Im Interview beleuchten Dr. Marc Feiler, Geschäftsführer der Börse München, und Dr. Rainer Wienke, Direktor Primärmarkt, die vergangenen 20 Jahre des Mittelstandssegments m:access der Börse München und zeigen die Chancen einer Börsennotierung für KMU auf.
Unternehmeredition: Welche bedeutenden Meilensteine hat m:access seit seiner Gründung im Jahr 2005 erreicht?
Dr. Marc Feiler: Ich erinnere mich gut an den Festakt mit Staatsminister Otto Wiesheu und das Läuten der Börsenglocke auf dem alten Parkett am Lenbachplatz. Nach ausgiebiger Analyse der europäischen KMU-Segmente, insbesondere des Alternative Investments Market (AIM) der Londoner Börse, sind wir am 1. Juli 2005 mit acht Emittenten in m:access gestartet. In kürzester Zeit folgte eine ganze Reihe erfolgreicher IPOs, darunter net die mobile AG, F 24 AG und VIB Vermögen AG. Erst ein paar Monate später führte die Deutsche Börse AG den Entry Standard ein. Bis zu den Verwerfungen der Lehman-Krise bestand in Deutschland wieder ein gutes Klima für Börsengänge, in m:access etwa für die Steico SE, die mit ihrem IPO 2007 über 70 Mio. EUR erlösen konnte. Ein weiterer Meilenstein war sicher die sogenannte Lindner-Entscheidung des OLG München und das diese Entscheidung bestätigende Urteil des Bundesverfassungsgerichts (Urteil des BverfG vom 11. Juli 2012, Az. 1 BvR 1569/08), worin das Gericht m:access eine gute Transparenz und Liquidität bescheinigt hat. Für Aktienrechtler wurde damit Rechtsgeschichte geschrieben. Die eigentlichen Meilensteine sind aber die über 200 Barkapitalerhöhungen, mit denen m:access-Unternehmen bis heute weit über 1 Mrd. EUR aufgenommen haben. Dies ist die Bestätigung unserer Ausgangsthese im Jahr 2005, dass der Kapitalmarkt auch für die Finanzierung von KMU funktioniert.
Wie hat sich der m:access All-Share-Index im Vergleich zu anderen Indizes wie DAX, MDAX und SDAX entwickelt?
Dr. Rainer Wienke: Der m:access Index ist ein All-Share-Index mit einem Gewichtungscap von 15% für die größten m:access-Unternehmen. Damit wollen wir Aufmerksamkeit auf das Segment und die Einzeltitel legen und auch den kleinsten Emittenten eine Indexzugehörigkeit ermöglichen. Der Index ist kein Auswahlindex, sondern berücksichtigt alle Unternehmen des Segments, also auch solche, die sich in einer Schieflage befinden oder befanden. Seit den Tiefstständen der Coronazeit tut sich der Index wie vergleichbare Indices schwer und kann aktuell nicht die Performance von Blue-Chip-Indices erreichen. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass in m:access echte Perlen notieren und aufgrund der derzeitigen Unterbewertung von Nebenwerten ein enormes Aufholpotenzial besteht, sowohl für Einzeltitel als auch für den Index insgesamt.
Wie hat sich die Anzahl der gelisteten Unternehmen entwickelt?
Dr. Feiler: Wir reden hier über eine Zeitspanne von 20 Jahren; in der schnelllebigen Börsenwelt eine halbe Ewigkeit. In dieser Zeit sind Segmente wie Entry Standard, Gate-M und Mittelstandsmarkt gekommen und gegangen. Die Konstante ist m:access. Insgesamt konnten wir 124 Unternehmen bei ihrem Gang an die Börse und in m:access begleiten, das waren für mich persönlich unheimlich spannende Erfahrungen. Einschließlich der drei m:access-Unternehmen der ersten Stunde – Merkur Privatbank, U.C.A und Value Holdings – sind aktuell über 60 Unternehmen gelistet. Einige sind in den Regulierten Markt oder den allgemeinen Freiverkehr gewechselt, andere wurden von strategischen oder Finanzinvestoren übernommen, einige benötigten die Börse als Finanzierungsoption nicht mehr und manche – auch das gehört zum Wirtschaftsleben – mussten Insolvenz anmelden oder konnten die Folgepflichten der Börse nicht mehr erfüllen. Seit etwa zwei Jahren ist in Deutschland im Übrigen leider ein gewisser Trend zum Going Private zu verzeichnen, der auch vor m:access nicht haltgemacht hat. Sonst wären wir jetzt sicherlich über 70 Unternehmen. Wichtig ist aber, dass der mittel- und langfristige Trend stimmt – und da gehen wir selbstverständlich von weiterem Wachstum aus.
Gab es im Jahr 2024 bemerkenswerte IPOs oder Kapitalerhöhungen in m:access?
Dr. Wienke: Im letzten Jahr hatten wir in m:access insgesamt 13 Barkapitalerhöhungen in einem Gesamtvolumen von rund 450 Mio. EUR. Echte IPOs mit Prospekt und öffentlichem Angebot sind derzeit rar. Häufiger anzutreffen sind Private Placements mit anschließender Notierungsaufnahme an der Börse und daran anschließenden Kapitalerhöhungen. Neu in m:access sind seit letztem Jahr die Klassik Radio AG und der Sicherheitsdienstleister sdm SE.
Welche Branchen sind derzeit im m:access-Segment besonders stark vertreten?
Dr. Wienke: Die meisten Unternehmen entstammen den Branchen Technologie, Immobilien, Software/IT und Consumer/Leisure, gefolgt von Titeln aus der Finanzbranche und Beteiligungsunternehmen, die ihrerseits in teils ganz unterschiedliche Branchen investieren. Ganz nebenbei: m:access hat keinen Branchenfokus. Es geht um die Tragfähigkeit des Geschäftsmodells und nicht um Branchentrends.
Wie kann m:access mittelständische Unternehmen dabei unterstützen, aktuelle wirtschaftliche Herausforderungen wie steigende Energiepreise oder Fachkräftemangel zu bewältigen und in Krisensituationen zu bestehen?
Dr. Feiler: Eine Börsennotiz in m:access ermöglicht die Kapitalaufnahme durch bestehende Aktionäre und neue Investoren und kann damit wichtiger Baustein der Unternehmensfinanzierung gerade auch in Krisenzeiten sein. Die Öffentlichkeit des Kapitalmarkts verschafft dem Unternehmen eine größere Visibilität, die auch bei der Suche nach kompetentem Personal hilfreich sein kann. Mitarbeiterbeteiligungsprogramme fungieren zudem als ein zusätzliches Instrument zum Finden und Binden von Mitarbeitern. Aber wir haben natürlich weder Einfluss auf die Energiepreise noch auf die gesamtwirtschaftliche Situation.
Haben sich die Zulassungskriterien für m:access seit 2024 verändert?
Dr. Feiler: Wir setzen auf Konstanz und haben Zulassungskriterien in den 20 Jahren nur leicht angepasst, mussten sie aber nie radikal verändern. Wichtig war uns beispielsweise, dass alle Emittenten ihren Jahresabschluss zeitnah veröffentlichen – deshalb haben wir dafür im vergangenen Jahr eine zwingende Veröffentlichungsfrist implementiert. Die wenigen Unternehmen, die damit Probleme hatten, haben das Segment verlassen.
Gibt es neue Initiativen oder Programme, um den Zugang zum Kapitalmarkt für KMU zu erleichtern?
Dr. Feiler: Nach Jahren des erfolglosen „Herumdoktorens“ durch EU und nationale Gesetzgeber erhoffen wir uns von der neuen Regierungskoalition eine aktivere Rolle gegenüber dem Kapitalmarkt, auch wenn im Koalitionsvertrag die positiven Signale noch etwas verhalten erscheinen. Eine wirkliche Förderung zum Beispiel durch steuerliche Vergünstigungen für KMU-Investitionen oder eine Erhöhung der Freibeträge für private Börsengewinne und Mitarbeiteraktien ist bisher nicht vorgesehen. Hierfür werden wir gemeinsam mit weiteren Stakeholdern eintreten, etwa mit dem Interessenverband Kapitalmarkt KMU. Andere Länder in der EU haben damit durchaus gute Erfahrungen erzielt. Und nicht zuletzt hoffen wir, dass auch die kapitalmarktbasierte Altersvorsorge Dynamik gewinnt.
Welche Faktoren beeinflussen derzeit die Investitionsentscheidungen in diesem Segment?
Dr. Feiler: Diese Frage gilt für die Wirtschaft und den Kapitalmarkt generell. Die Zeiten sind von großer Unsicherheit geprägt: Wie gestaltet sich die US-Zollpolitik, wie entwickeln sich der Krieg in der Ukraine und die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten und an anderen Orten der Welt und wann und wie greift das ambitionierte Schuldenprogramm der neuen Bundesregierung, um nur einige Beispiele zu nennen. Momentan werden viele Geldbestände in Geldmarktfonds geparkt und man wartet ab. Aber es ist durchaus eine schleichende Verschiebung bei den Investoren von den USA nach Europa zu verzeichnen – davon werden auch Nebenwerte profitieren.
Welche Renditepotenziale sehen Sie aktuell für Anleger in m:access?
Dr. Wienke: Folgt man der These, dass Nebenwerte ganz besonders unter den aktuellen Rahmenbedingungen leiden, und sieht man sie demgemäß als aktuell überwiegend unterbewertet an, schlummert hier einiges an Renditepotenzial. Generelle Aussagen verbieten sich hier jedoch; es kommt ganz auf das konkrete Unternehmen und dessen Geschäftsmodell an. Aber mittelfristig ist hier gewiss Optimismus angebracht, und ich bin mir sicher: Wir erleben hier einige sehr positive Überraschungen.
Welche Ziele haben Sie für m:access in den nächsten fünf Jahren gesetzt?
Dr. Feiler: m:access ist und bleibt die Börse für den Mittelstand, und wir werden auch in fünf Jahren verlässlicher Partner für kapitalmarktorientierte KMU sein. Selbstverständlich wollen wir weiter wachsen, gerne auch wieder mit Unternehmen aus unseren Nachbarländern wie etwa Österreich und der Schweiz. Wir werden dies nicht allein, sondern gemeinsam mit unseren Partnern und Emissionsexperten schaffen, denen wir für die langjährige erfolgreiche und vertrauensvolle Zusammenarbeit ganz herzlich danken.
Lieber Herr Dr. Feiler Und Dr. Wienke, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview führte Eva Rathgeber.
👉 Dieser Beitrag ist auch in der aktuellen Magazinausgabe der Unternehmeredition 2/2025 erschienen.
ZU DEN INTERVIEWPARTNERN
Dr. Marc Feiler ist Geschäftsführer der Börse München. Der Rechtsanwalt begann 2004 als Justiziar und Leiter der Wertpapierzulassung seine Tätigkeit an der Börse München und war maßgeblich für die Entwicklung von m:access 2005 verantwortlich.
Dr. Rainer Wienke ist Direktor Primärmarkt und betreut seit seinem Eintritt in die Börse München im Jahr 2010 das Segment m:access.