Die Zeit der „mutigen Käufer“

Entwicklung des Bewertungs- und Transaktionsumfelds vor dem Hintergrund der komplexen Krisensituation

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Viele Unternehmen haben derzeit mit explodierenden Kosten für Vorprodukte, Rohstoffe und Energie aufgrund immer noch gestörter Lieferketten sowie der reduzierten Energie­lieferungen Russlands zu kämpfen. Die gestiegenen Kosten können zumeist nur teilweise beziehungsweise verzögert an die Kunden weitergegeben werden, was die Unternehmens­ergebnisse belastet. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf den M&A-Markt werden im Folgenden näher beleuchtet. 

Das Verhalten Russlands zum Beginn dieses Septembers rund um die Wartungsarbeiten an der Gas­pipeline Nord Stream 1 sind ein Spie­gel der aktuellen Verunsicherung bei Verbrauchern, Unternehmen und Investoren. Den Anfang nahm diese Verunsicherung mit Beginn der Coronapandemie samt ihren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die weltweiten Lieferketten. Verstärkt wurden und werden die Lieferkettenprobleme durch die Blockade des Suezkanals im Jahr 2021 und Chinas anhaltende Null-COVID-­Politik. Hinzu kommen seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukra­ine die Versorgungsunsicherheit und die immer weiter steigenden Kosten im Energiebereich. Diese Entwicklungen spiegeln sich in den Einschätzungen des ifo Instituts, welches seine Prognosen für das BIP-Wachstum 2022 in vier Schritten von 5,1% (Herbst 2021) auf zuletzt nur noch 2,5% (Sommer 2022) wiederholt korrigieren musste. Auch das Konsumklima hat sich in den letzten Monaten erheblich eingetrübt, nach­dem es im Nachgang der ersten Coronawelle deutlich zugelegt hatte. Diese Entwicklungen beeinflussen sowohl die Unternehmensgewinne auf breiter Front negativ als auch das Investitionssentiment am M&A-Markt, was sich in zurückgehenden EBITDA-Multiplika­toren ausdrückt. Beide Faktoren zusammen ergeben entsprechend geringere Unternehmensbewertungen und bewirken Zurückhaltung im Transak­tionsmarkt.

Krisensituation belastet Unternehmensergebnisse

Die größten Herausforderungen stellen sich deutschen Unternehmen derzeit auf der Kostenseite. Die internationalen Lie­ferketten sind seit über zwei Jahren erheb­lich gestört. In der Folge haben sich Vor­produkte wie Halbleiter erheblich ver­teuert. Darüber hinaus belasten stark gestie­­gene Energiekosten insbesondere ener­gieintensive Branchen und solche, die auf Erdgas als Vorprodukt angewiesen sind. So haben sich die Strompreise für Industriekunden gemäß BDEW von 21,38 ct/kWh im Jahr 2021 auf 40,05 ct/kWh im Juli 2022 fast verdoppelt. Die Gaspreise haben sich mit einer Erhöhung der Future-Preise für das Jahr 2023 von 46 EUR/MWh Anfang 2022 auf 200 EUR/MWh zu Ende August 2022 sogar vervier­facht. Diese Faktoren kulminieren in einer anhaltend hohen Inflationsrate von 7,9% für August 2022. Diese Kostensteigerungen treffen auf ein äußerst zurückhaltendes Konsumklima, das sich mit einem Indexwert von -36,5 auf dem tiefsten Stand seit mehr als 20 Jahren be­findet. Im Ergebnis führen diese Kosten­steigerungen bei beschränkten Möglich­keiten zur Weitergabe an die Kunden zu einer starken Belastung der Unternehmensgewinne. Beispielhaft ist im zweiten Quartal 2022 der Gesamtumsatz der DAX-­Konzerne um 13,7% gegenüber dem gleichen Zeit­raum anno 2021 gestiegen, wobei der Gesamt­gewinn jedoch um 19,3% zurückging.

Unsicherheit belastet Multiples

Das M&A-Team der WTS Advisory hat eine umfangreiche Auswertung von Transaktionen im Zeitraum September 2021 bis August 2022 vorgenommen.

Die Datenauswertung zeigt, dass die Mul­ti­ples für fast alle untersuchten Bran­chen um das Zwei- bis Elffache des EBITDA zurückgegangen sind. Der Rückgang der Multiples auf breiter Front ist eine typische Reaktion in einem von großen Unsicherheiten geprägten Marktumfeld. Diese Verunsicherung findet in Form von Risikoabschlägen bei der Unternehmens­bewertung Berücksichtigung – das Ergeb­nis sind geringere Multiples. Erschwerend kommt hinzu, dass M&A-Deals zumeist anteilig mit Fremdkapital finanziert werden. Die Finanzierungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Monaten insbe­sondere aus zwei Gründen verschlechtert. Zum einen hat das Zinsniveau deut­lich angezogen, was Finanzierungen entsprechend verteuert. Allein der Sechs-Monats-EURIBOR als Basiszinssatz hat sich in diesem Jahr von -0,5% auf 1,3% erhöht. Zum anderen sind Banken vorsichtiger geworden und ­gewähren geringere EBITDA-Multiples als Akquisitionsfinanzierung.

Die Konsequenz: rückläufige Unternehmensbewertungen

Wir sehen im M&A-Markt somit eine Situation, in der auf breiter Front rückläufige Unternehmensgewinne auf vorsichtige Investoren treffen, die nur geringere Multiplikatoren zu zahlen bereit sind. Die Konsequenz daraus sind geringere Unternehmensbewertungen (Enterprise Values; EVs), wie Abb. 2 veranschaulicht.

Es zeigt sich, dass der doppelt negative Effekt aus Gewinnrückgang und geringe­rem Multiplikator eine erhebliche Redu­zierung der EVs zur Folge hat. Im Beispiel wird das Unternehmen statt mit einem EV von 81 Mio. EUR nur noch mit einem EV von 35,1 Mio. EUR bewertet. Auffällig ist bei diesem Beispiel, dass der Multiple-­Effekt weitaus stärker ist als der Ergebnis­effekt. Eine Konzentration auf strategische Käufer, die typischerweise bereit sind, einen strategischen Aufpreis zu bezahlen, könnte diesem Effekt entgegenwirken.

Rückgängige Bewertungen belasten M&A-Aktivitäten

Als M&A-Berater beobachten wir anhand aktueller Mandate sowie auf Basis unse­res laufenden Austauschs mit allen rele­vanten Marktteilnehmern sowohl bei der Bereitschaft, Unternehmen beziehungs­weise Unternehmensteile zu verkaufen, als auch bei der Investitionsbereitschaft von Fi­nanz­investoren und Strategen eine gewis­se Zurückhaltung. Dies ist nur allzu verständlich, da Verkäufer nicht ohne Not einen rückläufigen EV realisieren möch­ten und Investoren in unsicheren Zeiten abwartend reagieren. In den letz­ten Wochen ist zudem zu beobachten, dass immer häufiger Transaktionen „auf Eis gelegt“ oder gar komplett abgesagt werden – zu groß sind die Unsicherheiten im Markt. Rein statistisch zeigt der M&A-­Markt in Deutschland für das erste Halb­jahr 2022 ein ambivalentes Bild. Während die Anzahl der Transaktionen gegenüber dem ersten Halbjahr 2021 von 506 auf 524 leicht zulegen konnte, reduzierte sich das Dealvolumen deutlich von 113,4 Mrd. auf 66,3 Mrd. EUR, was die These der rückläufigen Unternehmensbewertungen zusätzlich stützt.

Fazit

Rückläufige Unternehmensgewinne und geringere EBITDA-Multiples belasten der­zeit die Unternehmensbewertungen und somit die M&A-Aktivitäten in Deutschland. Gleichzeitig steht Private-Equity-­Investoren mit 1,4 Bio. USD weltweit eine Rekordsumme an zu investierenden Mitteln zur Verfügung, die während der Inves­titionsphase der Fonds allokiert werden müssen. Darüber hinaus gibt es Branchen wie Industrie oder Telekommunikation, die von geringeren Multi­plikatoren bisher weniger betroffen sind. Da es für Unternehmen mit starken Wachstumsambitionen zunehmend schwie­riger wird, diese aus dem laufenden Cashflow beziehungs­weise auf Basis der eigenen Kapitaldienstfähigkeit zu finanzieren, er­geben sich hier Chancen für Inves­toren, zu attraktiven Bewertungen in spannen­de Wachstumsstorys einzu­steigen. Es be­ginnt also die Zeit der „mutigen Käufer“, die antizyklisch Chan­cen nutzen wollen.

Dieser Beitrag erscheint in der nächsten Magazinausgabe der Unternehmeredition 3/2022.

Autorenprofil
Heiko Frank

Dr. Heiko Frank leitet als Partner bei der WTS Advisory AG den Bereich M&A Strategy & Deal Advisory. Er verfügt über mehr als 20 Jahre internationale Erfahrung in leitenden Positionen in der M&A-Branche und begleitet darüber hinaus mehrere Beiratsmandate.

Autorenprofil
Armin Schöpke

Armin Schöpke ist Senior Manager im Bereich M&A Strategy & Deal Advisory bei der WTS Advisory AG und als operativer Projektleiter für die Umsetzung von Sell-Side- und Buy-­Side-Mandaten sowie damit verbundene LBO-Finanzierungen verantwortlich.

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