Carve-out: Katalysator für gesunde Unternehmensstrukturen

Warum Mittelständler auch komplexe (Teil-)Verkäufe ins Auge fassen sollten

Die Durchführung eines Carve-outs ist äußerst komplex und kann bei unzureichender Vorbereitung das ganze Projekt gefährden.
Foto: © Olivier-Le-Moal_AdobeStock

Der Wandel zu einem zukunftsfähigen und finanziell starken Unternehmen wird immer mehr zu einer immensen Herausforderung. Eine Lösung könnte sein, die Transformation durch einen Teilverkauf zu finanzieren. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten – denn die Durchführung eines sogenannten Carve-outs ist äußerst komplex und kann bei unzureichender Vorbereitung und mangelnder Erfahrung das ganze Projekt gefährden.

Für Unternehmen zählt das Portfoliomanagement mit zu den anspruchsvollsten Themen. Gründe für einen Verkauf gibt es einige – sei es eine strategische Neuausrichtung oder die Erfüllung regulatorischer Vorgaben. Ein probates Mittel zur Zielerreichung können hier Mergers & Acquisitions (M&A) sein, denn immerhin wirkt sich der Kauf eines „gesunden“ Unternehmens nach der Integration oder Abspaltung eines „ungesunden“ Tochterunternehmens oder Unternehmensteils unmittelbar und direkt positiv auf den Cashflow aus. Außerdem kann der M&A-Prozess oftmals schneller und einfacher umgesetzt werden als der organische Umbau eines Unternehmens, da die Einheit nach einer effektiven Implementierung oder Abspaltung unmittelbar handlungsfähig ist. Für viele Mittelständler stellt sich diese Situation jedoch nicht so leicht dar, da oftmals kein reines Beteiligungsportfolio wie bei einer Holding oder einem Konzern besteht. Geschäftsbereiche und Produktgruppen sind oft stärker von der Mutter abhängig oder mit dieser durch Prozesse und Systeme an bestimmten Schnittstellen miteinander verwoben. In der Regel hängen organisatorische Untereinheiten von internen Konzernleistungen ab. Wenn in einem M&A-Prozess derart aneinander gekoppelte Unternehmensteile voneinander getrennt werden, spricht man von einem Carve-out.

Transformation durch Teilverkauf finanzieren

Carve-outs sind Abspaltungen beziehungsweise Veräußerungen von Unternehmensteilen oder einzelnen Geschäftsbereichen eines veräußernden Unternehmens. Sie beschreiben eine Situation, in der das Desinvestment, also der Verkauf im Rahmen eines M&A-Prozesses, komplexe Entflechtungsschritte von der veräußernden (Mutter-)Gesellschaft inkludiert. Dabei ist es unerheblich, ob die Umsetzung durch den Verkauf der gehaltenen Anteile an einer rechtlich eigenständigen Einheit, die Veräußerung von Teilen oder aller Aktiva eines Unternehmens erfolgt. Das bedeutet, die Komplexität entsteht durch den Abspaltungsprozess von der Mutter und damit durch die Anzahl und Güte der Entflechtungsschritte sowie den damit verbundenen Zeithorizont und die Kosten. Diese liegen bei bis zu 5% des Transaktionsvolumens und orientieren sich je nach Multiplikator an rund 10% des Umsatzes des zu veräußernden Unternehmensteils. Doch zunächst müssen die Unternehmen ihre genaue Ausgangslage analysieren, ihre strategische Ausrichtung determinieren und in konkrete operative Maßnahmen übersetzen. Dabei erfordert die strategische Transformation in vielen Fällen eine radikale Neuausrichtung der Unternehmenswertschöpfung oder zumindest von Teilen davon: Einzelne Angebote, regionale Märkte oder komplette Produktions- und Vertriebswege kommen dabei auf den Prüfstand. Unzureichende Vorbereitung, fehlendes Know-how oder eine zu optimistische Einschätzung des Zeitrahmens, des Ressourcenbedarfs oder der vielzähligen Detailaspekte können das gesamte Projekt gefährden. Deswegen ist eine präzise Planung des Prozesses entscheidend.

Carve-out: Alternative auch für Mittelständler

Daher sollte jedes Unternehmen die Komplexität von M&A-Prozessen möglichst minimieren, um auch einen effektiven Vorteil gegenüber einem organischen Vorgehen zu erzielen. So kann sich auch für Mittelständler ein komplexer Carve-out lohnen, da es für ein Unternehmen derzeit überlebensnotwendig sein kann, sich auf das Kerngeschäft zu fokussieren und gesunde, aber nicht wesentliche Produktgruppen und Geschäftsbereiche abzustoßen. Ein gezielter Fokus auf die Kernwertschöpfung eines Unternehmens setzt Kapital und Ressourcen frei, welche dann zur Stärkung der Passivseite der Bilanz oder für Investitionen in notwendige Innovationsprojekte und zur Gestaltung der Zukunftsfähigkeit eingesetzt werden können. Das trifft umso mehr zu, wenn es sich bei den zu veräußernden Geschäftsfeldern, Fertigungslinien oder Produkten um „schwarze Löcher“ handelt, die die Liquidität der Gesellschaft in erster Linie schwächen. Voraussetzung für eine wertschaffende Managemententscheidung dabei ist eine sorgfältige strategische Analyse, welche Unternehmensbereiche abgestoßen werden sollen – es sei denn, sie liefern positive Effekte im Rahmen von Cross-Selling-Effekten oder einen wichtigen Teil zum Deckungsbeitrag.

Gute Bedingungen in kompetitivem Marktumfeld

Die Geldschwämme der letzten Jahre und der starke Andrang hin zu alternativen Anlageklassen hat die Investmenttöpfe der Finanzinvestoren prall gefüllt, sodass derzeit in vielen Branchen eine erhöhte Nachfrage nach Produkten und Geschäftsbereichen besteht. Gut positionierte strategische Käufer suchen nach passenden Gelegenheiten, zu diversifizieren oder bestehende Geschäftsbereiche auszubauen und Marktanteile zu erhöhen. Prozesse laufen in der Regel sehr kompetitiv ab: Verkäufer können attraktive Bewertungen für ihre Carve-outs einholen; Prozessaufwand und -ertrag stehen dabei in einem sehr attraktiven Verhältnis.

Aber auch regulatorische Gegebenheiten oder interne Kulturrevolutionen können einen Transformationsbedarf hervorrufen. Aktuelle Beispiele sind der gestiegene Handlungsdruck durch die Taxonomie-Verordnung oder die Anforderungen seitens der Mitarbeiter an neue Arbeitsbedingungen – denn ESG-Konformität ist schon lange kein „Nice-to-have“ mehr. Dieses Kriterium bildet nunmehr einen wesentlichen Bestandteil für Kreditratings oder im Kriterienkatalog von Eigenkapitalgebern. Geschäftsteile, welche die ESG-Konformität signifikant verschlechtern, können ebenfalls in Form eines Carve-outs abgestoßen werden.

Fazit

Generell ist Unternehmen zu empfehlen, M&A als Instrument strategischer Zukunftsgestaltung zu betrachten und weniger unter den Gesichtspunkten des Aufwands und der Kosten. Natürlich sollte sich eine Transaktion auch „rechnen“ und die finanziellen Vorteile überwiegen – sie sollte aber nur dann umgesetzt werden, wenn sich dadurch die gewünschten Ziele schneller und/oder langfristig erreichen lassen. Carve-outs können daher für größere Mittelständler und Konzerne ein sehr valides, wertschaffendes Instrument sein, um eine kurz- bis mittelfristige Lösung bei Liquiditätsengpässen und Kapitalentlastungen zu erhalten. Außerdem unterstützen sie bei der Wegbereitung eines langfristig angelegten Geschäftsmodells und dienen zur strategischen Positionierung gegenüber dem Wettbewerb.

Autorenprofil
Andre Waßmann

Andre Waßmann ist Mitglied der Geschäftsleitung und Head of M&A | Corporate Finance bei Helbling Business Advisors. Zudem ist er Managing Partner bei Corporate Finance International (CFI) dem M&A-Netzwerkpartner, zu dessen Gründungsmitgliedern Helbling Business Advisors zählt. Er hat mehr als zwanzig Jahre Erfahrung als M&A-, Corporate-Finance- und Strategie-Berater für mittelständische Kunden aus der Industrie sowie Banken, Versicherungen und Kapitalmärkte.

Vorheriger ArtikelAusnahmesituation oder unternehmerisches Risiko?
Nächster ArtikelDBAG-Portfolio leidet unter Dauerkrise