Mittelstand im Wandel: Mut oder Stillstand?

Zwischen operativer Verantwortung und strategischer Begleitung

Der Mittelstand braucht mehr als ein gutes Produkt – er braucht Haltung, Übersicht und den Mut zur Transformation.
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Der industrielle Mittelstand steht unter zunehmendem Veränderungsdruck. Wer heute erfolgreich führen will, braucht mehr als ein gutes Produkt – er braucht Haltung, Übersicht und den Mut zur Transformation.

Der industrielle Mittelstand steht vor gewaltigen Herausforderungen: Exportabhängigkeit, Zollthemen in der DACH-Region, Fachkräftemangel und technologische Zyklen, die sich rasant verkürzen. Unternehmen geraten zunehmend unter Druck – nicht nur durch globale Konkurrenz, sondern auch durch regulatorische Engpässe. Besonders der Mittelstand, oft mit schlanken Strukturen und hoher Exportquote, muss sich fragen: «Wie reagieren wir auf verschärfte Rahmenbedingungen? Wie gestalten wir Veränderung, statt ihr nur hinterherzulaufen?»

Wer heute erfolgreich führen will, braucht mehr als ein gutes Produkt – er braucht Haltung, Übersicht und den Mut zur Transformation. Doch wo beginnt Veränderung – und wo endet operative Verantwortung?

Ein Erfahrungsbericht zwischen CEO-Mandat, Nachfolge und strategischer Begleitung.

Der Mittelstand ist anders – und das ist seine Stärke

In meiner Laufbahn durfte ich alle Ebenen der industriellen Wertschöpfung durchlaufen – vom Zerspanungsmechaniker über Vertriebs- und Führungspositionen bis hin zur Verantwortung als CEO eines international tätigen Präzisionswerkzeugherstellers. Diese Biografie ist kein Einzelfall, sondern typisch für den Mittelstand: Nähe zum Produkt, Hands-on-Mentalität, kurze Entscheidungswege und Mut zur Verantwortung.

Doch genau diese Stärken geraten unter Druck, wenn sich Märkte verschieben, digitale Vertriebswege erwartet werden und Geschäftsmodelle neu gedacht werden müssen. Transformation ist heute keine Ausnahme – sie ist Dauerzustand. Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, ob man sich verändert, sondern wie bewusst und vorausschauend man es tut.

Transformation ist kein Projekt – sie ist ein Führungsprinzip

Transformation beginnt nicht mit Tools oder Workshops, sondern mit Haltung. Es geht darum, frühzeitig Veränderungen zu erkennen, Weichen zu stellen und die Organisation mitzunehmen. In den letzten Jahren habe ich u. a. ein Unternehmen in den USA übernommen und integriert, Vertriebsstrukturen in Asien aufgebaut, das Portfolio strategisch weiterentwickelt und dabei die wirtschaftliche Stabilität gesichert – trotz volatiler Märkte.

Parallel dazu haben wir einen kulturellen und strukturellen Generationenwechsel vollzogen: Von zentralistischer Führung hin zu mehr Eigenverantwortung und dezentraler Kompetenz. Neue Schlüsselpositionen wurden mit Persönlichkeiten besetzt, die modernes Denken und unternehmerischen Weitblick verbinden.

Aktuell treiben wir die Digitalisierung operativ voran: CRM, papierlose Fertigung und ein neues PPS-System befinden sich in Umsetzung, ein neuer Webshop folgt in Kürze.

Innovation entsteht heute nicht mehr isoliert, sondern im Austausch: durch interdisziplinäre Teamzirkel, agile Führungsinstrumente und laufende Portfolioanalysen. Das BCG-Portfolio hat sich hier als praxistaugliches Steuerungstool bewährt: „Cash Cows“ sichern, „Stars“ fördern – und „Poor Dogs“ auch dann loslassen, wenn emotionales Festhalten verlockend wäre. Ebenso wichtig: „Question Marks“ mit Weitblick beobachten, Potenziale erkennen und auf Basis belastbarer Kriterien entscheiden, wann ein Projekt gefördert oder beendet wird.

Ergänzend zur kulturellen Transformation braucht es ein ganzheitliches Führungscockpit. Im Handel konzentrieren sich die Steuerungsgrößen oft auf Vertrieb, Logistik und Finanzen. Im produzierenden Mittelstand ist es komplexer: Hier kommen Fertigung, PPS, Lieferperformance, Technologie, OEE und Qualität hinzu. Ein solches System schafft Transparenz – und damit Handlungsfähigkeit.

Viele Unternehmen sind hier noch fragmentiert aufgestellt: Daten sind zwar vorhanden, aber nicht integriert oder nutzbar gemacht. Eine intelligente, kennzahlenbasierte Steuerung – verbunden mit unternehmerischem Gespür – wird zum Schlüsselinstrument jeder erfolgreichen Führung.

Was dabei oft unterschätzt wird: Die Reflexionsfähigkeit der Führungskraft selbst. Das Johari-Fenster ist für mich ein zentrales Instrument. Nur wer bereit ist, sich auch selbst in Frage zu stellen, kann andere glaubwürdig führen. Transformation beginnt im Kopf – und sie braucht Vorbilder.

Operative Führung endet – Verantwortung bleibt

Gerade im Übergang – ob familiär, altersbedingt oder strategisch – suchen Unternehmen häufig temporäre Führung. Interim-CEOs, Beiräte mit operativer Erfahrung oder projektbezogene Begleiter können dabei wertvolle Impulsgeber sein. Wichtig ist: Sie übernehmen nicht nur Aufgaben, sondern stiften Orientierung.

Denn operative Führung endet irgendwann – doch strategische Verantwortung bleibt.

Verantwortung teilen – nicht verschieben

In meiner Rolle als Gremienmitglied bei Swissmem im Bereich Präzisionswerkzeuge erlebe ich, wie wichtig internationale Netzwerke und Erfahrungsaustausch für KMU sind. Gerade im Mittelstand gilt: Transformation gelingt nicht im Alleingang. Sie braucht den Dialog, das Sparring – und manchmal den Impuls von außen.

Beiräte, Interimsmanager oder externe Berater sollten keine Kontrolleure sein, sondern Katalysatoren. Ihre Rolle ist nicht Überwachung, sondern Ermöglichung.

Fazit: Zukunft ist kein Zustand – sie ist eine Entscheidung

Der industrielle Mittelstand hat enormes Potenzial – technologisch, menschlich, unternehmerisch. Doch er braucht neue Denkmodelle: Wie wollen wir führen? Wie begleiten? Wie übergeben?

Transformation gelingt, wenn operative Erfahrung auf strategische Klarheit trifft – und wenn Führung nicht als Macht, sondern als Verantwortung verstanden wird.

Dabei dürfen wir eines nicht vergessen: Die Zukunft liegt auch in den Menschen, die wir heute entdecken und entwickeln. Junge Talente – echte Rohdiamanten – verdienen es, früh erkannt und gefördert zu werden. Wer Unternehmensnachfolge ernst meint, muss bereit sein, nicht nur Strukturen, sondern auch Verantwortung weiterzugeben.

Das ist mein Verständnis von Zukunft.

Autorenprofil
Ludger Ignaszak

Ludger Ignaszak ist CEO und Gremienmitglied bei Swissmem im Bereich Präzisionswerkzeuge. Er verfügt über eine fundierte technische Ausbildung sowie einen Masterabschluss in Betriebswirtschaft und Organisationspsychologie – und kennt den industriellen Mittelstand aus allen Perspektiven: von der Werkbank bis zur internationalen Geschäftsführung.

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