternehmen reinkommen und mehr MBOs und MBIs stattfinden. Sie stellen mittlerweile die Hälfte der Nachfolgelösungen dar.

Hinter der Entwicklung steckt jedoch auch ein struktureller Zwang durch den demografischen Wandel. Die Babyboomer treffen auf eine geringere Zahl von Nachfolgern. Hinzu kommt, dass viele Nachfolger die Verantwortung mit Blick auf die Work Life Balance nicht mehr tragen wollen. Oft führt also erst der Mangel an geeigneten Nachfolgern dazu, dass Unternehmen zum Verkauf angeboten und externe Partner reingenommen werden.

Natürlich ist es eine fantastische Entwicklung, dass es immer mehr weibliche Nachfolgerinnen gibt. Die Primogenitur löst sich immer mehr auf. Nach Angaben der Uni Witten/Herdecke ist die Zahl der Nachfolgerinnen in internen Nachfolgeprozessen in den letzten Jahren von ca. 30% auf über 40% gestiegen.

Ist das auch dem strukturellen Zwang zu verdanken?

Das liegt an einem grundlegenden Einstellungswandel. Ich war damals ja Erstgeborene und Tochter. Das war so in der Nachfolgeplanung nicht vorgesehen. Die Enttäuschung war erstmal groß, weil die Unternehmensnachfolge vermeintlich nicht gesichert war.

Dennoch hatte mein Vater schon eine andere Einstellung dazu als sein Vater. Er ist ja in den 1968ern groß geworden. Für ihn war die Kompetenz zur Nachfolge ausschlaggebend und nicht das Geschlecht. Trotzdem musste ich mich mehr anstrengen und beweisen, als andere das vielleicht gemusst hätten. Für mich war das eine sportliche Herausforderung.

Gleichzeitig konnte ich mir so auch klar werden, ob ich diese Herausforderung überhaupt annehmen wollte. Denn die Konflikte zwischen meinem Vater und Großvater waren für mich lange Zeit eher abschreckend. Ich habe dann aber auch erlebt, wie man die Themen konstruktiv lösen kann, indem mein Vater den ersten Schritt machte und die Probleme offen an- und ausgesprochen und so auch geklärt werden konnten.

Gab es den Moment, in dem Sie die Nachfolge hätten übernehmen können?

Den gab es. In dem Moment, als ich selber Geschäftsführerin meiner eigenen Beratung war, hatte ich das Rüstzeug. Diese externe Erfahrung hat es gebraucht, sie war wichtig, um eine Entscheidung treffen zu können und um zu wissen, was ich kann. In diesem Moment fand allerdings unabhängig von meiner Entscheidung die Übergabe an den externen Investor statt, die wir dann auch sehr gut hinbekommen haben.

Ist das für Sie heute ein Wermutstropfen? Schmerzt es Sie, dass Rodenstock mittlerweile den vierten Private-Equity-Eigentümer hat?

Ich hatte damals ja schon meinen eigenen Weg, meine eigene Beratung. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon selbstständig und unabhängig. Natürlich ist es ein großer Schritt für eine Inhaberfamilie, das operative Geschäft zu veräußern. Aber es ist für mich kein Wermutstropfen. Bei dieser Entscheidung geht es ausschließlich um den Erhalt des Unternehmens und der Arbeitsplätze. Als Anbieter von Brillengläsern und Fassungen ist Rodenstock immer noch Marktführer in Deutschland: Rodenstock entwickelt sich weiterhin sehr positiv und das ist unter dem Strich das Einzige, was zählt.

Wie hat es Ihre Familie empfunden, dass Sie in die Unternehmensberatung gegangen sind?

Es standen alle dahinter. Zusammen mit meinem Vater haben wir uns auch unseren eigenen Übergabeprozess angeschaut und beurteilt, was gut lief und was anders hätte laufen müssen. Das war sehr spannend und hat viel Spaß gemacht.

Welche aktuellen Trends beobachten Sie bei der Unternehmensnachfolge? Ist der „Coronaknick“ überwunden?

Es ist deutlich zu spüren, dass sich die Unternehmer wieder mehr dem Thema Nachfolge widmen, da bei vielen mittlerweile das existenzielle Moment nicht mehr so vordergründig ist. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Thema Geschäftsmodelle, die in die Zukunft tragen. Und natürlich liegt die Aufmerksamkeit mehr darauf, wen man in Zeiten wie diesen braucht. In Krisenzeiten ist der Nachfolger nämlich noch viel stärker gefordert. Das ist Veränderungsmanagement pur. Und es erfordert u.a. Offenheit, Schnelligkeit und Flexibilität.

Wer ist aus Ihrer Sicht der beste Nachfolger?

Der beste Nachfolger ist der mit den besten unternehmerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten für das Unternehmen. Deshalb ist es schwer zu sagen, ob dies prinzipiell ein interner oder externer Nachfolger sein sollte. Der Nachfolger benötigt zu den obengenannten Fähigkeiten ausgezeichnete Erfahrungen und Kenntnisse über das Unternehmen, unternehmerische Fähigkeiten wie Personal- und Führungskompetenz, strategische und visionäre sowie kommunikative Kompetenzen. Wenn man mit 24 Jahren nach dem Studium und wenig Expertise im Praktischen mit langgedienten Managern einen Prozess gestalten will, wird es schwierig. Man sollte also nicht zu schnell in eine Führungsposition kommen, solange man die entsprechenden Kompetenzen noch nicht aufgebaut hat.

Die fachliche Expertise braucht es natürlich immer. Es kommt aber auf die Größe des Unternehmens an, ob man besser schon mal eine Geschäftsführerposition besetzt haben sollte. Selbst wenn man nach einer gut abgeschlossenen Ausbildung und externen Praktika ins Unternehmen kommt, braucht es die persönliche Reife sowie Sozial- und Führungskompetenz. Letzteres ist oft das größte Manko.

Was ist mit Digitalisierungs- und Innovationskompetenz?

Eine gewisse Digitalisierungskompetenz beziehungsweise -affinität ist heute unabdingbar. Zusätzlich müssen sie zwangsläufig offen sein für Innovationen. Sie brauchen auf jeden Fall die Persönlichkeit und den Mut, um Entscheidungen für Innovation und radikalen Wandel zu treffen. Dazu muss man über den Tellerrand blicken können. Viele Nachfolgen scheitern, weil diese Positionierung und Fähigkeit in der nächsten Generation fehlen oder nicht zugelassen werden. Es ist immer wichtig, dass die nachfolgende Generation ihre eigenen Fußstapfen setzt.

Wo liegen Ihrer Ansicht nach die größten Stolpersteine für eine erfolgreiche Nachfolgeregelung?

Einer der größten Stolpersteine ist, dass man nicht früh genug damit anfängt, die Nachfolge mit allen Beteiligten zu planen, weil die Übergabe sehr vielschichtig ist. Steuerliche Aspekte sind in Deutschland immer sehr wichtig, aber ich glaube, dass es nicht gut ist, damit anzufangen. Stattdessen sollte man sich zuallererst auf der Gesellschafterebene Gedanken machen, was das Unternehmen braucht und wie die Inhaberfamilie auch in der nächsten Generation so beteiligt werden kann, dass die Interessen und Verantwortlichkeiten im Sinne des Unternehmens gebündelt sind, zum Beispiel in Form einer Inhaberstrategie. Außerdem ist es wichtig proaktiv und strukturiert sicherzustellen, dass man selbst das operative Unternehmen gut übergeben kann.

Gibt es einen Königsweg für die Gestaltung des Übergabeprozesses?

Der Übergabeprozess sollte in klare Schritte der Verantwortungsübernahme auf der Zeitschiene und den dazu benötigten Kompetenzen mit den Beteiligten gemeinsam erarbeitet werden. Jeder Übergabeprozess muss natürlich auf die besonderen Gegebenheiten der Inhaberfamilie und des Unternehmens abgestimmt sein. Aber Kapital und Verantwortung sollten während der einzelnen Übergabeschritte miteinander einhergehen. Es kann schwierig sein, wenn man operative Verantwortung trägt und Anteile übertragen bekommt, ohne Stimmrechte ausüben zu können beispielsweise auf Grund von Nießbrauchsregelungen. Deshalb ist es wichtig sich die einzelnen Kompetenzstufen zu überlegen und die Kapitalebene jeweils mit der operativen Ebene in Einklang zu bringen.

Was ist der größte emotionale Stolperstein?

Zu wenig gegenseitige Wertschätzung und unausgesprochene Erwartungen. Diese ist oftmals eng mit der Teilhabe am Erfolg des Familienunternehmens verbunden. Wenn die nachfolgende Generation vermeintlich keine andere Wahl hat, als ins Familienunternehmen zu gehen, weil sie darüber ihre Wertschätzung bekommt. Wenn man dann nicht genügend Anteile bekommt, ist schnell der Gedanke da, dass man nicht gewertschätzt wird. Und das führt schnell dazu, dass die Emotionen hochkochen und nicht die beste Lösung fürs Unternehmen gefunden wird.

Wann entstehen Konflikte? Wenn Erwartungen enttäuscht und nicht offen kommuniziert werden. Mache ich es, um es den Eltern recht zu machen oder weil ich mich für eine gute Führungspersönlichkeit halte. Wem mache ich es recht? Den Eltern, dem Unternehmen oder mir selbst?

Meine Empfehlung ist deshalb: Offen über die gegenseitigen Erwartungen kommunizieren und sich bewusst machen, wem man es recht macht, wenn man in die Nachfolge einsteigt. Nur mit eigener Überzeugung und Herzblut gelingt eine gute Nachfolge.

Wohin möchten Sie ihr Unternehmen und sich selbst noch entwickeln?

Das Thema Veränderungsmanagement ist immer virulent und eine wichtige Komponente auch für mich selbst. Dabei liegt mir die Entwicklung der weiblichen Nachfolgerinnen speziell am Herzen.

Da die Themen der Nachfolge vielschichtig sind, ist es auch für mich essenziell, für die unterschiedlichen Themen mit den richtigen Partnern zusammenzuarbeiten. Dabei sind Qualitätsmanagement und der Ausbau des Netzwerkes wichtig.  Ein qualitativ gutes Netzwerk für die Zukunft aufzubauen ist eine große Herausforderung für die nächsten Jahre.

Und natürlich möchte auch ich meine Beratung in gute Hände geben und sicherstellen, dass diese gut weitergeführt wird. Ich möchte sehen, dass das, was ich in den letzten 20 Jahren angestoßen habe, nachhaltig verstetigt wird.

Wem geben Sie bei der Nachfolge den Vorzug: Ihrem erstgeborenen Sohn oder Ihrer Tochter?

(Lacht.) Unbedingt meiner Tochter. Ich will ja Unternehmerinnen stärken.

Meine Kinder haben früher gesagt, dass sie keine Familienunternehmer werden wollen. Das war ihnen damals etwas suspekt. Sie haben dann aber doch ein Schulpraktikum in der Beratung absolviert und sind inzwischen viel offener und interessierter.


ZUR PERSON

Beatrice Rodenstock ist geschäftsführende Gesellschafterin der Rodenstock – Gesellschaft für Familienunternehmen mbH und berät Familienunternehmen in Fragen des Generationswechsels, der Family Governance, Gremienbildung und Konfliktlösung. Zuvor leitete Sie die Unternehmensberatung NaviGet, die sie zusammen mit zwei Partnern im Jahr 2003 gegründet hatte. Beatrice Rodenstock ist Spross der Unternehmerdynastie Rodenstock. Das Brillenimperium wurde von 2003 bis 2007 schrittweise an einen Finanzinvestor verkauft.


Dieser Beitrag erscheint in der Unternehmeredition 1/2022.

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