Auf eigenen Beinen stehen

„Wir wollen die neue Freiheit in der Entscheidungsfindung nutzen“

Hilfe mit Gewinn: Mit dem Hochfahren der Produktion konnte Exolon einen Beitrag leisten um die Verbreitung des Coranavirus zu verlangsamen Foto: © Exolon Group

Im Januar 2020 verkaufte der Kunststoffhersteller Covestro sein Geschäft mit Polycarbonat- und Polyesterplatten an die Beteiligungsgesellschaft Serafin. Unter dem neuen Namen Exolon Group will die jetzt eigenständige Firma wachsen und neue Märkte erschließen. VON BÄRBEL BROCKMANN

Die Coronapandemie brachte der Exolon Group einen Schub im Auftragseingang – alle Welt brauchte auf einmal transparente Kunststoffplatten: für Trennwände im öffentlichen Bereich wie etwa an Supermarktkassen oder in Gaststätten, aber auch für medizinische Visiere. Die in Pulheim bei Köln ansässige Firma passte im März die Produktionslinien in ihren beiden Fertigungsstätten in Belgien und Italien zügig an, um der Nachfrage bestmöglich gerecht zu werden. „Mengenmäßig haben wir von der Entwicklung natürlich profitiert. Gleichzeitig konnten wir damit einen Beitrag leisten, die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen“, sagt Geschäftsführer Jens Becker. Für ihn ist die aktuelle Krise auch eine Gelegenheit, zu zeigen, wie nützlich Kunststoff ist. „Auf einmal sehen viele Menschen auch die Vorteile: Kunststoff ist leicht, stabil und hygienisch.“

Die von der EU für das nächste Jahr geplante Kunststoffabgabe auf nicht-recycelte Abfälle trifft Exolon nach Beckers Überzeugung nicht. Die Produkte der Exolon Group seien sehr langlebig, Produktgarantien von zehn Jahren und mehr seien nicht selten. Außerdem fallen bei der Herstellung von Polycarbonatplatten kaum Abfälle an. Das Exolon-Produktspektrum ist breit – die transparenten, transluzenten oder opak eingefärbten Kunststoffplatten kommen in der Überdachung von Sportstadien oder Bahnhöfen ebenso zum Einsatz wie bei Gewächshäusern, im Designbereich, als Oberflächenschutz für große Displays oder als Maschinenschutzabdeckung.

Neue strategische Möglichkeiten

Bei der früheren Muttergesellschaft Covestro machte der Kunststoffplattenbereich nur einen kleinen Teil der Aktivitäten aus. Er stand schon länger nicht mehr im Fokus und bekam daher auch nicht die Mittel, die zu einer Weiterentwicklung nötig gewesen wären. „Eine kleine Einheit in einem großen Konzern bekommt manchmal nicht die Aufmerksamkeit und schnellen Entscheidungen, die im Einzelfall nötig wären“, sagt Becker, der das Unternehmen seit Januar zusammen mit seinem Kollegen Ralf Geh ring führt. Als eigenständige Gesellschaft hat sich dies nun geändert. Neben den operativen Herausforderungen, die durch die Herauslösung, den Carve-out, entstanden sind, wie beispielsweise die Einführung eines eigenständigen IT-Systems, ergeben sich für das Management auch weitreichende strategische Möglichkeiten. Als mittelständisch aufgestelltes Unternehmen könne sich die Exolon Group zukünftig gezielter auf den Vertrieb konzentrieren und flexibler auf Kundenanfragen reagieren, als es während der Zugehörigkeit zu Covestro möglich gewesen sei, erläutert Becker. Im Übrigen sei die Exolon Group zwar neu am Markt, aber dennoch weithin bekannt. „Wir blicken auf eine über 40-jährige Erfahrung in der Plattenextrusion zurück“, sagt der Geschäftsführer.

Weiter verbunden mit Covestro

Mit Covestro bleibt die Exolon Group durch einen Liefervertrag verbunden. Die ehemalige Muttergesellschaft, selbst durch die Ausgliederung der Kunststoffsparte aus dem Bayer-Konzern entstanden, liefert weiterhin einen Großteil des Kunststoffgranulats für die Herstellung der Massiv- und Stegplatten von Exolon. Serafin-Geschäftsführer Martin Pfletschinger beurteilt das positiv: „Wir scheuen die Komplexität im Transaktionsprozess nicht, die eine fortzuführende Verbindung zum ehemaligen Eigentümer darstellt.“ Für Covestro wiederum sei Serafin ein willkommener Partner, weil man ein langfristiger Investor ohne vordefinierte Halteperioden sei und damit große Stabilität in die Geschäftsbeziehung bringe. Serafin hat sich Exolon ins Portfolio geholt, weil man darin eine Herausforderung sah. „Wir finden Fälle spannend, bei denen es nicht primär darum geht, einen passiven Geldgeber zu finden, sondern bei denen es zusätzlich noch Gestaltungsmöglichkeiten gibt und die Notwendigkeit, einen aktiven Investor zu haben, der diesen Veränderungsprozess unterstützt“, sagt er. Serafin habe die Perspektive und das Potenzial des Unternehmens gesehen, wenn es aus dem großen Konzern herausgelöst und als eigenständiges mittelständisches Unter-nehmen etabliert werde, erklärt Pfletschinger, der in der Serafin-Geschäftsführung für den Bereich Unternehmenserwerb zuständig ist.

Exolon auf Wachstumskurs

Um eine erfolgreiche Aufstellung als mittelständisches Unternehmen zu gewährleisten, arbeitet Serafin vornehmlich während und nach Abschluss der Transaktion mit eigenen Mitarbeitern. Neben der finanziellen und kommerziellen Prüfung der Transaktion durch das eigene Investmentteam erfolgt die rechtliche Prüfung durch die interne Rechtsabteilung. „Unser Ziel ist es, dass bei einer Carve-out-Transaktion das Unternehmen operativ zügig wieder in das Tagesgeschäft zurückkehren kann und keine Kapazitäten vor Ort unnötig gebunden werden“, so Pfletschinger.

Mit Beginn der Eigenständigkeit im Januar stand in den ersten Monaten die Etablierung von eigenen IT- und Finanzstrukturen im Fokus. Serafin steht Exolon auch bei strategischen Fragestellungen zur Seite. „Aufgrund unseres langfristigen Investitionsansatzes ist es essenziell, auch für die mittel- und langfristige Entwicklung des Unternehmens Konzepte zu entwickeln“, erklärt Pfletschinger. Für die Zukunft werde Serafin die Exolon Group dabei unterstützen, sowohl organisch als auch durch Zukäufe zu wachsen.


Interview mit Jens Becker: „Wir wollen die neue Freiheit in der Entscheidungsfindung nutzen“

Unternehmeredition: Exolon ist seit Januar eine eigenständige Gesellschaft. Welche Aufgaben stehen aktuell im Vordergrund?
Becker: 
Der Carve-out hat sehr gut funktioniert. Wir sind jetzt in der Phase der Analyse. Wir sehen uns alle Bereiche, Standorte und Prozesse sehr genau an. Wir analysieren, wo wir von den Produkten her gut aufgestellt sind und wo wir noch Nachholpotenzial feststellen können. Wir stellen uns viele Fragen. Noch ist nichts entschieden – es ist eine spannende Zeit.

Jens Becker, Geschäftsführer der Exolon Group

Ist schon absehbar, wo Sie ansetzen werden?
Wie gesagt: Entschieden ist noch nichts, aber aktuell prüfen wir zum Beispiel die Möglichkeit, unsere Kapazitäten im Werk in Belgien zu erhöhen. Parallel dazu schauen wir uns unseren Kundenmix genau an.

Exolon hat derzeit Europa als Zielmarkt. Wird sich daran etwas ändern?
Unsere Märkte sind tatsächlich bislang hauptsächlich in Europa. Aber wir haben auch schon nach Australien, Südamerika und vereinzelt nach China exportiert. Unser Ziel ist es jedoch durchaus, die neugewonnene Freiheit in der Entscheidungsfindung zu nutzen, um geografisch neue Märkte zu erschließen und Kunden in Ländern zu gewinnen, in denen wir bislang nicht so aktiv waren.

Der neue Eigentümer, die Serafin-Gruppe, lässt Sie also machen?
Die Exolon Group wird als eigenständige Gruppe innerhalb der Serafin-Gruppe geführt. Unser Eigentümer gibt Unternehmen mit industrieller Wertschöpfung eine Heimat. Bei übergreifenden Themen, etwa bei SAP-Anpassungen, stellt sie uns Projektmanager zur Verfügung. Das hilft uns sehr.


Kurzprofil Exolon Group

Gründungsjahr: 2020
Branche: Kunststoff
Unternehmenssitz: Pulheim
Umsatz 2019: 120 Mio. EUR
Mitarbeiterzahl: 280
www.exolongroup.com

Diese Fallstudie ist erschienen in der Unternehmeredition 3/2020.

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