Prozessmodell zur familieninternen Unternehmensnachfolge

Für ein Familienunternehmen ist wohl keine Situation so kritisch wie der Generationenwechsel. Viele Unternehmenskrisen und -insolvenzen lassen sich auf scheiternde Nachfolgeprozesse zurückführen. Auch basieren Konflikte in Gesellschafterfamilien auf ungerecht empfundenen Nachfolgeregelungen. Trotz einer mittlerweile umfangreichen Literatur zu diesem Themenfeld scheint es nach wie vor keine „goldene Lösung“ zu geben, die hilft, diesen kritischen Übergang auf einfache Art und Weise gut zu gestalten. Ein zentrales Problem ist, dass Nachfolge meist als zeitpunktbezogene Übergabeentscheidung betrachtet wird, weil hoch emotional besetzte Themen, wie Gerechtigkeit unter den Nachkommen oder Kompetenzen der Kinder, zu lange tabuisiert werden. Erfolgreicher erscheint es, die Nachfolge als Dauerfrage im Lebenszyklus einer Unternehmerfamilie, also als permanenten Prozess zu betrachten. Das vorgestellte Modell beschreibt deshalb fünf typische Phasen der Familien- und Unternehmensentwicklung im Kontext der operativen Generationennachfolge.

Erziehung zur Nachfolge
Schon mit der Geburt beginnt die erste Phase der Nachfolge. Die Frage nach dem „richtigen Weg“, um potenzielle Nachfolger an das Unternehmen zu binden, ist das wesentliche Thema. Doch ergibt sich hier eine unumgängliche Paradoxie. Natürlich wollen Unternehmereltern wie andere Eltern, dass ihre Kinder sich für den für sie passenden Lebensweg entscheiden – zugleich wünschen sich aber viele, dass dies der Weg ins Unternehmen wäre. Diese erste Phase ist durch Erziehungsstile und Alltagstheorien der Eltern gekennzeichnet. So kann aus Sorge um dessen eigenständige Entwicklung das Kind bewusst vom Unternehmen ferngehalten oder im Gegenteil aktiv an dieses herangeführt werden. Es werden wichtige Grundsteine für die Einstellung der Nachfolger zum Unternehmerdasein gelegt: Ist das Unternehmen Freude oder Last? Wirkt es identitätssteigernd oder dient es dem Gelderwerb? Es ist deshalb ratsam, das Dasein als Familienunternehmer von Beginn an als etwas Natürliches darzustellen, den Kindern das Unternehmen und dessen Historie nahezubringen, ohne sie schon in der frühen Kindheit in Richtung Nachfolge zu „programmieren“.

Entschiedenheit in der Nachfolge
Stecken in der ersten Phase die Eltern oft in der paradoxen Frage nach dem „richtigen Weg“ der Erziehung fest, ist es in der späteren Jugendphase der Kinder für diese und ihre Eltern ein gemeinsames Thema, den passenden Weg zwischen Autonomie und Fremdbestimmung zu finden. Die Frage danach, wie man herausbekommen kann, was man „wirklich“ will, ist hier für die jüngere Generation essenziell. Die ältere Generation steht nach wie vor der Frage gegenüber, ob man dem Vertreter der nachkommenden Generation tatsächlich die komplexe Führungsaufgabe eines oft über Jahrzehnte groß und komplex gewordenen Unternehmens anvertrauen kann und sollte oder in welchem Grad man ihm die freie Wahl der Lebensführung überlässt. Wichtig ist es, diese Unentschiedenheit der Beteiligten als „normal“ zu begreifen und nicht als Unsicherheit oder Launenhaftigkeit. Dass die Jüngeren nicht wissen, ob sie in die Fußstapfen der „Alten“ treten wollen, ist ebenso strukturell angelegt wie die Unsicherheit der Senioren, ob sie den Kindern die Nachfolge zutrauen. Beide Parteien können durch das Ausprobieren von Alternativen (Arbeit in den Ferien, erste Berufsjahre im fremden Betrieb) genauere Vorstellungen darüber gewinnen, wie der Übergabeprozess gestaltet werden könnte – und welche alternativen Berufskarrieren denkbar sind.

Selektion des Nachfolgers
Die Phase, in der die Entscheidung für oder gegen einen Nachfolger fällt, ist geprägt durch einen vielschichtigen sachlichen, sozialen und zeitlichen Selektionsprozess unter den Nachfolgekandidaten. Wenn hier Kriterien für die Anforderungen und klare Regeln zur Mitarbeit im Unternehmen fehlen, wie selektiert wird und wann der richtige Zeitpunkt für die Auswahl ist, sind die Entscheider oft der sogenannten Gerechtigkeitsparadoxie ausgesetzt: Die Familie stellt den Anspruch, alle Beteiligten gleichermaßen zu berücksichtigen, die Logik des Unternehmens verlangt eine klare Selektionsentscheidung, die aber wiederum erheblichen familiären Sprengstoff bergen kann. Wer eine Verletzung der eigenen Gerechtigkeitsprämissen erlebt, reagiert mit heftigen Emotionen. Werden also keine Kriterien festgelegt, können potenzielle Nachfolger in die „Nachfolgefalle“ geraten. Sie bereiten sich auf eine Nachfolge vor, die dann hinausgezögert wird, bis sich alternative berufliche Pfade schließen. Daher sollten früh die Basisanforderungen für die Nachfolge und der Selektionsprozess klar festgelegt werden, um der jungen Generation die Möglichkeit zu geben, sich darauf einzustellen. Im Zweifel sollten Familiennachfolger mindestens die Kompetenzen externer Geschäftsführungskandidaten mitbringen.

Verantwortungsübergang

Ist die Entscheidung einmal getroffen, so ist der Nachfolgeprozess keineswegs beendet. Es beginnt eine weitere, manchmal lang anhaltende Phase des Verantwortungsübergangs, in der sowohl das Überleben des Unternehmens wie auch die Beziehung der Beteiligten auf dem Spiel stehen. Frühere Auseinandersetzungen wiederholen sich nun oft verschärft: Nachfolger schwanken zwischen Überkompensation („Alles neu!“) und Regression („Papa, was soll ich machen?“). Die übergebende Generation ist oftmals enttäuscht, dass der Nachfolger entweder die Leistung der Eltern nicht wertschätzt oder sich aber nicht als eigenständig, unternehmerisch denkend erweist. Um dies zu verhindern, ist es wichtig, den Verantwortungsübergang als einen Prozess anzulegen. Die Nachfolgegeneration sollte schon vor der Übergabe eigenständige Projekte bearbeiten können. Auch sollten weitere Führungskräfte in den Prozess involviert werden, die den Übergang abfedern und fernab der schwelenden Eltern-Kind-Problematik eine Beraterfunktionen übernehmen können.

Neuorientierung in der postaktiven Phase
Wenn der Moment des aktiven Abschieds aus dem operativen Geschäft gekommen ist, wählen viele Unternehmer den Weg, sich über den Beirat oder über eine Beraterposition eine Möglichkeit zu erhalten, die Geschicke des Unternehmens weiter zu beeinflussen. Dies ist nicht automatisch negativ zu werten, hängt aber stark von der Qualität der Beziehung zwischen Übergebendem und Übernehmendem ab. Die Vorzüge einer solchen Konstellation entfalten sich nur dann, wenn die übergebende Generation die postaktive Phase tatsächlich als Beratungsaufgabe begreift. Die Letztverantwortung für die Entscheidungen liegt bei den Nachfolgern. Selbst unter diesen Umständen muss die Nachfolge aber nicht zwingend gelingen.

Fazit
Es gibt eben keinen Königsweg – nur die Chance, immerfort in der Familie im Gespräch über das Thema der Nachfolge zu bleiben. Ein offener, generationenübergreifender Dialog über Anliegen und Interessen sowie Ängste und Nöte in allen fünf Phasen erhöht die Chance, tragfähige Lösungen für alle Beteiligten und für das Unternehmen zu finden.


Zu den Personen: Dr. Tom Rüsen und Torsten Groth
Dr. Tom Rüsen ist geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU) der Universität Witten/Herdecke und Vorstand der WIFU-Stiftung. Neben seiner Tätigkeit als Forscher, Dozent und Referent zum Thema Familienunternehmen ist er auch als Unternehmensberater aktiv. Dipl.-Soz. Wiss. Torsten Groth ist Lehrbeauftragter mit den Schwerpunkten Organisation und Führung am Wittener Institut für Familienunternehmen und als selbstständiger Trainer und Berater in Familienunternehmen tätig. www.wifu.de

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