„Wir wollten eine Finanzierungsform finden, die uns unabhängiger von Banken macht“

Unternehmeredition: Herr Seidensticker, in Ihrer neuen Imagekampagne stehen Sie selbst Modell und geben der Marke Seidensticker Ihr Gesicht. Was bedeutet es für Sie, in dritter Generation an der Spitze eines Familienunternehmens zu stehen?

Seidensticker:
Ich fühle mich privilegiert, Unternehmer zu sein und Dinge gestalten zu können. Aber dies schließt auch die große Verantwortung mit ein, das Familienunternehmen mit seiner fast 100-jährigen Vergangenheit erfolgreich in die Zukunft zu führen. Alles in allem ist es eine wunderbare Aufgabe. Mit unserer neuen Kampagne versuchen wir, aus der Masse der Werbebotschaften herauszustechen. Es schafft Vertrauen und wirkt authentisch, wenn sich der Unternehmer hinter sein Produkt stellt. Wir haben das Glück, dass unser Familienname perfekt zum Produkt passt. Es überrascht immer noch viele Kunden, dass Seidensticker kein Kunstname ist, und das machen wir durch die Kampagne deutlich.

Unternehmeredition: Wie beurteilen Sie die aktuelle Geschäftsentwicklung?

Seidensticker:
Im Geschäftsjahr 2011/2012 konnten wir die Umsatzerlöse um 2,5% auf rund 171 Mio. EUR erhöhen. Während wir bei den eigenen Marken erfreuliche Umsatzsteigerungen verzeichnen konnten – was u.a. mit dem Ausbau unseres eigenen Retail-Geschäfts zusammenhängt –, mussten wir im Private-Label-Geschäft, in dem wir stark international unterwegs sind, Rückgänge hinnehmen. Während der Export schwächelt, ist die Nachfrage aus Deutschland stärker als erwartet, was sich unter dem Strich wieder ausgleicht. Dieses Phänomen erleben derzeit viele Unternehmen. Insgesamt sind wir mit der Geschäftsentwicklung zufrieden.

Unternehmeredition: Welche Geschäftsbereiche und Marken umfasst Ihr Unternehmen?

Seidensticker:
Neben unseren bekannten Eigenmarken wie Seidensticker, Schwarze Rose, Jacques Britt und Dornbusch verfügen wir über die Hemdenlizenz bekannter Modemarken, darunter Joop, Strellson oder Baldessarini. Außerdem stellen wir im Private-Label-Bereich im Auftrag großer Kaufhausketten sowie Filialisten Hemden und Blusen ohne Markennennung her. Über die Umsatzverteilung auf die einzelnen Bereiche sprechen wir nicht. Wir verfolgen aber das Ziel, den Markenbereich ganz deutlich auf mehr als 50% des Umsatzes zu steigern, und sind auf bestem Weg dahin.

Unternehmeredition: Heute ist die Unternehmensgruppe Seidensticker weltweit in 80 Ländern vertreten. Die Exportquote liegt bei 40%, als Hemdenhersteller gehört Seidensticker nach dem Umsatz weltweit zu den Top 3. Was sind für Sie heute und in Zukunft die wichtigsten Auslandsmärkte?

Seidensticker:
Im Private-Label-Geschäft konzentrieren wir uns im Wesentlichen auf Europa und die USA und sehen dort noch weiteres Wachstumspotenzial. Bei der Hauptmarke Seidensticker legen wir heute einen klaren Fokus auf die deutschsprachigen Länder, Frankreich, England und Russland. Wir handeln nach der Devise, zunächst diese Märkte richtig zu entwickeln, dann werden wir uns den BRIC-Staaten zuwenden. Wir verbiegen uns nicht bei der Expansion in neue Märkte, sondern wollen überall dieselbe Botschaft rüberbringen, dasselbe Produkt in gleicher Qualität anbieten und über vergleichbare Distributionsstrukturen verkaufen, das heißt über den Fachhandel, eigene Geschäfte und den Online-Handel.

Unternehmeredition: Wie sieht Ihre internationale Produktionsstrategie aus?

Seidensticker:
Die frühe Produktionsverlagerung ins Ausland war für die deutsche Textilbranche absolut notwendig. Sie hätte sonst nicht im internationalen Wettbewerb bestehen können. Von unserer Produktion in Bielefeld haben wir uns früh verabschiedet und sind auf Umwegen über Spanien und Portugal als Interimslösung nach Asien gegangen. Anfang der 1970er Jahre haben wir konsequent eine eigene Beschaffungsfirma in Hongkong aufgebaut, die heute noch ein wichtiger Eckpfeiler von Seidensticker ist. Aus der eigenen Produktion in China, die wir mit einem Kooperationspartner betrieben haben, mussten wir uns jedoch nach einiger Zeit wieder zurückziehen und kaufen dort heute nur noch Vorprodukte zu. Wir mussten feststellen, dass China der Leichtindustrie gegenüber nicht so offen ist, sondern eher Hightech-Branchen bevorzugt. Sehr gute Erfahrungen haben wir dagegen in Vietnam gemacht, wo wir bereits Anfang der 1990er Jahre einen eigenen Produktionsstandort aufgebaut haben. 60 bis 70% unseres Umsatzes gehen auf Waren zurück, die wir dort produzieren. Wir wollen an Vietnam festhalten, werden aber demnächst einen zweiten großen Produktionsstandort in Indonesien aufbauen. In Vietnam gibt es heute einen Arbeitskräftemangel, das Land boomt und deswegen können wir dort nicht weiter wachsen. Es ist auch nicht vernünftig, alle Eier in einen Korb zu legen. Indonesien bietet eine gute Infrastruktur für die Textilindustrie. Der Grund ist kein sogenanntes „Preisnomadentum“, wir laufen nicht dem letzten Cent hinterher, sondern achten vielmehr auf stabile Rahmenbedingungen. Wir bekennen uns fest zu bestimmten Standorten, an denen wir langfristig bleiben wollen.


Der Unternehmenssitz der Firma Seidensticker
in Bielefeld

 

Unternehmeredition: Branchenweit einzigartig ist, dass die Seidensticker-Gruppe die komplette Wertschöpfungskette nutzt – von der Produktion in der unternehmenseigenen Fabrik bis zum Verkauf in den eigenen Stores (home of shirts, Outlets). Welche Vorteile sehen Sie darin?

Seidensticker:
Vor sieben Jahren haben wir unsere Zukunftsstrategie entworfen und entschieden, uns voll und ganz zu den Produkten Hemd und Bluse zu bekennen. Bis dahin waren wir ein Bekleidungsmischkonzern und hatten u.a. auch hochwertige Damenoberbekleidung im Programm. Wenn wir der Hemdenspezialist sein wollen, dann müssen wir das Geschäft aber auch von A bis Z in der Hand behalten um die Qualität sicherzustellen, sowohl bei unseren eigenen Marken als auch bei den Handelspartnern. Durch die eigenen Stores lernt man besser, wie der Endverbraucher denkt, und macht sich beim Wachstum unabhängiger vom Einzelhandel.

Unternehmeredition: Im Februar haben Sie erfolgreich eine Unternehmensanleihe – mit einem Zinssatz von 7,25% p.a. und einer Laufzeit von sechs Jahren – am „mittelstandsmarkt“ der Börse Düsseldorf begeben und konnten 30 Mio. EUR platzieren. Wieso haben Sie sich für dieses Finanzierungsinstrument entschieden und was wird damit finanziert?

Seidensticker:
Nach den Erfahrungen der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 wollten wir eine Finanzierungsform finden, die uns unabhängiger von Banken macht, aber auch gleichzeitig den Charakter eines Familienunternehmens erhalten. Schließlich kamen wir zur Anleihe, die beide Kriterien erfüllt. Wir sind damit sehr zufrieden. Vom Emissionserlös sollen bis zu 12 Mio. EUR in die Expansion des Multibrand-Retailkonzepts fließen. Wir wollen in den nächsten Jahren auch weitere eigene Geschäft
e eröffnen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Deutschland, im Ausland gehen wir vorsichtiger vor. Bis zu 15 Mio. EUR sollen zur Umschuldung von kurz- in langfristige Finanzierungen eingesetzt werden. Am Ende der Laufzeit beabsichtigen wir, die Anleihe aus dem operativen Cashflow zurückzuzahlen.

Unternehmeredition: Welche Rolle spielt die Anleihe in Ihrem Finanzierungsmix und welche anderen Finanzierungsinstrumente nutzen Sie? Könnte ein Gang an die Börse für Sie eine Option darstellen?

Seidensticker:
Die Kreditfinanzierung über Banken haben wir zurückgefahren, wobei wir auch weiterhin sehr gut mit unseren lokalen Banken zusammenarbeiten. Aktuell haben wir nicht vor, weitere neue Finanzierungsmodelle auszuprobieren. Mit der Anleihe sammeln wir nun erste Erfahrungen am Kapitalmarkt und machen gerade auch einen spannenden Lernprozess durch, da wir nun eine ganz andere Transparenz zeigen müssen und offener über Zahlen reden als bisher. Pläne für einen Börsengang als nächsten Schritt gibt es nicht. Allerdings bin ich auch der Überzeugung, dass man niemals nie sagen darf.

Unternehmeredition: Wie sind Ihre Aussichten für 2013?

Seidensticker:
Trotz vieler Attacken, das Ganze schlecht zu reden, leben wir in Deutschland immer noch auf einer Insel der Glückseligkeit. Der Export ist schwer einzuschätzen, es gibt Märkte, die sich rasch wieder erholen werden, etwa die USA, und andere, bei denen es lange sehr schwierig bleiben dürfte. Alles in allem gibt es jedoch ein unruhigeres Umfeld als noch vor einem Jahr. Wir wollen natürlich langfristig weiter wachsen und peilen eine Umsatzstruktur an, die sich zu je einem Drittel aus dem Export, dem Wholesale im Inland und aus dem eigenen Retail-Geschäft speist. Und wir wollen uns weiterhin klar positionieren als der Partner für Hemden und Blusen.

Unternehmeredition: Herr Seidensticker, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Markus Hofelich.
markus.hofelich@unternehmeredition.de

Kurzprofil: Textilkontor Walter Seidensticker GmbH & Co. KG
Gründungsjahr: 1919
Branche: Bekleidungsbranche, Hemden
Unternehmenssitz: Bielefeld
Mitarbeiterzahl: 1.800 Mitarbeiter
Umsatz (2011/12): 171 Mio. EUR
Internet: www.seidensticker.com

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