„Asien spielt eine zunehmend wichtige Rolle als weltweiter Innovationsmotor“

Siemens-Chef Peter Löscher steht seit Juli 2010 an der Spitze des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA). Im Interview spricht er über die Auswirkungen der EU-Staatsschuldenkrise auf das Asiengeschäft, die zunehmende Bedeutung kleinerer Staaten jenseits der BRICs für den Mittelstand sowie die zunehmenden M&A-Aktivitäten der Chinesen in Deutschland.

Unternehmeredition: Herr Löscher, wie bewerten asiatische Unternehmen die EU-Staatsschuldenkrise und die weitere Stabilität des Euro? Welche Auswirkungen hat das auf die Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschland und Asien?

Löscher: Unsere Partner in Asien beobachten sehr genau, welche Maßnahmen die Europäische Union und die Eurozone treffen, um die Staatsverschuldung abzubauen, um wachstums- und wettbewerbsfreundliche strukturelle Reformen durchzusetzen und um die Währungsunion mit einem politischen Fundament zu untermauern. Besonders Deutschland wird eine zentrale Rolle bei der Konsolidierung Europas zugeschrieben. Unsere Partnerschaft mit Asien ist belastbar: Sowohl die Regierungen in Asien wie auch unsere asiatischen Unternehmerkollegen sind davon überzeugt, dass die Europäer den politischen Willen zeigen werden, die Schwierigkeiten zu meistern und dieses einmalige Projekt aufrechtzuerhalten und zu vertiefen. Die stabile Nachfrage aus Asien war übrigens ein entscheidender Faktor, warum Deutschland die Krisenjahre 2008/2009 relativ schnell überwinden konnte.

Unternehmeredition: Wie ist es aktuell um das Engagement der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, in den ASEAN-Staaten bestellt? Welches Potenzial bieten insbesondere die kleineren Staaten jenseits der Riesen China und Indien?


Löscher:
Der BDI hat erst kürzlich die Studie „Wachstumsmärkte für die deutsche Industrie – eine Auswahl jenseits der BRICs“ herausgegeben, in der beispielsweise einer Reihe von ASEAN-Staaten großes Potenzial bescheinigt wird. Die stetig wachsende Bedeutung Südostasiens macht sich auch in den Handelszahlen bemerkbar: Letztes Jahr beliefen sich deutsche Exporte nach ASEAN auf ca. 19 Mrd. EUR, die deutschen Importe aus der Region sogar auf rund 25 Mrd. EUR. Mit der zunehmenden weltwirtschaftlichen Integration sowie der geplanten Schaffung eines ASEAN-Binnenmarktes können weitere enorme Investitions- und Absatzpotenziale für deutsche Unternehmen freigesetzt werden. Sicherlich ist die starke asiatische Konkurrenz in diesen Ländern eine Herausforderung, der viele deutsche Firmen mit innovativen, nachhaltigen Produkten und einem langfristig angelegten Engagement erfolgreich begegnen.

Unternehmeredition: Die Euro-Krise, zunehmende Staatsverschuldung und Turbulenzen an den Finanzmärkten trüben die Aussichten für die Weltwirtschaft ein. Wie schätzen Sie die konjunkturellen Entwicklungen in den ASEAN-Staaten 2013 ein?

Löscher:
Ich bin fest überzeugt, dass die Europäischen Regierungen und die EZB Entscheidungen treffen und durchsetzen werden, um die Krise zu überwinden. Ich bin ebenso überzeugt, dass nach und nach deutlich werden wird, wie hoch die Reformansprüche auch in anderen Ländern sind, wie zum Beispiel in den USA oder in Japan, aber auch in ASEAN-Staaten. Ich bin jedoch ebenso überzeugt, dass die meisten ASEAN-Staaten weiterhin solide Wachstumszahlen in den kommenden Jahren erreichen werden, gerade wenn sie ihre Märkte weiter öffnen und die Marktbedingungen, z.B. in Sachen Patentschutz oder öffentliche Beschaffungsmärkte, weiterhin verbessern.

Unternehmeredition: Abgesehen von reiferen Märkten wie Japan oder Südkorea herrscht immer noch das Bild vor, dass asiatische Staaten eher verlängerte Werkbank sind oder Produkte aus dem Westen kopieren. Welche Rolle spielt Asien als Innovationsmotor?

Löscher:
Asien spielt eine zunehmend wichtige Rolle als weltweiter Innovationsmotor und ist schon lange nicht mehr nur verlängerte Werkbank. Das gilt nicht nur für die „alten“ Hochtechnologieländer in Asien wie Japan, Südkorea, Taiwan oder Singapur. Mittlerweile kommen Innovationen vermehrt auch aus China und anderen Schwellenländern. Viele globale Herausforderungen, denen sich Asien gegenübersieht, wie beispielsweise die rasche Urbanisierung, sind nur mit innovativen Lösungen zu bewältigen. Insbesondere China hat die Steigerung der Innovationsfähigkeit daher zu einem wichtigen Anliegen erklärt – das spiegeln unter anderem die hohen Ausgaben für Forschung & Entwicklung wider. Der Anteil der chinesischen F&E-Ausgaben lag im Jahr 2010 bei 1,75% der Wirtschaftsleistung. In einem Jahrzehnt sollen die Ausgaben auf 2,5% gestiegen sein. Zum Vergleich: In der EU liegt dieser Anteil bei knapp 2%. Ich sehe die Steigerung der Innovationsfähigkeit asiatischer Länder sehr positiv, da diese Entwicklung der deutschen Wirtschaft viele Möglichkeiten bietet und deutsche Unternehmen den Wettbewerb mit asiatischen Konkurrenten nicht scheuen müssen. Allerdings können Innovationen nur in fairem Wettbewerb entstehen, und nötig dafür ist freier Marktzugang.

Unternehmeredition: Seit einigen Jahren treten asiatische Unternehmen, insbesondere aus China, verstärkt als Käufer oder Investoren in den deutschen Mittelstand auf. Welche Motive stehen heute dahinter, was müssen deutsche Unternehmen beachten und wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?

Löscher:
China zeigt inzwischen ein zunehmendes Interesse an Direktinvestitionen in Deutschland und wird hier in Zukunft verstärkt als Investor auftreten. Dabei spielen auch für chinesische Unternehmen strategische Fragen wie die Nähe zum Kunden eine zentrale Rolle bei der Entscheidung, in Deutschland zu investieren. Deutschland bietet zum Beispiel aufgrund seiner günstigen geografischen Lage oder seiner Eigenschaft als Wachstumsmotor innerhalb der EU ideale Bedingungen. Investitionen sind keine Einbahnstraße, sondern müssen in beide Richtungen willkommen sein. Deutschland profitiert von der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung, zum Beispiel durch die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im Land durch langfristig orientierte asiatische Investitionen. Daher setze ich mich ausdrücklich für transparente und langfristig angelegte Investitionen aus Asien in Deutschland ein.

Unternehmeredition: Wie ist der aktuelle Stand der Freihandelsabkommen der EU mit asiatischen Ländern? Mit welchen neuen Ergebnissen ist 2013 zu rechnen?


Löscher:
Das 2011 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit Korea zeigt schon jetzt, dass es sich für beide Seiten gelohnt hat. Dies möchte die EU auch mit weiteren asiatischen Partnern ausbauen. Seit 2007 befindet sich die EU mit Indien in Verhandlungen, die jedoch nur schleppend vorangehen. Auch ein Freihandelsabkommen mit Japan ist im Gespräch und ich hoffe, dass die Verhandlungen bald aufgenommen werden. Darüber hinaus steht der Abschluss eines Abkommens mit Singapur kurz bevor. Malaysia steht in Verhandlungen, Vietnam und weitere ASEAN-Länder bereiten sich schon auf Verhandlungen vor. Wir sind im APA überzeugt: Der Abbau von Handelshemmnissen, insbesondere von Zöllen, wird der engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Asien und Deutschland neue Impulse verleihen.

Unternehmeredition: Herr Löscher, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Markus Hofelich.
markus.hofelich@unternehmeredition.de



Zur Person: Peter Löscher

Peter Löscher ist seit 2007 Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG und seit Juli 2010 Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (APA). Der APA ist als Gemeinschaftsinitiative von BDI, DIHK, OAV, BGA und Bankenverband das Sprachrohr der deutschen Asienwirtschaft gegenüber der Politik in Deutschland und in den asiatischen Partnerländern. www.asien-pazifik-ausschuss.de

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