Das Schutzschirmverfahren in der Praxis

Alleingang des Insolvenzgerichts
Obwohl das Insolvenzgericht den von Dailycer vorgeschlagenen vorläufigen Sachwalter im Schutzschirmverfahren zunächst bestellt hatte und obwohl der vorläufige Gläubigerausschuss diesen einstimmig unterstützt hatte, ernannte das Insolvenzgericht bei anschließender Insolvenzeröffnung kurzerhand einen anderen Sachwalter. Der von dem Schuldner und den Gläubigern übereinstimmend gewünschte Sachwalter sei „nicht unabhängig“. Der Alleingang eines Insolvenzgerichts gegen den Willen des Schuldners, der Gläubiger und des Gesetzgebers kann, wie im Beispiel Dailycer, das operative Geschäft vorübergehend zum Erliegen bringen und die Sanierung gefährden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die eigenverwaltende Geschäftsführung und der Sachwalter aufgrund von Misstrauen nicht genügend miteinander kooperieren.

Der Zug ist nicht abgefahren: Das ESUG schenkt den Unternehmern Zeit und soll ihnen die Angst vor einem Insolvenzantrag nehmen. Bild: Keuking Kühn Lüer Wojtek

Nichtbeachtung des ESUG
Das Insolvenzgericht hatte bei der Bestellung des Sachwalters allerdings die Neuerungen in der Insolvenzordnung seit Inkrafttreten des ESUG nicht beachtet. Seit dem 01.03.2012 ist die Gläubigerautonomie gestärkt. Die Auswahl des Sachwalters liegt maßgeblich in der Hand des Schuldners und des vorläufigen Gläubigerausschusses. Einigt sich der Gläubigerausschuss einstimmig auf einen Sachwalter, muss das Insolvenzgericht diesen grundsätzlich auch bestellen. Es kann den Sachwalter nur dann ablehnen, wenn er offensichtlich ungeeignet ist. Dies ist er nach dem Gesetz jedenfalls dann, wenn er nicht unabhängig ist.

Sanierung dennoch geglückt
Im Fall Dailycer gelang die (übertragende) Sanierung letztlich dennoch. Die Gläubigerversammlung hat mit überragender Kopf- und Summenmehrheit den vom Insolvenzgericht oktroyierten Sachwalter abgewählt und zugleich einen von breitem Konsens getragenen neuen Sachwalter bestimmt.

Fazit:
Wie das Schutzschirmverfahren der Neumayer Tekfor Gruppe zeigt, ist der Ansatz des ESUG gut und richtig. Es bietet den Gläubigern die Möglichkeit, verstärkt auf die Auswahl der Akteure im Insolvenzverfahren Einfluss zu nehmen. Es ist zu erwarten, dass Anlaufschwierigkeiten auf Seiten einzelner Insolvenzgerichte bei der Anwendung des ESUG wie im Beispiel Dailycer demnächst überwunden werden. Schutzschirme, Insolvenzpläne etc. sollten jedoch von erfahrenen Profis erwirkt werden, die das „Stakeholder Management“ beherrschen, in der Kommunikation die Beteiligten „mitnehmen“ und aufgrund nachgewiesener Track Records in der Lage sind, Vertrauen zu schaffen.

Autorenprofil

Prof. Dr. Georg Streit ist Rechtsanwalt und Partner sowie Leiter der Praxisgruppe Restrukturierung bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek in München. Er ist beratend und forensisch in allen Bereichen tätig, die durch den Themenkreis Krise/Sanierung/Insolvenz in juristischer Hinsicht angesprochen sind. www.heuking.de

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