Binnenmarkt- statt Exportorientierung

Ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 7,5% würde in westlichen Volkswirtschaften Jubel hervorrufen – im Falle Chinas dagegen wird diese Zahl vielfach skeptisch gesehen. „China verliert als weltweiter Wachstumstreiber an Schwung“ – so kommentiert die Wirtschaftspresse die aktuelle Entwicklung. Gibt es vielleicht sogar ein „hard landing“ für die chinesische Wirtschaft? Nein, denn bei einer längerfristigen Betrachtung gibt es gute Gründe für die Einschätzung, dass der chinesische Markt in den nächsten Jahren für den deutschen Mittelstand weiterhin interessant bleibt, vielleicht sogar noch mehr an Attraktivität gewinnen wird.

Wirtschaftlicher Höhenflug

China bewegt sich seit über 30 Jahren auf einem historisch einmaligen Wachstumskurs. Den Grundstein hierzu legte 1979 der marktorientierte Pragmatiker Deng Xiaoping, der sich mit den damals beschlossenen Wirtschaftsreformen die Modernisierung Chinas zum Ziel gesetzt hatte. Seitdem wächst die chinesische Wirtschaft um durchschnittlich 10% jährlich. Dabei gab es Spitzenjahre wie 2007 mit einem Plus von über 14%. Daran gemessen sieht eine Halbierung auf jetzt rund 7,5% auf den ersten Blick wie ein dramatischer Einschnitt aus. Ist der Ausblick für die Wirtschaft Chinas in der Tat so kritisch?

Stabile Aussichten

Es kann sicherlich nicht davon ausgegangen werden, dass China auch in den nächsten Jahren ein Wachstum von 10% erleben wird. Wohl aber ein gesundes und für westeuropäische Verhältnisse geradezu erstrebenswertes Wachstum zwischen 7 und 8%, wie es die chinesische Regierung auch als langfristige Orientierungsgröße vorgegeben hat. Es wird sich auch nicht mehr wie in der Vergangenheit vorwiegend aus dem Export speisen, sondern maßgeblich aus der Entwicklung des chinesischen Binnenmarktes. Dies sieht der 12. Fünfjahresplan (2011–2015) vor, der den Charakter des chinesischen Wirtschaftsmodells verändert: von der export- und investitionsinduzierten Struktur der letzten 30 Jahre hin zu einem Wachstumsmuster, das immer stärker von den chinesischen Konsumenten angetrieben wird.

Wachsender Mittelstand

Heute gehören bereits rund 200 bis 300 Millionen Menschen in China der Mittelschicht an, bis 2020 wird ihre Zahl auf rund 680 Millionen geschätzt. Laut dem staatlichen statistischen Jahrbuch Chinas sind die Durchschnittseinkommen in den Städten zwischen den Jahren 2000 und 2010 von 9.333 auf 36.539 Yuan gestiegen, haben sich also fast vervierfacht. Einerseits verliert die Volksrepublik damit ihren Status als Billiglohnland, denn für Investoren, die ausschließlich auf günstige Produktionsstätten setzen, wird sie unattraktiv. Andererseits steigen dadurch Kaufkraft und Interesse an Konsumgütern weiter. So entwickelt sich die ehemalige verlängerte Werkbank der Welt mit ihren 1,3 Milliarden Einwohnern dank stark steigender Binnennachfrage mehr und mehr zum attraktiven Absatzmarkt. Neben den klassischen, verarbeitenden Industrien dürfte vor allem die Nachfrage in den Bereichen Verkehr, Energieerzeugung, Umwelttechnik und Gesundheitswesen zunehmen.

Chance für deutsche Unternehmen

Deutsche Unternehmen bringen alle Voraussetzungen mit, um diesen Bedarf zu decken und die Modernisierung der chinesischen Volkswirtschaft mit Produkten, Verfahren und Know-how zu begleiten. Sie sollten sich dabei allerdings bewusst sein, dass gewerbliche Schutzrechte in China nicht die Bedeutung haben wie in Europa. Auch der Know-how-Transfer fließt in der Regel einseitig aus deutschen Unternehmen heraus und in chinesische Unternehmen hinein. Dennoch überwiegen weiterhin die Vorteile: „Made in Germany“ oder „Made by Germany“, deutsche Unternehmen genauso wie deutsche Marken, sind in China sehr angesehen. Unternehmen, die bereits vor Ort sind, sehen die Perspektiven durchweg optimistisch. Das zeigen u.a. die Ergebnisse des Business Confidence Survey, den die Deutsche Handelskammer in China jährlich unter ihren rund 2.000 Mitgliedsunternehmen durchführt: Die hier aktiven deutschen Unternehmen rechnen mit mehr Aufträgen und planen weitere Investitionen. Bis 2015 will jedes zweite Unternehmen deutlich mehr investieren und neue Niederlassungen eröffnen.

Neue Anforderungen an Finanzierungsstruktur

Allerdings nimmt der Wettbewerb in China zu. Die größten Konkurrenten bleiben zwar weiterhin europäische Firmen, mittlerweile sehen sich deutsche Unternehmen aber zunehmend mit chinesischen Wettbewerbern konfrontiert. Das führt zu einem verstärkten Trend, in China Entwicklungs- und Produktionsabteilungen aufzubauen, um Produkte weiter an lokale Zielgruppen anzupassen und Kostenstrukturen zu optimieren. Dazu müssen deutsche Firmen auch ihre Finanzierungsstrukturen umstellen, um ihre Liquidität auch vor Ort in der chinesischen Währung Renminbi (Chinese Yuan, CNY) zu sichern. Im Zuge der schrittweisen Liberalisierung der chinesischen Währung bieten sich dafür vor allem drei Möglichkeiten: bilateraler Kredit, syndizierter Kredit und Renminbi-Anleihen am Finanzplatz Hongkong (Dim-Sum-Bonds).

Chancen durch Öffnung

Dim-Sum-Bonds sind Anleihen, die am Finanzplatz Hongkong in der chinesischen Landeswährung Renminbi begeben werden. Im Juli 2010 haben die Regulierungsbehörden in Peking und Hongkong dafür grünes Licht gegeben, seitdem können Investoren in Hongkong ohne Beschränkungen in Renminbi-denominierte Anleihen investieren. Aufgrund der großen Nachfrage nach den knappen Wertpapieren profitieren Unternehmen, die solche Anleihen begeben, von deutlich niedrigeren Finanzierungskosten als in Festland-China. Entsprechend stark wächst das Interesse an Dim-Sum-Bonds. So übertraf das Volumen der in der chinesischen Devise begebenen Unternehmensanleihen im III. Quartal 2011 erstmals die Bond-Emissionen in Euro, was allerdings auch etwas mit den Unsicherheiten durch die Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone zu tun hat.

Handel in Landeswährung möglich

Neben diesen vielseitigen Finanzierungsmöglichkeiten können ausländische Unternehmen dank der weiteren Öffnung des Landes inzwischen auch Abkommen wie das RMB Trade Settlement Scheme für den Zahlungsverkehr mit ihren chinesischen Partnern nutzen. Die großen Kreditinstitute bieten ihren Firmenkunden in Deutschland seit 2011 an, grenzüberschreitende Handelsgeschäfte mit dem chinesischen Festland in Renminbi abzuwickeln. Neben reduzierten Kosten entfällt mit der Vereinbarung des RMB Trade Settlement Scheme auch ein zusätzlicher zeitintensiver Aufwand. Neben der Fakturierung für Import- und Exportgeschäfte in CNY sind nun Festpreisvereinbarungen in CNY möglich. Dies reduziert die Nachverhandlungen aufgrund von Kursveränderungen und Preisanpassungen mit dem chinesischen Partner spürbar. Eine Reihe von Erleichterungen also, die noch dadurch ergänzt werden, dass Unternehmen bei ihrem alltäglichen Zahlungsverkehr in China nicht unbedingt mit fremden asiatischen Banken zusammenarbeiten müssen. Deutsche Großbanken, die eigene Filialen in China besitzen, bieten dort leistungsstarke Cash-Management-Services.

Fazit:
Insgesamt lässt sich zu den Perspektiven aus deutscher Sicht festhalten, dass es sich bei den sinkenden Wachstumszahlen nicht um ein „hard landing“ der chinesischen Wirtschaft handelt, sondern sich ein gesünderes Wachstum auf hohem Niveau einstellt. Für deutsche Mittelständler ist China nach wie vor attraktiv – und dies nicht zuletzt, um die zusehends wachsende chinesische Binnennachfrage zu bedienen.

Autorenprofil

Michael Kotzbauer ist Regionalvorstand Asien der Commerzbank AG. Das Bankhaus konzentriert sich auf das Privat- und Firmenkundengeschäft und konnte 2011 ein Konzernergebnis von 638 Mio. EUR erzielen. www.commerzbank.de

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